Magengeschwüre bei Freizeitpferden
Wenn Stress den Magen auffrisst

Magengeschwüre treten nur bei gestressten Turnier- oder Rennpferden auf? Weit gefehlt: Auch ein Großteil der Freizeitpferde leidet unter den Magenbeschwerden. Wie Reiter ihren Vierbeinern helfen können.

Ein gähnendes Pferd.
Foto: Rädlein / CAVALLO

"Dass meine Stute ein Magengeschwür hat, hätte ich nie gedacht", sagt Alexandra H. "Ronjas stressiges Leben als Turnierpferd lag doch endlich hinter ihr." Tatsächlich signalisierte die Warmblutstute beim Reiten deutlich, dass ihr alles andere als wohl war: Sie wurde hektisch, zeigte Taktstörungen und biss kräftig aufs Gebiss. Der Versuch, Ronja durch höhere Dressurlektionen, die bei der gut ausgebildeten Stute leicht abrufbar waren, zu fordern, machte es nur noch schlimmer. Im Gelände war sie völlig entspannt. Als Ronja eines Nachts Kolik hatte, tippte der Tierarzt auf ein Magengeschwür – und hatte recht.

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Jedes zweite Freizeitpferd hat Magenläsionen, also Schäden der Schleimhaut; manche Schätzungen gehen sogar von 70 Prozent aus! Sportpferde sind zu 60 Prozent betroffen, bei Rennpferden liegt die Quote mit etwa 90 Prozent am höchsten. Die Zahlen zeigen, wie anfällig der Pferdemagen tatsächlich ist.

Das Brennen beginnt mit einer Gastritis, also der Reizung und Entzündung der empfindlichen Schleimhaut durch vermehrte Einwirkung aggressiver Magensäure. Dauert diese länger an, bilden sich kraterartige Vertiefungen, die schlimmstenfalls zu tödlichen Löchern in der Magenwand werden.

Womöglich schlagen Magengeschwüre Pferden auch auf die Lunge. Zumindest Schweine, die unter Magengeschwüren leiden, haben ein bis zu zehn Mal höheres Risiko, an Lungenentzündung zu erkranken. Vermutet wird, dass sich Keime über die marode Magenschleimhaut einen Weg in die Atemwege bahnen. "Wir konnten bei Pferden einen solchen Zusammenhang nicht feststellen", sagt Dr. Robert Fitz von der Tierklinik Gessertshausen/Bayern. Wissenschaftliche Forschungen fehlen jedoch.

Pferde leiden oft unerkannt, wenn der Magen brennt

Lange verborgen bleibt oft das Magengeschwür selbst. Denn eindeutige Symp­tome gibt es nicht, und viele Pferde zeigen keine oder erst sehr spät Anzeichen. "Der Grad der Läsion korreliert nicht mit dem Grad der klinischen Symptomatik", sagt Dr. Fitz. Wenn es innen brodelt, äußert sich das also nicht ebenso drastisch. Mögliche Symptome: Das Pferd frisst schlecht, magert ab, hat stumpfes Fell. Der Allgemeinzustand verschlechtert sich. Weitere Anzeichen sind vermehrtes Speicheln, Maulgeruch und Aufstoßen. Auch Koliken deuten auf Magengeschwüre hin; Zähneknirschen und Flehmen signalisieren Schmerzen.

Frühe Warnsignale gibt es, doch die verknüpfen Reiter nur selten mit Magenschmerz. "Lange bevor körperliche Anzeichen sichtbar werden, lassen die Pferde oft eine deutliche Wesensänderung wie schlechte Laune und unerwartete Aggression gegenüber Artgenossen oder Menschen erkennen. Auch die Leistungsfähigkeit kann extrem schwanken", sagt Constanze Röhm, unabhängige Futterberaterin aus Wesel/Nordrhein-Westfalen. "Wichtige Hinweise kann dem Pferdehalter die Berührung des Tiers an bestimmten Stellen geben: Die Reaktionen zeigen auch dem Laien, dass Magengeschwüre vorliegen könnten", sagt Constanze Röhm. Wie Sie sich an den Magen herantasten, zeigt die Grafik oben.

Meist sind die Besitzer von der Diagnose "Magengeschwür" überrascht. Sie sind überzeugt, ihr Pferd habe gar keinen Stress, der als Hauptauslöser für Magengeschwüre gilt. Stress fürs Pferd speist sich aus drei zentralen Quellen: Training, Haltung, Fütterung.

Training ist für viele Pferde Stress. Je intensiver das Training und je empfindlicher das Pferd auf den Druck reagiert, desto eher entwickelt es Magengeschwüre. Viele Pferde kommen schnell an ihre körperliche oder geistige Leistungsgrenze und sind überfordert. Verspannungen, Rennen und Schweifschlagen deuten auf Stress (siehe auch das aktuelle Top-Thema ab Seite 14). Manche Reiter interpretieren diese Signale jedoch als Übereifer oder Ehrgeiz – Eigenschaften, die dem eigenen Pferd nur zu gerne attestiert werden.

Zweite Stress-Quelle sind Haltungsfehler. Bewegung ist das A & O fürs Lauftier Pferd, um gesund, zufrieden und ausgeglichen zu sein. Boxenhaltung, wenig Sozialkontakt und kein oder wenig Weidegang belasten das Pferd psychisch. Ein unfreundlicher Nachbar, niedriger Rang in der Herde, zu wenig Beschäftigung, häufige Transporte, ein Stallwechsel oder die Trennung von liebgewonnenen Pferdefreunden verursachen Stress und damit Geschwüre (siehe CAVALLO 6/2013 – Stress im Stall und auf der Weide).

Haltungsformen, die auf den ersten Blick optimal erscheinen, sind es nicht unbedingt für jedes Pferd: Ein Offen- oder Aktivstall, der zwar ausreichend Bewegung im Herdenverband bietet, kann ein starker Stressfaktor sein, wenn das Pferd sich nicht wohlfühlt. "Zum Beispiel werden alte und kranke Pferde in einer Herdenstruktur auf einem sehr niedrigen Rang eingestuft. So führen einerseits der Stress durch die bestehende Sozialstruktur, insbesondere im Bezug auf das Fressverhalten, als auch die körperliche Konstitution dazu, dass die Schutzmechanismen des Magens versagen; dies kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Magengeschwüre führen", sagt Dr. Fitz.

Dritter großer Stressfaktor ist falsche Fütterung. Weil Pferde in freier Wildbahn über den ganzen Tag verteilt kleine Mengen fressen, produzieren sie kontinuierlich Magensäure. Ist der Magen leer, wird die Säure nicht gebunden und greift die empfindliche Schleimhaut an. Schon Fresspausen von vier Stunden sind gefährlich. Die gravierendsten Fehler: Das Pferd bekommt insgesamt zu wenig Raufutter, beziehungsweise nur zwei Portionen Heu am Tag; Kraftfutter wird vor dem Raufutter gegeben.

Gute Aussichten mit der 360-Grad-Therapie

Ob und wie massiv der Pferdmagen lädiert ist, bringt mit hundertprozentiger Gewissheit nur eine Gastroskopie ans Licht, also eine Magenspiegelung. Dabei wird ein Endoskop durch die Nase in den leeren Magen des sedierten Pferdes eingeführt. Die digitale Aufzeichnung ermöglicht bei einer späteren Kontrolluntersuchung den Vergleich.

Steht die Diagnose, hilft nur eine 360-Grad-Behandlung, die alle Faktoren rund ums Leiden einschließt. Das Pferd bekommt für mindestens drei Wochen einen Magensäurehemmer, der die Ausschüttung der Säure reduziert. In dieser Zeit können die Geschwüre abheilen. "Wenn ein Pferd gut auf die Therapie anspricht und die Läsionen je nach Schweregrad zeitnah ausheilen, ist die Prognose in Kombination mit Änderungen bei der Fütterung und Haltung gut", sagt Dr. Fitz. "Entscheidend für den Erfolg der Therapie ist die Ursachenbekämpfung." Haltungs-, Fütterungs- und Trainingsbedingungen müssen kritisch hinterfragt und gegebenenfalls geändert werden.

"Das Allerwichtigste ist genügend Rohfaser"

Um Training und Haltung zu optimieren, müssen Reiter auch mal experimentieren: Das können neue Trainingsansätze sein oder Umstellungen in der Herdenstruktur. Mitunter ist professionelle Hilfe nötig um festzustellen, wo genau es hakt und was für das einzelne Pferd am besten ist.

Klare Regeln gelten für die Fütterung. "Das Allerwichtigste: genügend Rohfaser", sagt Constanze Röhm. "Ideal sind 2 Prozent der Körpermasse des Pferds in Trockenmasse Rohfaser." Minimum sind 1,5 Kilo Heu pro 100 Kilo Körpergewicht. Füttern Sie Raufutter immer zuerst, Kraftfutter frühestens eine halbe Stunde danach. Futterpausen von mehr als vier Stunden müssen unbedingt vermieden werden. Viele Tipps für gesundes Füttern finden Sie im aktuellen CAVALLO Spezial "Das hat Ihr Pferd zum Fressen gern" (www.cavallo.de/sonderhefte).

Bei Ronja waren alte Muster aus ihrer Zeit als Turnierpferd das Problem: Je mehr ihre Reiterin von ihr verlangte, desto mehr verfiel sie in ihren "Turniermodus". "Ich dachte, sie bietet mir immer mehr an. Dabei wollte sie die Aufgaben nur schnell hinter sich bringen", sagt Alexandra H. Mit Hilfe einer professionellen Trainerin hat sie die Lösung gefunden: "Dressur steht nicht mehr im Vordergrund: Wir machen verstärkt Boden- und Cavalettiarbeit. Dies ist neu für sie, und darauf muss sie sich konzentrieren." Auch die Fütterung wurde optimiert: Raufutter gibt es jetzt immer vor dem Kraftfutter. "Seitdem haben wir keine Probleme mehr", freut sich Alexandra.

Bestenfalls kann der Reiter der Diagnose "Magengeschwür" am Ende also etwas Gutes abgewinnen: ein neues Bauch-Gefühl für die natürlichen Bedürfnisse und Empfindungen seines Pferds.

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Erscheinungsdatum 17.05.2023