Wenn Shettys im Labor Knöpfe drücken und abstrakte Symbole unterscheiden, sind wir nicht in einem Science-Fiction-Film, sondern in einem „Stall-Labor“ im niedersächsischen Göttingen. Dort hat Dr. Vivian Gabor ihre Zelte aufgeschlagen und dort macht sie ihre Versuche und Studien zum Lernverhalten von Pferden. Immer wieder zeigt sie dabei, dass Pferde zu weit mehr fähig sind, als bisher angenommen wurde.
Aber wie wird man eigentlich Pferdeforscherin? CAVALLO hat Vivian Gabor zuhause besucht und ist einen Tag lang in ihre Welt eingetaucht.
Biologiestudium mit Schwerpunkt lernen bei Tieren
Dass es Gabor zur Wissenschaft zieht, zeichnete sich früh ab. Als Kind im schwäbischen Tübingen war sie am liebsten mit Pferden, Kaninchen oder Meerschweinchen zusammen. Sie beobachtete die Tiere intensiv und war oft im Wald auf der Suche nach Wildtieren. Auf die Frage, was sie mal werden wolle, antwortete sie: „Tierbeobachter!“ Kein Wunder, dass sie nach dem Abi ein Biologie-Studium begann.
Eine Reitbeteiligung brachte sie mit 16 Jahren zum Westernreiten. Während des Studiums kaufte sie ihr erstes Pferd. Criollo-Wallach Pablo ist heute 20 Jahre alt und immer noch fit, wie das Fotoshooting für die Geschichte zum Gehirntraining auf den vorigen Seiten zeigt. Die beiden schafften es im Turniersport bis zur deutschen Reining-Meisterschaft 2005 und 2006. Gabor machte ihren Trainerschein und tauchte parallel dazu im Studium immer tiefer in die Lernforschung bei Tieren ein.
Pferde lernen im Laufstall mehr als in der Box

Dabei wurde ihr klar, wie wenig man bisher übers Pferdeverhalten wusste. „Noch vor 30 bis 40 Jahren galten Pferde als dumm – dabei sind es höchst sensible, emotionale Wesen, die zu enorm vielem fähig sind“, sagt die Wissenschaftlerin. Durch ihre Forschungen möchte sie den Menschen die Bedürfnisse von Pferden klarer machen und ihnen wichtiges Wissen vermitteln. Also untersuchte Gabor 2006 für ihre Diplomarbeit das Lernverhalten von Pferden, die in der Box oder im Laufstall gehalten wurden. „Ich war in Tübingen mit der Pferdestudie eine Exotin – bei uns forschten die Studenten hauptsächlich an Ratten“, erzählt Vivian Gabor. Mit ihrem Versuch in Tübingen leistete sie Pionierarbeit. Ihre Untersuchungen bestätigten das, was sie vermutete: Sie fand heraus, dass Pferde aus Laufstallhaltung leichter und besser lernten als Pferde, die in der Box gehalten wurden.
Ihre Erkenntnisse stellte sie auf einer wichtigen Ethologie-Tagung in Freiburg vor, ihre Forscher-Laufbahn kam langsam ins Rollen. Ebenfalls 2006 erfuhr sie vom damals gerade neu gegründeten Master-Studiengang „Pferdewissenschaften“ in Göttingen und schrieb sich dort ein. „Ich wollte noch mehr darüber wissen, wozu Pferde kognitiv eigentlich fähig sind“, sagt sie. Also ließ Vivian Gabor für ihre Doktorarbeit Shettys im Labor Kreise und Kreuze unterscheiden und zuordnen. Sie stellte fest, dass die Ponys differenzieren konnten, ob auf dem Bildschirm vier oder fünf Kreise zu sehen waren.
Wissenschaft und Praxis verknüpfen
Während ihrer Doktorarbeit, die sie 2008 begann, kaufte sie 2011 gemeinsam mit ihrem Mann Carsten in Greene bei Göttingen einen ehemaligen Schweinemastbetrieb, den das Paar in einen modernen Pferdehof umwandelte. Tagsüber grübelte Gabor am Schreibtisch über ihre Doktorarbeit, abends entrümpelte sie den Hof, der viele Jahre leer gestanden hatte. „Ich wollte mit dem eigenen Hof auch weiterhin ganz nah an der Praxis dranbleiben und mit Pferden arbeiten“, sagt Gabor. So entstanden ein artgerechter Laufstall und ein Seminarzentrum, wo heute Seminare und Kurse stattfinden. „Ich möchte Wissenschaft mit der Praxis verknüpfen und dafür sorgen, dass Reiter mehr über die Bedürfnisse und das Lernverhalten ihrer Tiere wissen und selbst praktisch anwenden können.“
Bei ihr lernen Reiter, warum ihre Pferde Verhaltensprobleme haben und wie sie auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer klaren Kommunikation Probleme lösen können. „Letztendlich betreibe ich damit aktiven Tierschutz“, findet Gabor. Das kommt an in Fachkreisen: Immer öfter wird sie von Berufsgenossenschaften, der FN oder bei Tierschutz-Tagungen als Referentin eingeladen.
Forschungsziel: Wie haltbar sind Erinnerungen?

Einen Tag pro Woche arbeitet Vivian Gabor als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen. Sie betreut dort Studenten bei ihren Bachelor- oder Masterarbeiten, hält Vorlesungen und forscht. Aktuell untersucht sie etwa, wie konzentrationsfähig Pferde sind und wie lange sie sich an komplexere Aufgaben erinnern können, die sie mal gelernt haben.
„Wir wissen schon, dass Pferde sich Bewegungen, die sie mal gelernt haben, sehr lange merken können“, sagt sie. Sitzt die Traversale, ist sie auch nach fünf Jahren noch abrufbar. Anders ist das bei Aufgaben, die das Pferd kognitiv fordern – wie etwa Symbole zu unterscheiden. „Pferde vergessen komplexere Aufgaben, wenn sie länger nicht geübt haben“, sagt Dr. Vivian Gabor.
Für die Studien müssen oft private Tiere herhalten
Neben dem Lernen faszinieren Gabor auch die Emotionen und die Kommunikation der Pferde. „Die Interaktion von Mensch und Pferd, und was dabei alles eine Rolle spielt, finde ich spannend – etwa welchen Einfluss der innere Zustand des Menschen auf das Pferd hat“, erzählt sie.
Solche und viele andere Fragen kommen der Pferdewissenschaftlerin im Rahmen ihrer Arbeit. Doch nur aus wenigen Ideen werden konkrete Forschungsprojekte. Pferde sind teure und große Studienobjekte, das macht die wissenschaftliche Arbeit aufwendig. „Universitäten stellen keine Pferde zur Verfügung. Deshalb müssen oft Privattiere herhalten, die aber recht unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen“, erklärt Gabor. Eine weitere Forschungshürde: „Pferde geben keine direkten Antworten auf Fragen“, sagt Gabor. Für Studien müssen die Forscher deshalb die Versuche immer so aufbauen, dass ihnen das Verhalten der Pferde Antwort auf ihre Fragen gibt. Das kann sehr kompliziert sein. Trotzdem forscht Gabor gern.
Und sie gibt ihr Wissen mit großem Enthusiasmus weiter. Seit dem letzten Jahr bildet Gabor in ihrem „Institut für Verhalten und Kommunikation (IVK)“ pferdegestützte Therapeuten und Pferdeverhaltenstrainer aus. Sie sollen das Forschungswissen in die breite Praxis überführen: „Es gibt noch zu viele Reiter, die es zwar gut meinen, aber zu wenig über Pferde wissen, um ihren Tieren ein stressfreies Leben zu ermöglichen.“
Neueste Erkenntnisse vermittelt Gabor auch per Buch (etwa „Mensch und Pferd auf Augenhöhe – Pferdegerecht kommunizieren“, Müller Rüschlikon Verlag), sie hält Demos bei Messen und Events. In CAVALLO ist sie als Verhaltensexpertin regelmäßig präsent. Mit der Artikel-Reihe „Forschung für die Praxis“ präsentiert sie Wissenschaft für jeden – etwa wie man die Herdenrangfolge bestimmt oder erfährt, wie gut ein Pferd sein Futter kaut.
In ihrer niedersächsischen Wahlheimat ist die Schwäbin mittlerweile voll integriert und bei den Dorffesten des Heimatvereins für ihr langes Sitzfleisch bekannt. Beim CAVALLO-Termin kann sie das aber heute nicht länger trainieren und von ihrer spannenden Arbeit erzählen: Sie muss los zum Unterricht auf einem Hof in der Nähe. Ganz im Sinne ihres Ziels, die Pferdewelt durch in die Praxis umgesetztes Wissen ein bisschen besser zu machen.
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