Hengste fristen in den meisten Ställen ein Leben in Einzelhaltung und erleben oft eine Ausbildung, die auf viel Kontrolle basiert. Einen Hengst nur zum Reiten zu halten, kann aber durchaus pferdegerecht sein– in erfahrenen Händen.
Mit ihrem Junghengst Pepe geht Ausbilderin Yvonne Gutsche diesen pferdegerechten Weg: Der Dreijährige ist sozial integriert aufgewachsen, steht in einer kleinen Herde auf der Koppel und wird auch in der Nähe von Stuten gearbeitet. Mit viel Liebe, aber klaren Regeln hat sich Pepe zu einem selbstbewussten und mental ausgeglichenen Pferd entwickelt. Die Trainerin zeigt, was dahinter steckt.
Hengst-Haltung: artgerecht ist möglich!
Hengst Pepe ist selbst gezogen und lebt seit seiner Geburt bei Yvonne Gutsche. "Ich habe darauf Wert gelegt, dass Pepe im Herdenverband aufwächst und lernt, sich sozial zu verhalten", sagt sie. Hengste, die isoliert werden, sobald sie geschlechtsreif sind, verlieren ihre soziale Kompetenz. Will man sie nach langer Zeit des Alleinseins wieder zu anderen Pferden stellen, ist das für diese Hengste dann keine Selbstverständlichkeit, sondern macht ihnen meistens Stress.
Inzwischen ist Pepe dreijährig und weiß, dass er ein ganzer Kerl ist. Dennoch steht er immer mit zwei Wallachen auf der Weide. "Das klappt wunderbar", erzählt Gutsche, "die Wallache haben sogar die Hosen an." Doch sie betont, dass eine Herdenhaltung nicht immer möglich ist: "Das hängt vom jeweiligen Individuum ab. Extrem hengstige Typen, denen ihr Testosteron oft zu Kopf steigt, können sich wahrscheinlich weniger gut in eine Gruppe integrieren." Da diese Tiere meistens auch im Umgang schwierig sind, hat sie dazu eine klare Meinung: "Kastrieren ist in solchen Fällen die richtige Lösung – vor allem für das Pferd selbst. Die Hormone setzen den Hengst unter Dauerstress. Das ist keine gute Lebensqualität."

Jungs-Bande: Hengst Pepe (links) steht immer zusammen mit Wallachen auf der Weide.
Umgang mit Hengsten: Beschäftigen statt bestrafen
Wie viele Mannsbilder unter den Pferden nimmt auch Pepe gerne Dinge ins Maul. Wer hat es nicht schon beobachtet, dass das Tier am Ärmel zupft, in den Strick beißt oder sogar zwickt und schnappt. Doch so weit muss es nicht kommen, meint Yvonne Gutsche. "Pepe hat wie viele andere Pferde das Bedürfnis, sich oral zu beschäftigen. Wenn ich ihm das verbiete, kommt Frust auf. Das muss doch nicht sein." Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Pferd und Mensch dabei oft in einen Teufelskreis geraten. Wird das Pferd immer wieder ermahnt, wird das Verhalten nicht besser, sondern noch schlimmer. Ihre Lösung: die Knabberlust des Junghengstes in etwas Sinnvolles umwandeln. Das Apportieren etwa ist für Pepe die tollste Übung. Am Anfang lobt Yvonne Gutsche den Hengst immer, wenn er einen Gegenstand ins Maul nimmt. Allmählich verknüpft sie damit ein Stimmkommando, etwa "Apport". Nimmt Pepe einen Gegenstand zwischen die Lippen, bekommt er ein dickes Lob, einen Keks und die Trainerin sagt das Kommando. Irgendwann verbindet Pepe das Kommando mit dem Apportieren. Yvonne Gutsche achtet darauf, dass sie zum Apportieren Gegenstände auswählt, die Pepe gerne ins Maul nimmt. "Da muss man ein bisschen ausprobieren, welches Material das jeweilige Pferd mag", sagt die Trainerin.

Pepes Knabberlust lenkt Yvonne Gutsche in eine Übung um: das Apportieren.
Stuten: verführerisch, für den Hengst aber tabu
Mädels findet Pepe zwar interessant – aber er hat gelernt, dass der Mensch den Ton angibt. Yvonne Gutsche hat ihren Hengst früh an Stuten in seiner Nähe gewöhnt. So hat sie ihn von Anfang an mit Stuten in der Halle gearbeitet. Erst als das sicher gelang, nahm sie Pepe sogar als Handpferd neben einer Stute mit. "Die Voraussetzung dafür ist gute Erziehung", erklärt Yvonne Gutsche. "Ich reagiere konsequent und immer sofort. Deshalb kann Pepe meine Reaktion einschätzen und weiß genau, was ich von ihm möchte. Nur wenn er sehr ungebärdig ist, muss ich deutlicher werden – dann kann ich auch mal am Strick zupfen oder lauter werden. Sicherheit geht vor."

Der Hengst (links) ist gewohnt, in der Nähe von Stuten zu sein. Sogar bei der Freiarbeit hat er sich im Griff.
Klare Grenzen erleichtern den Umgang enorm – und ersparen Mensch und Pferd Stress und Diskussionen. Schmachtet Pepe doch mal eine Stute an, reicht oft nur ein "Nein", um ihn wieder zur Ordnung zu rufen. Mit neuen Aufgaben und bekannten Übungen lenkt Yvonne Gutsche den Hengst ab und bringt sich wieder in seinen Fokus. Dabei setzt sie vor allem ihre Körpersprache ein. "Dann muss Pepe noch mehr auf mich achten, um zu sehen, was ich mache", erklärt sie.

Kein bester Kumpel, sondern eine Stute: Pepe weiß, das Anbaggern tabu ist.
Hengst reiten: Vertrauen gibt Sicherheit
Unterm Sattel geht Pepe bereits in allen Gangarten nur mit Halsring. Das klappt easy, weil Yvonne Gutsche ihr Training von Anfang an so aufbaut, dass das Pferd alle Hilfen schon vom Boden aus kennenlernt. Bei der Freiarbeit setzt sie zum Beispiel zwei Gerten ein, mit denen sie Pepe einrahmt. So kann sie die äußeren und inneren Hilfen erklären. Mit ihrer Körpersprache agiert sie ähnlich wie im Sattel: Soll das Pferd sich mit ihr nach innen bewegen, inklusive Stellung und Biegung, dreht sie sich selbst leicht nach innen ein – wie beim Drehsitz. Einmal gelernt, versteht Pepe diese Hilfen auch unter dem Reiter und lässt sich genauso wie am Boden zwischen zwei Gerten führen.

Dreijährig lässt Pepe sich schon brav mit Halsring reiten.
Die intensive Arbeit am Boden schweißt zusammen. Das Pferd fokussiert sich sehr auf den Menschen, und durch die vielen Aufgaben bleibt es motiviert und aufmerksam. Yvonne Gutsche macht alle jungen Pferde mit möglichst vielen verschiedenen Situationen Schritt für Schritt vertraut. Unbekanntes wird so schnell zur Routine und die Pferde lernen, dass sie sich auf ihre Trainerin verlassen können. Diese gute Basis gibt dem Hengst auch in neuen Situationen Sicherheit. "Pepe kommt immer gleich zu mir und bleibt bei mir, wenn ich ihn auf der Weide besuche. Das zeigt, dass er gerne mit mir zusammen ist", so Yvonne Gutsche.
"Und das ist übrigens etwas, was Hengste besonders macht", betont die Trainerin. "Meiner Erfahrung nach binden sie sich enger an den Menschen als Stuten oder Wallache. Wenn die mich auf der Weide sehen, kommen sie zwar auch – sind aber dann schnell wieder verschwunden und widmen sich anderen Dingen."

Pepe mit seiner Besitzerin und Ausbilderin: In erfahrenen Händen kann ein Hengst zum Verlasspferd werden.
Klarheit ist bei der Hengst-Erziehung das A und O
Oft werden kleine Alltags-Nachlässigkeiten schnell zu schlechten Angewohnheiten. "Das, was wir zulassen, trainieren wir genauso wie das, was wir wollen”, sagt Yvonne Gutsche. Den meisten Pferdebesitzern wird sofort etwas einfallen, was sie ihrem Pferd immer wieder durchgehen lassen. Wer kennt das nicht: Das Tier läuft beim Aufsitzen schon los, lässt sich beim Führen hinterherziehen oder zupft beim Ausritt Blätter von den Bäumen. Mal schimpfen wir, dann wieder nicht. Und das Pferd lernt: Ich probier’s mal, meistens geht’s ja. Mit dem meisten Pferden ist das eingespielte Routine – und erlerntes Verhalten. Aber Hengste sagen schon eher: Gibst du mir den kleinen Finger, nehme ich die ganze Hand! Ein paar Regeln schaden nicht, auch wenn wir es gut mit unseren Pferden meinen. "Klarheit schafft einen sicheren, vertrauensvollen Rahmen. Und der ist bei allen Pferden willkommen", betont Yvonne Gutsche.

Yvonne Gutsche züchtet Quarter Horses und bildet Pferde reitweisenübergreifend aus. Sie hat ein Händchen für besonders schwierige oder traumatisierte Tiere. www.yvonne-gutsche.de