Dressur: Reitkunst mit Sonja Weber

Dressur als Reitkunst
Zu Besuch bei Dressurausbilderin Sonja Weber

Zuletzt aktualisiert am 22.05.2025
Sonja Weber mit ihrem Pferd Magusto im Porträt
Foto: Rädlein

Auf dem Weg zum Hofgut von Sonja Weber

Wir fahren auf einem Feldweg zwischen Koppeln hindurch, auf denen Pferde grasen. Linker Hand schlängelt sich ein Flüsschen durch die Wiesen – und da entdecken wir einen Braunen und einen Rappen. Wir ahnen schon, wer die beiden sind: Magusto und Montilla. Der Lusitano und der Kladruber spielen die Hauptrollen in den international preisgekrönten und auf allen Kontinenten bekannten Lehrfilmen der Dressurausbilderin Sonja Weber.

Ihre Schätze leben auf einem charmant verwitterten alten Hofgut. Das Stallgebäude, den Innenhof und das umliegende Gelände mit den Koppeln hat die Ausbilderin gemeinsam mit Reitschülerinnen zu einem wohnlichen Pferde-Zuhause umgestaltet. Die emsige Haltergemeinschaft kümmert sich in Eigenregie um aktuell sechs Pferde. Sonja Weber sammelt deshalb noch schnell die futternden Vierbeiner vom Grün und verteilt sie auf die Ausläufe. Alles unter Aufsicht. Der Braune lässt sie dabei nicht aus den Augen. Endlich hat die Warterei ein Ende: "Magusto!” ruft sie zu ihm hinüber und der Angesprochene saust uns auf der Koppel wie der Blitz entgegen. Ein Bild von einem Pferd. Sonja Weber drückt mir den neunjährigen Lusitano-Hengst in die Hand, während sie ihren Kladruber Montilla holt.

Sonja Weber führt zwei Pferde von der Weide
Rädlein

Sonja Webers Pferdeausbildung nach Gefühl

Unser Kennenlernen startet mit einer kleinen Schrecksekunde. Als ich Magusto auf dem Paddock mit einer Routinebewegung ganz unbedarft das Halfter abziehen möchte, reißt er den Kopf hoch und schießt rückwärts. Ups, da war ich als fremde Person wohl für dieses Pferd zu forsch. Also das Gleiche nochmal vorsichtig und langsam. Seine Besitzerin hat damit nicht gerechnet, ist aber kaum überrascht. Sie kennt ihren Pappenheimer. "In Portugal wurde Magusto zwar gut behandelt, aber man konnte auf seine Hypersensibilität nicht eingehen. Das hat ihn traumatisiert. Wenn etwas geschieht, was er so nicht kennt und ihm unheimlich ist, können solche Reaktionen immer noch vorkommen.”

Seit über drei Jahren ist der Lusitano nun bei Dressurausbilderin Sonja Weber. Sein Züchter hatte damals die Hoffnung auf den richtigen Käufer für sein Pferd schon aufgegeben. Denn Magusto war mehrfach mit dem Reiter gestürzt und ließ Menschen kaum noch an sich heran, geschweige denn auf seinen Rücken. Ein Pferd für einen Profi, aber mit Samthandschuhen. Genau das Richtige für Sonja Weber. Obwohl sie den Hengst nur von Fotos und Videos kannte, kaufte sie ihn. Die portugiesische Herausforderung stieg dann ein paar Wochen später aus dem Transporter. Viele Dinge, die andere Pferde gar nicht kümmern, lösen bei Magusto helle Panik aus. "Ich habe gelernt, dass ich ihm schwierige Situationen nicht erträglicher machen kann, indem ich sie wiederhole, damit er merkt, dass nichts passiert”, erklärt Sonja Weber. Das Gegenteil ist der Fall: "Ihn einem Reiz auszusetzen, der ihn triggert, weckt das Trauma wieder und macht es beim nächsten Mal noch viel schlimmer.”

Sonja Weber und ihr Pferd Magusto beim täglichen Training
Rädlein

Viele Reiter würde solch ein Pferd an den Rand der Verzweiflung bringen oder gar ans Aufgeben denken lassen. Sonja Weber dagegen fuchst sich da mit Herzblut rein. Das ist genau ihr Ding: "In der Pferdeausbildung habe ich keine bestimmte Methode, sondern ein Konzept im Kopf. Eine Methode ist nur ein mögliches Modell. Ich schöpfe lieber aus vielen Methoden. Darunter die richtigen Wege zu finden und so miteinander zu verknüpfen, dass es für das jeweilige Pferd passt, das sehe ich als meine Aufgabe.”

Bei Sonja Weber ist die Pferdeausbildung deshalb Detektivarbeit. Und die beginnt mit einem guten Auge. Schon als Kind war Sonja Weber eine kleine Künstlerin und zeichnete detailgetreu, was sie sah. Die Beobachtungsgabe hilft ihr auch bei der Arbeit mit den Pferden. "Ich beobachte sie ganz unvoreingenommen, ohne sie in Schubladen zu stecken. Was ich sehe, gleiche ich mit meinem Wissen ab. Details setze ich in Zusammenhang. Denn oft ist das Problem nicht das, was vordergründig ins Auge sticht. Meistens steckt etwas anderes dahinter.”

Würden wir Sonja Webers andere Pferd Montilla nach Problemen fragen, würde er antworten: Ich? Nö. Der viereinhalbjährige Kladruber hat nicht nur einen Charakterkopf, er wirkt für sein Alter auch ganz schön abgeklärt und selbstbewusst. Sicherlich auch ein Grund, warum seine Besitzerin ihn ins Herz geschlossen hat. Montilla, die zweite vierbeinige Herausforderung, wirkt vor der Arbeit wie ein liebes, schwarzes Schaf. Sonja Weber zeigt uns mit ihren Pferden ihren Trainingsablauf: erst Handarbeit, danach kurze Einheiten an der Longe, bevor sie aufsitzt. Kurz, ohne jeglichen Druck, aber präzise und knackig. Sowohl der junge Montilla als auch der sensible Magusto entwickeln auf diese Weise innerhalb weniger Minuten so viel Kadenz und Ausdruck, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes in der Dressurarbeit über sich hinauswachsen.

Über Reitkunst und Körperausbildung

Ihre Pferde sind echte Muskelpakete. Sonja Webers Dressur-Training ist akribische Körperausbildung. Jeder kleine Schritt hat das Ziel, das Tier so zu modellieren, dass es sich und seinen Reiter schadlos tragen kann. Ein enormer Gewinn für die Pferde, die sich in der besten Version von sich selbst einfach gut fühlen und dazu auch noch ihre Zipperlein und kleinen Baustellen verlieren. Echte Reitkunst eben.

Das hört sich furchtbar anstrengend an? Sonja Weber verlangt nur das, was ein Pferd gerade geben kann. Sie lockt es sanft aus falschen Bewegungsmustern und lässt es sich selbst neu entdecken. Wie sie das macht, ist kaum zu erkennen. Mit ihrer Körpersprache und inneren Bildern schickt sie immer wieder kleine Impulse. Keine strenge Lehrerin, sondern eine, die mit ganz viel aufrichtiger Liebe ihre beiden Herzenspferde motiviert – wie eine Montessori-Pädagogin, die sagt: Hilf deinem Kind, es selbst zu tun. Das lässt kleine Menschen genauso strahlen wie große Vierbeiner.

An sich selbst zu glauben, bringt nicht nur Pferde weiter. Erst als Sonja Weber als junge Frau nach einem Jahr Ausbildungszeit bei Marc de Broissia in den heimischen Stall zurückkehrte, wurde ihr bewusst, wie viel sie bereits gelernt hatte. Das kam dort so gut an, dass sie nach Unterricht gefragt wurde. Wow. Sie war unsicher: Konnte sie das denn schon? Sie fragte ihren Lehrer um Rat. Und obwohl der eigentlich fest vorhatte, sie bei sich anzustellen, sprach er ihr Mut zu, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen: "Mach deine Erfahrungen, glaube aber nie, dass du es jetzt kannst. Du wirst immer weiterlernen.”

Genau das gibt Dressurausbilderin und Reitkünstlerin Sonja Weber nun an ihre Schüler weiter. Sie erlebt oft, dass Menschen mit ihren Pferden tolle Fortschritte machen, doch irgendwann nicht mehr weiterkommen. "Das liegt nie am Pferd. Die Reiter müssten sich mit sich selbst auseinandersetzen. Viele schaffen das nicht, geben auf oder suchen ihr Glück in einer anderen Reitweise. Das finde ich unendlich traurig – für sie selbst und für ihr Tier. Bei uns zu bleiben und den eigenen Weg zu finden und zu gehen, erst das bringt uns wirklich zu Selbsterkenntnis und damit zum Pferd und zur Reiterei.”

Mehr Lesestoff über die Reitkunst von Sonja Weber gibt es hier:

Buchcover: "Klassische Arbeit an der Hand"
Müller Rüschlikon
Buchcover: "Versammlung für gesunde Pferde und Reiten in Leichtigkeit"
Müller Rüschlikon