Fast jede Woche gibt es neue Meldungen über vermeintliche, aber auch bestätigte Wolfsattacken – vor allem auf Schafe und Ziegen. Landwirte und Viehbesitzer fordern mehr Unterstützung und klarere Regelungen.
Auch Pferdehalter sind verunsichert, ob und wie sie ihre Tiere schützen können. Uns Reiter beschäftigt die Frage: Was mache ich, wenn mir bei einem Ausritt plötzlich ein Wolf gegenübersteht? Was klar ist: Wir wissen noch viel zu wenig über den Wolf, der 150 Jahre lang von der Bildfläche verschwunden war und nun Mensch und Tier vor neue Herausforderungen stellt.
Die Zahl der Wölfe steigt jährlich um bis zu 30 Prozent
Der Wolf, das zeigt das Monitoring, fühlt sich bei uns ziemlich wohl. Im April 2017 lebten in Deutschland bereits 150 bis 160 erwachsene Tiere, Tendenz steigend. Experten gehen davon aus, dass die Population jährlich um bis zu 30 Prozent weiter ansteigen wird. Laut aktuellem Monitoring der DBBW, der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, wurden im Berichtsjahr 2016/17 insgesamt 60 Rudel erfasst. Das sind 13 Rudel mehr als noch im vorherigen Monitoring-Zeitraum. Dazu kommen 13 Wolfspaare und drei sesshafte Einzeltiere. Die meisten davon in Brandenburg und Sachsen.
Aber auch im Süden Deutschlands suchen sich Einzelgänger neue Reviere: Im baden-württembergischen Bad Wildbad hat Ende April ein Wolf mit der Kennung „GW852m“ für Schlagzeilen gesorgt, nachdem er mehr als 40 Schafe gerissen hatte. Bei dem Tier handelt es sich vermutlich um einen jungen Rüden aus Niedersachsen. Bad Wildbad ist jetzt das erste „Wolfsgebiet“ in Baden-Württemberg. Nutztierhalter sehen nach diesem jüngsten Vorfall ihre Befürchtungen bestätigt und fordern eine Bestandsregulierung. Laut EU-Recht ist der Wolf derzeit in die höchste Kategorie aller schützenswerten Tierarten eingestuft. Das heißt, der Wolf darf erst dann wieder geschossen werden, wenn die Population so groß ist, dass seine Arterhaltung gesichert ist. In einigen Bundesländern wie Bayern, Niedersachsen und Brandenburg ist der Abschuss bereits in Ausnahmefällen erlaubt.
Wölfe geben Jagdverhalten an den Nachwuchs weiter

Wer seine Tiere schützen will, muss wissen, wie der Wolf eigentlich „tickt“. Doch selbst Wolfsexperten tappen noch bei der Frage im Dunkeln: „Wie gefährlich sind Wölfe für Pferde?“ Bestätigt ist der Angriff von Wölfen auf eine frei lebende Konik-Herde in einem Beweidungsprojekt in Sachsen-Anhalt vor zwei Jahren. Dabei wurden mehrere Fohlen verletzt bzw. getötet, das hat ein DNA-Test bestätigt. Mögliche Angriffe auf Pferde können aber nicht immer zweifelsfrei nachgewiesen werden, darauf weist auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN hin. Kommen Pferde zum Beispiel mit einer Fesselverletzung von der Weide, wird das meistens sofort desinfiziert. Ein genetischer Nachweis ist dann nicht mehr möglich.
Von welchen Faktoren hängt es demnach ab, ob und wann ein Pferd ins Beuteschema eines Wolfs gehört? „Der Wolf ist ein intelligentes Tier und wägt das Risiko sehr gut ab, ob er bei der Jagd selbst verletzt werden könnte“, so NABU-Wolfsexperte Markus Bathen. Der Angriff auf eine Pferdeherde mit wehrhaften Stuten sei für den Wolf grundsätzlich gefährlicher als die Jagd auf Rehe, Hasen oder Kaninchen.
Bei ausreichendem Wildtier-Bestand sei die Gefahr, von einem Wolf angegriffen zu werden, also eher gering, lautet die Einschätzung von Wolfsexperten. „Kritisch kann es allerdings werden, wenn der Wolf auf ein bestimmtes Beutetier gepolt ist.
Gehört ein Pferd nach einem erfolgreichen Angriff ins Beuteschema, dann gibt der Wolf dieses Jagdverhalten an seine Nachfahren weiter. Bevor sich das im Rudel manifestiert, muss eingegriffen werden“, so der NABU-Experte. Noch mehr als einen direkten Angriff fürchten Pferdebesitzer allerdings eine in Panik fliehende Herde, die von einem Wolf aufgeschreckt wurde. Wie groß also ist die natürliche Angst der Pferde vor Wölfen?
Eine Studie soll klären, wie Pferde auf Wölfe reagieren
Ab Herbst beginnt dazu im niedersächsichen Landkreis Celle eine Langzeitstudie. Die Forscher wollen herausfinden, wie Pferde in natürlicher Umgebung auf Wölfe reagieren. Wissenschaftlich wird die Studie von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt im baden-württembergischen Nürtingen begleitet. Mit Wildtier-Kameras an den Koppeln soll zum einen die Anwesenheit von Wölfen dokumentiert werden. Zum anderen werden die Reaktionen der Pferde und ihre Bewegungsmuster per GPS-Tracking analysiert. Federführend ist der „Arbeitskreis Pferd und Wolf“ in Niedersachsen: Die Experten erhoffen sich von den Ergebnissen vor allem konkrete Antworten, wie Pferdeherden besser vor Wölfen geschützt werden können.
Bis belastbare Ergebnisse vorliegen, können Pferdehalter nur spekulieren, wie ihre Tiere auf den neuen alten Bekannten reagieren. „Pferde sind Fluchttiere. Sie nehmen die sogenannte ‚warme Raubtierwitterung‘ auf und brechen aus den Weiden und Koppeln aus Angst aus“, so die FN in ihrer Stellungnahme zur „Gefahr Wolf.“
„Wir haben beobachtet, dass Pferde keine Panik zeigen, wenn ein Wolf auftaucht – eventuell halten sie ihn für einen grauen Schäferhund“, berichtet hingegen die Leiterin der Studie Dr. Konstanze Krüger. „Unsere bisherigen Beobachtungen haben gezeigt: Da, wo der Wolf schon länger vorkommt, haben sich Pferde an sein Erscheinen und auch an das Wolfsgeheul gewöhnt. Pferde haben hier keine Panikreaktionen gezeigt.“ Es wird also spannend, was bei der Langzeitstudie herauskommt. Angelegt ist sie auf zwei Jahre.
Und es gibt noch einen anderen interessanten Aspekt: „Vor allem in sozialen Verbänden, in denen auch Pferde leben, gibt es ja instinktive Schutzmechanismen, die eventuell wieder erwachen“, darauf weist Markus Bathen vom NABU hin. Bei dem Wolfsangriff auf die Koniks seien zum Beispiel nur die Fohlen betroffen gewesen, deren Mütter aus einem anderen Gebiet angesiedelt worden waren. An die Fohlen der schon länger hier lebenden Stuten hätten sich die Wölfe vermutlich nicht herangetraut.
100-prozentigen Schutz für Pferdekoppeln gibt es nicht

Nutztierhalter in Wolfsregionen suchen derzeit nach zuverlässigen Maßnahmen vor allem für Schafe und Ziegen. Hier muss sich noch zeigen, ob höhere Zäune tatsächlich mehr Sicherheit bringen. Denn viel wahrscheinlicher ist es, dass sich Wölfe an geeigneten Stellen unter dem Zaun durchgraben. Die Nachrüstung von großen Koppelflächen wäre ein enormer Kostenfaktor, das ist auch die Einschätzung der FN: „Klar ist, dass Umbauten zum Schutz vor Wölfen nur mit professioneller Hilfe zu realisieren sind, und Qualität hat bekanntlich ihren Preis“, so Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Auf finanzielle staatliche Unterstützung können Pferdehalter, anders als Nutztierhalter, bei ihren Präventionsmaßnahmen nicht hoffen. Die Argumentation des baden-württembergischen Umweltministeriums lautet dazu: Übergriffe auf Pferde und Rinder seien so selten, dass der Schutzaufwand in keinem Verhältnis zum Risiko stehe.
Kommt es tatsächlich zu einem tödlichen Angriff, haben private Pferdebesitzer bislang auch keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. „Im Fall der Fälle werden derzeit ausschließlich gewerbliche Pferdehalter für den Verlust entschädigt. Unsere Forderung ist aber, dass alle Pferdehalter einen solchen Anspruch erhalten“, erklärt Soenke Lauterbach den Standpunkt der FN.
Bei Wolfskontakt am besten Ruhe bewahren
Vermutlich wird auch für Reiter in den nächsten Jahren das Risiko, einem Wolf zu begegnen, deutlich geringer sein, als von einer Horde Wildschweine beim Ausritt überrascht zu werden. „Für einen Laien ist es sehr schwierig, einen Wolf eindeutig von einem Hund zu unterscheiden“, weiß Felix Böcker von der forstlichen Versuchsund Forschungsanstalt in Freiburg. „Im Zweifelsfall hat ein Wolf kleinere Ohren als ein Hund und er verhält sich anders, weil er den Kontakt zum Menschen nicht gewöhnt ist. Ein Wolf wird im Normalfall nach einem kurzen Blickkontakt wieder verschwinden.“
Verhaltensexperten raten Reitern, falls sie beim Ausritt tatsächlich auf einen Wolf treffen, möglichst Ruhe zu bewahren und nicht fluchtartig davonzugaloppieren. Pferde sollten möglichst nebeneinander und dem Wolf zugewandt aufgestellt werden, damit sie die Wölfe sehen können. Wenn das nicht ausreicht, am besten im Schritt langsam an den Wölfen vorbeireiten – auch wenn es dafür vermutlich recht guter Nerven bedarf.
Wer sich über weitere Verhaltenstipps informieren möchte: Der NABU hat zum Thema „Pferd und Wolf“ einen Leitfaden herausgegeben (www.nabu.de).














