Eine Pferdeklappe für Pferde in Not

Petra Teegen hilft Pferden in Not
Ihre Klappe ins Glück

Zuletzt aktualisiert am 23.09.2024

Die erste Pferdeklappe Deutschlands

Am Ende des Tages hat ihr Telefon rund hundertmal geklingelt. Petra Teegen hat mit Menschen gesprochen, die sich für eines ihrer Klappenpferde interessieren, mit einer Frau, die ihr Pony abgeben will. Sie hat ihre Regeln zum tausendsten Mal erklärt und getröstet, hat einem Pferd hinterher gewunken, das im Hänger in seine neue Heimat an der Nordsee fährt. Sie hat den Sitz von Ekzemerdecken auf den Shettys kontrolliert, Futter und Medikamente verteilt, Pakete mit Spenden geöffnet, Dankesbriefe gelesen und sich dabei kurz die Tränen aus den Augen gewischt. Leckerlis an die Pferde auf den Paddocks gefüttert, sich Kuscheleinheiten bei ihnen abgeholt, an der Idee für ein neues Pferde-Kinderbuch getüftelt, mit dem Tierarzt gesprochen. Sie hat mit der Schriftführerin des Vereins Anke Rode Bürokram erledigt, sich über Qualzucht bei Miniponys aufgeregt und natürlich auf Instagram und Facebook wie jeden Tag mitgeteilt, welches Pferd neu angekommen ist, ärztlich versorgt wurde und nun vermittelt werden kann.

1300 Mitglieder unterstützen den Verein Pferdeklappe e.V.

Stillstand sei nicht ihr Ding, sagt Petra Teegen. Sie wird fünf Stunden in der Nacht schlafen, "das reicht doch völlig für eine Siebzigjährige.” Es ist also ein ganz normaler Tag im Leben der Gründerin der ersten Pferdeklappe. Wann sie das letzte Mal Urlaub gemacht hat? Sie überlegt kurz. "Das war wohl 2017, da habe ich unseren ehemaligen todkranken Tierarzt von Gran Canaria geholt und nach Hause in die Klinik gebracht.”

Petra Teegen ist die aktivste Bettlerin Deutschlands in Sachen Pferderettung. Und das nun schon seit 11 Jahren. Damals gründete sie den Verein Pferdeklappe e.V. mit vier Mitstreitern, heute hat er rund 1300 Mitglieder. Finanziert werden die durchschnittlich monatlichen Tierarztkosten von 14 000 Euro und insgesamt monatlich laufenden Kosten von 28 000 Euro durch Spenden, Flohmärkte, Mitgliedsbeiträge, Sponsoren, die Bücher, die sie schreibt oder auch das Pferdeklappen-Journal.

Hartnäckige Fragen entlarven die, die ihr Pferd nur loswerden wollen

2300 Pferde hat Petra Teegen auf dem Hof des Vereins in Norderbrarup in Schleswig-Holstein bisher aufgenommen, aufgepäppelt und weitervermittelt. Die Not der Pferde macht sie an der Not der Menschen fest. Tod, Krankheit, Scheidung, Arbeitslosigkeit, in den letzten Jahren auch immer höhere Tierarztkosten, die Flutkatastrophe im Ahrtal, Frauen in Not, die in Frauenhäuser flüchteten und ihre Pferde zurücklassen mussten: Die Liste der Gründe, warum jemand ein Pferd bei Petra Teegen abgibt, ist lang, die Geschichten dahinter gehen ihr oft ans Herz, sagt sie. Aber sie sei auch gut darin, jene Menschen mit hartnäckigen Fragen zu entlarven, die nur ein 15-jähriges Turnierpony loswerden wollen, weil sich die Tochter ein neues, frisches und leistungsfähigeres Pferd wünscht. "Da sage ich ganz klar nein.”

Petra Teegen steht auf einem der Paddocks, die dem Verein gehören. 12 Hektar Weideland, 38 Boxen in zwei Ställen, eine Inhalationskammer, eine dunkle Halle für Tiere mit periodischer Augenentzündung, ein Platz zum Ausbuckeln für die Pferde, die frisch vom Hänger laufen. Momentan sind 50 Pferde auf dem Hof, letzte Woche waren es 65.

Die eigentliche Klappe, wo Pferde anonym abgegeben werden können, ist ein Stück Wiese die Straße runter, uneinsehbar vom Hof aus. In einem amerikanischen Briefkasten mit rotem Wimpel liegt in Folie verpackt das Abtretungsschreiben samt Kugelschreiber, das die Besitzer unterschreiben müssen, damit die Klappe sich um ihre Pferde kümmern darf. Empfangskomittee für die hier zurückgelassenen Pferde sind die zwei gemütlichen Norweger Max und Moritz. Einmal am Tag wird kontrolliert, ob ein neues Pferd angekommen ist. 60 waren es im ersten Jahr der Klappe, dann 40, dann 20, im letzten Jahr waren es zehn, in diesem Jahr erst zwei. "Anonym kommen immer weniger Pferde hier an”, sagt Petra Teegen. "Die Leute wollen ja eigentlich ihr Herz ausschütten, erzählen, was das Pferd braucht, sich noch einmal richtig verabschieden.”

Hinter ihr knabbert Sugar, eine Stute mit Asthma, an ihrem Ärmel. Über eine Koppel stürmen Flicka und Alischa auf sie zu, zwei Pferde, die sie mit vier anderen vor zwei Jahren aufgenommen hat. 23 Jahre haben sie eingesperrt in einem Stall gelebt, nie die Sonne gesehen, haben ihre Fohlen in der Box bekommen, wurden mit Nudeln und Kartoffelschalen ernährt. Als sie zu Petra Teegen kamen, mussten sie erst einmal laufen lernen. Sie gehören zu den insgesamt fünf Patenpferden, die alle alt sind, nicht mehr vermittelt werden dürfen und ihren Lebensabend finanziert von Paten auf den Koppeln genießen dürfen. Denn grundsätzlich werden nur Pferde bis zu 20 Jahren aufgenommen. "Wir sind ja kein Gnadenhof”, sagt Petra Teegen, "sondern es geht um die Weitervermittlung.” Unterstützt wird sie in ihrer Arbeit nicht nur von Anke Rode, sondern auch von ihrem Sohn Aik, einer jungen Hilfe mit Handicap, jemandem, der die Sachspenden verwaltet. "Und natürlich die Mädels aus dem Dorf, die jeden Tag kommen, die Ponys putzen, spazierenführen und überall mitanpacken.”

Schon als Kind hatte Petra Teegen sich um die Kutschpferde einer Räucherei in der Nachbarschaft gekümmert. "Die Tiere standen in einem dunklen Stall, ich habe dort die Fenster geputzt, damit mehr Licht hereinkam.” Mit elf Jahren ritt sie ihr erstes Pony ein und die Kaltblüter des Metzgers auf die Koppeln. Jahre später kam dann die Liebe in ihr Leben. Ehe, drei Kinder, und als die Liebe und auch der Mann verschwunden waren, stand sie da mit den Kindern, einem Pferd und einem Pony und der Panik, wie sollen wir jetzt nur weitermachen. Der Mann war auf die Philippinen entschwunden, hatte das Haus verkauft und zahlte keinen Unterhalt. Freunde kamen und sagten, wir helfen dir. Nachts arbeitete sie als Intensivschwester auf einer onkologischen Station, tagsüber baute sie einen Reitbetrieb auf, gab Reitunterricht, der älteste Sohn machte Beritt.

Um die 80 Prozent der Pferde aus der Klappe sind gesund

"Scheißegal habe ich damals gedacht, Hauptsache die Pferde haben mich lieb. Und wenn ich wieder genug Geld habe, dann helfe ich anderen in der Not.” Das war vor 37 Jahren. Während dieser ersten Zeit wurden schon immer mal wieder Pferde zu ihr gebracht, die sie aufpäppelte, wie Biene, eine Shettystute, die heute 49 Jahre alt ist und immer noch bei ihr lebt. Biene kümmerte sich in all den Jahren um Fohlen, die verwahrlost und völlig abgemagert in die Klappe kamen, begleitete ein Pferd mit Verstopfungskolik in die Klinik und auch Pferde, die nicht mehr geheilt und weitervermittelt werden können und dann auf der sogenannten "letzten Koppel” stehen, in den Tod. "Es ist fast so, als wolle sie das, was sie bei uns als Liebe erfahren hat, zurückgeben”, sagt Petra Teegen.

Gedacht hatte Petra Teegen am Anfang der Klappe eher an die Vermittlung von ausrangierten Sportpferden. "Aber dann sind immer mehr Freizeitpferde dazu gekommen.” 80 Prozent der Pferde, die bei ihr landen, seien gesund, sagt sie, aber 20 Prozent haben Krankheiten oder Mängel. Die Sportpferde kämen oft mit Verladeängsten, kaputten Sehnen, Magengeschwüren, weißen Stellen, die Freizeitpferde seien entweder zu dünn oder zu dick. Sie hat extra eine Koppel angelegt für Rehepferde, manche leiden auch an der Wohlstandskrankheit EMS. "Opfer einer übertriebenen menschlichen Pferdeliebe”, nennt sie diese. Und das sagt sie den Besitzern auch geradeheraus. "Ich habe keine Scheu anzuecken, sonst ändert sich ja auch nichts, egal, ob in der Sport- oder in der Freizeitreiterei.”

Auch Jaga, die heute auf einen Ferienhof an die Nordsee ziehen soll, muss erst einmal ordentlich abnehmen, findet Petra Teegen. "Bitte kein Zucker, kein Getreide, nicht zu viel Weide, kein Müsli, kein Kraftfutter und bitte ausreichend Arbeit.” Der Besitzer des Ferienhofs hat schon drei Pferde aus der Klappe. Er weiß, wie es läuft, trotzdem liest Petra Teegen ihm nochmal den Schutzvertrag für Jaga vor: Sie darf das Tier besuchen, Futterproben entnehmen, die Haltungsbedingungen anschauen, erwartet monatlich aktuelle Fotos von Jaga, und wenn da nichts kommt, darf sie eine tierärztliche Kontrolle fordern.

Ab 14 Uhr darf man sich für das Pferd bewerben

So ein Schutzvertrag ist zwei Jahre gültig, Eigentümer eines Klappenpferdes wird man erst danach, vorher ist man ein sogenannter Übernehmer. 350 Euro müssen für Jaga an den Verein bezahlt werden. Das sind die während ihres Aufenthalts entstandenen Kosten. Jaga war nur ein paar Tage hier wie die meisten der Tiere. Ab und zu dauert es aber auch Wochen, bis ein Pferd einen neuen Platz findet. Früher führte der Verein eine Liste mit Kontakten, die an einem Pferd interessiert sind. Heute dagegen wird ein neues Pferd, wenn es vom Tierarzt freigegeben ist, morgens auf Facebook oder Instagram gepostet, ab 14 Uhr darf man dann anrufen und sich bewerben.

"Es gab am Anfang Leute, die haben über mich und meine Idee gelacht”, sagt Petra Teegen. "Die haben nicht geglaubt, dass das funktioniert.” Jetzt erst recht hat sie damals gedacht. "Ich war ja sowieso schon immer der bunte Hund unter den Pferdeleuten, auch als ich noch selbst geritten bin.” Inzwischen helfen ihr viele Menschen aus der Reiterszene: "Freizeitreiter, Turnierreiter, alte und junge Reiter, ehemalige Reiter, da ist alles dabei”, sagt sie. Mittlerweile sitzt Petra Teegen zusammen mit Ingrid Klimke in der fünfköpfigen Jury des "wehorse Courage Awards”, mit dem Menschen geehrt werden, die sich in besonderer Art und Weise für den Tierschutz im Reitsport einsetzen. "Denn wir Pferdeleute sollten alle dichter zusammenrücken”, sagt Petra Teegen. Dass das Alter sie zwingen könnte irgendwann auch mal innezuhalten und Luft zu holen, ist ein Gedanke, den sie beiseite wischt. "Aufgeben ist nicht so mein Ding”, sagt sie. "Und nein sagen, wenn ich um Hilfe gebeten werde, erst recht nicht.”

Sie fasst sich ins Genick. "Vor Jahren ist ein Pferd über mich weggelaufen, seitdem sind drei meiner Wirbel fusioniert. Ich kann deshalb den Kopf nicht mehr zur Seite bewegen, sondern nur noch auf und ab.” Sie grinst. "Das heißt also, ich kann sowieso nicht nein sagen, nur immerzu Ja nicken.” Die Pferde haben ihr vor fast vierzig Jahren geholfen, nicht vom Chaos des Lebens verschluckt zu werden, deshalb wird sie auch nicht aufhören, ihnen zu helfen. Vor Jahren war sie beim damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu einem Bürgertreffen eingeladen. Ein anwesender Politiker fragte sie, wie sie denn zu so einer erfolgreichen Trommlerin für Pferde in Not geworden sei. "Mit Herz und Hirn”, hat Petra Teegen geantwortet.

Weitere Informationen

Wer ein Pferd aufnehmen will, der sollte sich auf Instagram oder Facebook bei Pferdeklappe/Notbox Schleswig-Holstein informieren. Dort werden die Pferde vorgestellt und nach Prüfung durch den Tierarzt zur Vermittlung freigegeben. Der Verein kann mit Geld- oder Sachspenden oder einem Mitgliedsbeitrag von zehn Euro im Jahr unterstützt werden. Alle 14 Tage finden Klappenführungen statt. Infos zu Führungen, Spendenkonto, Aktuelles unter: erste-pferdeklappe.de