Was ist Shivering bei Pferden?
Shivering ist eine seit mehr als 100 Jahren bekannte neuromuskuläre Erkrankung, deren Ursache bis heute nicht eindeutig geklärt ist. In die Pferdeklinik Bilsen kommen jährlich etwa fünf bis acht solcher Pferde, »die aber meistens wegen ganz anderer Erkrankungen gebracht werden«, berichtet Dr. Dirk Fister, Leiter der Tierärztlichen Klinik für Pferde in Bilsen bei Hamburg.
Welche Ursachen hat Shivering bei Pferden?
Vermutet wird, dass Infektionen die Überleitung vom Nerv auf die Muskulatur stören. Mögliche Erreger könnten Herpes- oder Influenzaviren sein. Auch neurologische Defekte im Zentralen Nervensystem könnten das Zittern auslösen. »Eine mögliche Ursache sind zudem Erkrankungen an den Facettengelenken der Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule oder des Iliosakralgelenks«, sagt Dr. Dirk Fister.
Facettengelenke sind die kleinen Wirbelbogengelenke zwischen den Wirbelfortsätzen, die neben den Bandscheiben und Wirbelsäulenbändern die einzelnen Wirbelkörper miteinander verbinden. Dass die Krankheit genetisch bedingt ist und vererbt wird, wie immer wieder spekuliert wird, ließ sich bislang aber noch nicht beweisen. Einen Gentest für das Shivering Syndrom gibt es nicht.
Auch eine Verbindung mit der Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM) ist nicht belegt. Tierärztin Dr. Stephanie Valberg von der amerikanischen Universität Minnesota, die in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Veterinary College in Ontario das Shivering Syndrom erforscht, fand in einer Studie mit 103 Belgischen Kaltblütern keinen Hinweis darauf: 36 Prozent der Kaltblüter litten unter PSSM, 18 Prozent unter dem Shivering Syndrom; 6 Prozent der Tiere waren von beiden Krankheiten betroffen.
Welche Symptome deuten auf Shivering hin?
Betroffene Pferde leiden an Muskelkrämpfen der Hinterbeine und haben insbesondere Schwierigkeiten beim Hufegeben und Rückwärtsgehen. Dadurch ergeben sich Probleme beim täglichen Umgang, in der Hufpflege und der Pflege allgemein. Die Tiere verharren krampfartig mit halbgebeugtem oder unter den Bauch gezogenen Beinen, wenn der Hinterhuf zum Auskratzen oder Beschlagen angehoben wird. Gleichzeitig heben sie oft den Schweif. Durch die Krämpfe geben solche Pferde die Beine oft unwillig, was viel Geduld vom Pferdebesitzer erfordert.
Kann Shivering bei Pferden durch Stress ausgelöst werden?
In sehr seltenen Fällen sind auch die Vorderbeine betroffen, die beim Hochheben nach vorne gestreckt werden, während die Muskeln über den Ellenbogen zittern. Im Gegensatz zum Hahnentritt stellen die Pferde ihre Hufe nicht schlagartig, sondern langsam ab, wenn der Anfall vorbei ist (der ein paar Sekunden bis einige Minuten dauern kann). Im fortgeschrittenen Stadium sind manche Tiere nicht mehr in der Lage, die Beine längere Zeit hochzuhalten. Dann wird das Beschlagen und oft sogar das Ausschneiden des Hufs fast unmöglich. Muskelspasmen können auch in der Kopf- und Nackenregion auftreten. Die Augenlider zwinkern dann schnell, die Ohren zucken. Die Symptome allgemein verschlimmern sich, wenn das Pferd aufgeregt ist.

Die Hufe zu geben, fällt Shivering-Pferden oft schwer.
Beim Reiten macht die Krankheit weniger Probleme. Zwar gehen viele Pferde anfangs steif und zucken manchmal während der ersten Schritte, laufen sich aber in der Regel schnell ein. Nur beim Rückwärtsrichten treten meist Schwierigkeiten auf: »Unter dem Reiter und unter Belastung sind keine Symptome zu sehen, es sei denn, das Pferd läuft rückwärts. Das können Shivering-Pferde nämlich nur schlecht«, sagt der Tierarzt. Beim Hängerfahren können die Pferde Probleme haben, sich auszubalancieren.
Die Krankheit schreitet meist sehr langsam, aber kontinuierlich voran. Die Muskelspasmen werden häufiger und dauern länger, später schrumpfen die Muskeln an der Hinterhand. Die Beine werden steifer, die Hinterhand des Pferdes wird schwächer. Das Tier steht breitbeinig; manche Pferde können ihre Beine nicht längere Zeit locker hochhalten. »Von ersten Zuckungen bis zur Muskelatrophie vergehen aber meist Jahre«, sagt Dr. Dirk Fister. Einen Patienten, bei dem die Muskelschwäche so ausgeprägt war, dass das Pferd getötet werden musste, hatte er noch nicht.
Orthopädische Wirbelsäulenprobleme und Arthrosen, vor allem an Knie und Sprunggelenk, können die Folgen der mysteriösen Zitter-Krankheit sein. Aus medizinischer Sicht sieht Dr. Dirk Fister keine Einschränkungen bei der Nutzung kranker Pferde zum Beispiel im Sport, solange sie etwa nur beim Hufegeben zucken. Dressurpferde wird allerdings das eingeschränkte Rückwärtsrichten Punkte kosten. »Keiner meiner Shivering-Patienten konnte wegen der Krankheit nicht mehr geritten werden«, sagt der Tierarzt.
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