Die Wahrheit liegt in den Winkeln. Der Körper eines Pferds entscheidet mit, ob es seinen Job als Reitpferd lange gesund ausüben kann. Wobei eine schräge Schulter nützt, und wieso Hälse nicht nur zu kurz, sondern auch zu lang sein können, erklärte CAVALLO in den vergangenen 15 Jahren in vielen Exterieur-Artikeln.
Auch die CAVALLO-Pferde, die Ihnen im Heft immer wieder begegnen, haben kleine und größere Schwächen. Für mehr Klarheit in Sachen Körperbau haben wir sie auf den Prüfstand geschickt. Exterieur-Coach Dr. Eberhard Senckenberg, Landstallmeister des Bayerischen Haupt- und Landgestüts Schwaiganger, wusste nichts über die Pferde außer Name, Alter und Rasse – und erkannte oft, wo es bei den Tieren im Training hakt.
Die Basis für ein treffendes Urteil ist ein gutes Foto: „Steht das Pferd nicht gerade, ist der Boden weich oder das Tier erschöpft, entsteht leicht ein falsches Bild“, sagt Senckenberg. Er nimmt sich Zeit: „Ich lasse das Pferd auf mich wirken. Der erste Eindruck geht oft in die richtige Richtung, sollte aber nicht in Stein gemeißelt werden.“
Fotos allein verraten allerdings nicht alles. „Entscheidend ist, wie ein Pferd sich bewegt. Wir wollen ja keine Stand-, sondern Reitpferde“, warnt Senckenberg vor voreiligen Schlüssen. Auch das Wesen eines Pferds enthüllt kein Foto vollständig. „Gesichtsausdruck und Auge verraten jedoch so viel, dass sie in die Beurteilung einfließen sollten.“ Ob Siegeswille die krummen Beine wettmacht, zeigt kein Bild. Die Körperlinien liefern jedoch Hinweise auf die zu erwartenden Leistungen. Vorderlastige Pferde können etwa hohe Ziele in Dressur und Springen oft nicht erreichen. Da dürfen Reiter nicht ungerecht werden. Und wenn körperlichen Schwachstellen Verschleiß begünstigen, können Reiter gezielt mit angepasster Gymnastik vorbeugen.
Lauter gute Gründe, auch das eigene Pferd mal einer kritischen Musterung zu unterziehen. Greifen Sie zu Stift und Lineal, und schauen Sie nach, was die Winkel und Linien über Ihr Pferd verraten.





Exterieur-Modell A: „Schön, aber kurz“






Das sagt die Reiterin:
Sam ist noch ein Baby. Er wurde vierjährig angeritten, verbrachte den vergangenen Sommer auf der Weide und kam dann zu mir. Beim Reiten ist er eifrig. Doch es fällt ihm nicht wirklich leicht, seinen Körper zu koordinieren und sich unter dem Reitergewicht auszubalancieren. Den Takt findet er noch selten und kurz, seinen Hals braucht er völlig frei als Balancierstange. Besser geht es im Gelände. Da kann er auch schon schön galoppieren, was in der Reithalle noch sehr schwierig ist. Draußen geht er gelassen und mutig voran, weshalb ich derzeit viel ausreite. Außerdem arbeite ich ihn mit Kappzaum an Longe und Doppellonge.
Das sagt der Experte:
Der Wallach ist ein schönes Pferd und harmonisch konstruiert. Das beginnt bei seinem freundlichen Gesicht und dem gut geformten Hals, der genau die richtige Länge hat und sich zum Kopf hin schön verjüngt. Die lange Maulspalte bietet bei fortgeschrittener Ausbildung genug Platz für zwei Gebisse. Das ist bei modernen Warmblütern nicht mehr selbstverständlich. Der ausgeprägte und lang in den Rücken verlaufende Widerrist garantiert eine gute Sattellage. Der Rücken ist schön geschwungen und geht in eine gut gewinkelte und lange Kruppe über. Nur die Fesseln könnten etwas straffer und der Rahmen eine Idee größer sein. Hier zeigen sich die Grenzen der Foto-Beurteilung: Für ein vollständiges Urteil müsste ich sehen, wie Sam sich bewegt. Sein kurzer Rahmen kann nämlich für Balanceprobleme sorgen. Hat er seinen Körper im Griff und ein freundliches Interieur, würde ich bei der Note für so ein Pferd in Richtung 9 tendieren. Das ist bei der Höchstnote 10 schon dicht am Ideal.
Fazit: Kurzer Körper
Rechteck-Pferde haben es oft leichter, sich selbst und den Reiter auszubalancieren, weil ihr körpereigenes Gleichgewicht stabiler ist. Kurze Pferde können dagegen grundlegende Balanceprobleme haben. Hat ein Pferd Mühe, sich zu koordinieren, kann es sein Potenzial nicht optimal ausnutzen und eventuell nicht die erhofften Leistungen bringen.





Exterieur-Modell B: „Trägt nicht gern“





Das sagt die Reiterin:

Pandoras größtes Problem war und ist ihre Schiefe. Obwohl ich nun schon seit Jahren mit Hilfe einer guten Trainerin daran arbeite, ist sie noch nicht wirklich geradegerichtet. Ihr tief angesetzter Hals macht auch eine korrekte Anlehnung nicht ganz leicht. Ich muss immer aufpassen, dass Pandora nicht mit dem Unterhals arbeitet. Sie ist sehr weich im Maul und neigt dazu, mit dem Kopf zu tief zu kommen. Auch Versammlung ist nicht wirklich ihre Stärke. Inzwischen geht sie geht zwar Seitengänge in allen Gangarten, aber das Vorwärts liegt ihr deutlich mehr, als Last aufzunehmen. Das zeigt sich auch beim Rückwärtsrichten. Die Lektion mussten wir lange und intensiv üben, bis sie in den letzten Jahren besser wurde. Pandora hat einen raumgreifenden Trab, aber einen eher schwachen Galopp. Im Gelände war sie schon immer super – zuverlässig und fleißig, ein wahrer Traum.
Das sagt der Experte:
Die Stute wirkt rahmig, das heißt, dass sie einen ausreichend langen Rumpf hat. Man sagt bei solchen Pferden auch, dass sie über viel Boden stehen. Ihr Rücken ist fast ein wenig zu lang, die Lende dagegen recht stramm. Diese zwei Exterieur-Merkmale wären jedes für sich allein problematisch. So schwächen sie sich jedoch gegenseitig ab und sorgen dafür, dass die Stute wahrscheinlich einen ausreichend stabilen und dennoch elastischen Rücken hat. Der Widerrist ist markant und verläuft lang in den Rücken hinein, das spricht für eine gute Sattellage. Auffällig erscheint mir, dass die Stute die Hinterbeine sehr weit nach hinten herausstellt. Das wirkt, als würde sie nicht gerne Last aufnehmen. Auch die kurze Kruppe mit hohem Schweifansatz verstärkt diesen Eindruck, denn sie macht es dem Pferd schwer, Kraft aus der Hinterhand zu entwickeln. Ihre Beine sehen für ein Pferd ihres Alters.





Exterieur-Modell C: „Schwache Basis“





Das sagt die Reiterin:

Donald ist ein stabiles Gemütspferd. Der Vorteil: Ihn erschreckt so leicht nichts, und meine 65 Kilo bringen ihn kaum aus der Balance. Der Nachteil: siehe oben. Donald muss in der Dressurarbeit motiviert und gelegentlich dran erinnert werden, dass er auf leichte Hilfen reagieren kann. Seine Grundausbildung wurde durch längere Krankheitspausen unterbrochen. Dennoch fiel sie ihm bisher erstaunlich leicht. Takt, Anlehnung, Stellung und Biegung bereiten wenig Schwierigkeiten. Trotz seiner 700 Kilo ist er in der Reithalle kaum zu hören. Herausforderungen im Gelände bewältigt er meist entspannt und sicher.
Das sagt der Experte:
Der Wallach wirkt, als würde er sich nicht so gerne bewegen. Das Pferd ruht offenbar in sich, was ja auch positiv sein kann. Ungünstig ist die Relation des recht massigen Körpers zu den vergleichsweise feinen Beinen. Da müssen relativ schwache Knochen und Gelenke viel Gewicht tragen. Das begünstigt frühen Verschleiß ebenso wie das straffe,





Exterieur-Modell D: „Power von hinten“





Das sagt die Reiterin:

Glenda kaufte ich als Jährling und bildete sie selbst aus. Sie verfügt über viel Potenzial in der Western-Disziplin Reining. Sie ist eifrig, dynamisch und bewegt sich extrem gern – unterm Sattel wie auf der Weide. Manchmal ist Glenda allerdings innerlich zu angespannt und unkonzentriert. Ihre Gänge sind für ein Quarter Horse überdurchschnittlich, der Galopp geht gut bergauf. Sie ist dabei ausgesprochen bequem zu sitzen, ein echtes Sofa. Der Motor bremst auch prima: Sie stoppt schon aus dem Jog von sich aus mit tief untergesetzter Hinterhand.
Das sagt der Experte:
Die Stute hat einen schönen Rumpf mit guter Gurt- und Flankentiefe. Ihre großen Linien gefallen mir insgesamt gut. Das lange, schräg abfallende Becken bietet viel Ansatz für starke Hinterhandmuskeln, die Behosung ist toll. Ihre ebenfalls große Schulter könnte allerdings ein wenig schräger stehen, das würde der Stute mehr Schulterfreiheit geben. Ebenfalls nicht so günstig, aber rassetypisch, ist der tief angesetzte, wenig nach oben gewölbte Hals. Hier kommen noch auffällig starke Unterhalsmuskeln hinzu, die es dem Pferd sicher schwer machen, eine dressurmäßig korrekte Anlehnung oder Aufrichtung zu entwickeln. Die Fesseln der Vorderbeine erscheinen durch ihre Länge sehr elastisch. Das macht das Pferd wahrscheinlich bequem zu reiten, da die Bewegungen weich abgefedert werden. Allerdings verschleißen weiche Fesseln auch schneller als etwas straffere. Vor allem wenn die Tiere, wie es für die Western-Reitweise typisch ist, weniger gezielt auf die Hinterhand gesetzt werden.





Exterieur-Modell E: „Lange Lende“






Das sagt die Reiterin:
Ich reite Famoso seit vergangenem Oktober dreimal wöchentlich, überwiegend Dressur. Ansonsten geht er mit seiner Besitzerin vor allem ins Gelände. Famoso ist sehr eifrig und lernt schnell. Dennoch gibt es beim Reiten zwei grundlegende Probleme: Zum einen dehnt er sich nicht so gerne ans Gebiss, sondern rollt sich leicht ein und wird eng. Zum anderen heizt er sich sehr schnell so auf, dass keine sinnvolle Arbeit mehr möglich ist. Ich konzentriere mich deshalb zurzeit darauf, ihn in aller Ruhe in eine korrekte Dehnung zu reiten und ihn nur so zu fordern, wie seine Nerven es vertragen.
Das sagt der Experte:
Das Pferd hat einen auffallend langen Rücken. Es dürfte ihm im Vergleich zu kürzeren Pferden seiner Rasse schwerer fallen, die Hinterhand korrekt unterzusetzen und in der Versammlung Last aufzunehmen. Allerdings ist sein Hinterbein gut gewinkelt und steht weit unter dem Rumpf. Der Schimmel hat solide, gut ausgeprägte Gelenke. Sein Hals ist schön konstruiert und gut gewölbt. Nur am Genick wirkt er etwas gerade. Damit könnt Famoso zum falschen Knick neigen und sich eventuell gerne einrollen. Beim Reiten muss man bei diesem Pferd deshalb besonders darauf achten, dass es reell ans Gebiss tritt und nie akzeptieren, wenn er sich hinterm Zügel verkriecht. Etwas irritierend wirkt die Stellung des Vorderbeins. Auf dem Foto erscheint es stumpf, also wenig elastisch. Dies kann aber auch eine optische Täuschung sein. Das Pferd wurde auf weichem Untergrund fotografiert. Sinkt die Zehe in den Sand, wirkt das Vorderbein stumpf, auch wenn es das gar nicht ist.
Fazit: Schwache Verbindung
Eine lange Lendenpartie macht es schwierig, das Pferd zu schließen. Zwar schwingt ein langer Rücken leichter als ein kurzer mit strammer Lende. Doch der Reiter muss hier besonders Acht geben, dass das Pferd die Hinterhand gut untersetzt und den Rücken aufwölbt. Wird das versäumt, kann ein langer Rücken leicht zum tiefen und sogar zum Senkrücken werden. Positiv: Der Hengst setzt seine Hinterbeine weit unter den Körper und kompensiert damit den Gebäudefehler von sich aus ein wenig.





Exterieur-Modell F: „Starker Brocken“





Das sagt der Reiter:

Fidi war Verleihpferd. Eine Bekannte übernahm ihn, und ich helfe ihr bei der Pflege. Im Gelände ist er toll: Sicher und leicht zu regulieren. Wegen einer Arthrose wird er nur schonend geritten.
Das sagt der Experte:
Ein geschlossenes Pferd mit stabilem Rücken. Das ist angesichts des Alters bemerkenswert, könnte aber an der kurzen Lende liegen. Aus dem langen Becken und den Hinterhandmuskeln kommt ordentlich Kraft. Die gut gewinkelten Hinterbeine mit starken Gelenken stehen unter dem Körper, was dafür spricht, dass das Pferd bereit ist, Last aufzunehmen. Der Widerrist ist wenig markant und fällt steil in den Rücken ab. Das ist typisch für Zugpferde, aber schlecht für die Sattellage. Der kurze Hals ist wenig gewölbt und sollte sich zum Kopf hin mehr verjüngen. Dem Pferd dürfte es schwer fallen, im Genick nachzugeben und in korrekter Anlehnung zu gehen. Ein längerer Hals würde es ihm zudem leichter machen, sich unter dem Reiter auszubalancieren.
Fazit: Kurz macht fest
Eine kurze Lende stabilisiert den Rücken und sorgt für eine effektive Kraftübertragung von der Hinterhand in den Körper. Sie ist vor allem für Springpferde günstig. In der Dressur schadet sie dagegen eher. Denn Pferde mit strammer Lende sind häufig wenig elastisch im Rücken und neigen zu harten Gängen.





Exterieur-Modell G: „Lang und Fein“






Das sagt die Reiterin:
Bel Asscarah kenne ich, seit sie ein Fohlen war. Ich war beim Anreiten dabei, habe sie mit Trainerhilfe selbst im Western-Freizeitstil ausgebildet und 2002 übernommen. Auf dem Reitplatz fällt es ihr schwer, sich zu stellen und zu biegen. Außerdem lässt die Hinterhandaktivität zu wünschen übrig.
Sobald sie ins Vorwärts-Abwärts entlassen wird, geht der Motor hinten aus. An ihrem langen Rücken wuchsen lange Zeit kaum Muskeln. Dank eines neuen Zusatzfutters wurde das jedoch jetzt besser.
Das sagt der Experte:
Eine rahmige Stute mit einem hübschen und freundlichen Gesicht. Die Schulter wirkt recht kurz und steil, was typisch für ihre Rasse wäre. Der Hals ist lang, fast zu lang. Ein gut ausgeprägter Widerrist liegt über einem schön tiefen Rumpf.
Der lange Rücken hat eine recht schwache Verbindung zur Kruppe. Die ist arabertypisch kurz, aber nicht flach. Trotz hohem Schweifansatz fällt das Becken schräg nach hinten ab. Das gut gewinkelte Hinterbein mit kräftigen Gelenken kann die Stute dennoch wahrscheinlich nur wenig effektiv nutzen, denn sie ist deutlich überbaut. Das und die schwache Lende machen es ihr schwer, Kraft von der Hinterhand zu übertragen. In den klassischen Disziplinen Dressur und Springen wird sie deshalb sicher ihre Grenzen haben.
Fazit: Schlange statt Stange
Ein guter Reitpferdehals soll lang sein, damit er als Balancierstange dienen kann. Doch ist der Hals zu lang, klappt das nicht mehr. Er wird instabil, und dem Pferd fällt es schwer, die Balance und eine konstante Anlehnung zu finden.




