Test und Tipps: So geht gute Führung

Test und Tipps: So geht gute Führung
Was es für eine gute Führung Ihres Pferdes braucht

Zuletzt aktualisiert am 26.06.2017

Du musst dominanter sein“, meint der Stallkollege. „Zeig dem Gaul mal, wer wirklich der Chef ist“, rät ein anderer. „Der tanzt dir doch auf der Nase herum!“, sagt der Dritte. Haben Sie auch schon Ähnliches zu hören bekommen? Solche Sätze fallen in manchen Reitställen so häufig wie Pferdeäpfel – dabei sind sie genau wie die Bollen reif für den Misthaufen.

Unterdrückung adé

Denn: Es ist Zeit, sich vom Dominanz-Konzept zu verabschieden. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich ein internationales Forscherteam. Führende Pferdeexperten verglichen zahlreiche Studien, die sich mit der Mensch-Pferd-Beziehung beschäftigt haben. Ziel war es herauszufinden, wie erfolgversprechend Dominanz im Pferdetraining nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen tatsächlich ist. Das Fazit: Egal ob im Sattel, bei der Bodenarbeit oder im Umgang – das Pferd zu unterdrücken und dabei gar mit Strafe zu drohen, führt eher zu unerwünschtem Verhalten anstatt zu Trainingserfolgen.

Zuhören statt befehlen

Laut der Forscher hören Pferde gut und gerne, wenn wir uns in der Körpersprache an natürlichen Signalen orientieren und berücksichtigen, auf welche Art die Tiere lernen. Dominanz hingegen spielt in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd keine oder nur eine geringe Rolle.

Dominanz = höherer Rang

Das Problem mit der Dominanz beginnt bereits beim Begriff. Viele verbinden ihn mit absoluter Herrschaft übers Pferd. Dabei verstehen Biologen darunter einfach, dass manche Individuen einen höheren Rang haben als andere. „Dieses Konzept dürfen wir nicht missbrauchen, um Strafe und Gewalt im Training zu legitimieren“, sagt Verhaltensexpertin und Trainerin Dr. Vivian Gabor aus Niedersachsen (www.viviangabor.de).

Klären Pferde untereinander den Rang, geht es meist um Ressourcen wie Futter und Wasser. Hengste streiten um Stuten. Bei Rangkämpfen in der Herde ist der Preis etwas Essentielles. „Kämpfen bedeutet immer auch die Gefahr sich zu verletzen. Ohne guten Grund gehen Pferde dieses Risiko nicht ein“, so die Expertin.

Druck erzeugt Stress

Im Kontakt mit Menschen geht es um ganz andere Dinge als in der Herde: Reiter streiten mit Pferden nicht um Ressourcen. Sie möchten vielmehr, dass ihr Pferd etwas für sie tut. Das Tier soll etwa Seitengänge zeigen, aufs Podest klettern oder brav an der Longe zirkeln. Wir möchten unseren Tieren etwas beibringen. Druck ist dafür kontraproduktiv, denn er löst beim Pferd Stress aus. „Viele Studien belegen, dass Stress sich negativ aufs Gedächtnis auswirkt“, sagt Vivian Gabor, die das Lernverhalten von Pferden erforscht. Eine entspannte Atmosphäre ist also Grundvoraussetzung fürs Lernen.

Beziehung fürs Lernen

Anstelle von Hierarchie spielen vor allem Erfahrungen und Interaktionen mit dem Menschen beim Lernverhalten des Pferds eine Rolle. Studien zeigen, dass Pferde sich lange Zeit an Trainer und Aufgaben erinnern. Dazu später mehr. Zunächst zur Grundlage vieler Untersuchungen mit Pferden: der Konditionierung. Sie ist das Hauptprinzip, nach dem Pferde lernen.

Konditionierung bedeutet, dass der Reiter erwünschtes Verhalten verstärkt. Das kann er auf zwei Arten tun: Er nimmt einen unangenehmen Reiz weg (negative Verstärkung); der Schenkeldruck hört etwa auf, wenn das Pferd willig weicht. Oder er setzt einen angenehmen Reiz (positive Verstärkung) und füttert etwa ein Leckerli, wenn das Pferd etwas gut macht.

Falsche Konditionierung statt Dominanzproblem

Die Ursache für Unarten ist oft falsche Konditionierung und nicht ein Dominanzproblem: Pferde sind schlau. Sie merken sich blitzschnell Handlungsmuster. Achtung! Das ist schön, wenn wir dem Vierbeiner bewusst etwas beibringen. Aber es ist tückisch, wenn wir es unbewusst tun: Das Pferd bekommt etwa den Futtereimer, wenn es scharrt. Was ist die Folge? Wir belohnen unerwünschtes Verhalten und verstärken es.

Positiv konditionieren ist nachhaltig

Läuft die Konditionierung hingegen bewusst und gut ab, hilft sie dabei, einen verlässlichen Partner zu bekommen. Eine Studie aus Frankreich belegt: Wer es schafft, sein Pferd auf positive Art zu trainieren, wird später noch lange von den Effekten zehren. Die Forscher stellten 23 jungen Pferden wiederholt Lernaufgaben und belohnten gute Leistung mit Futter. Die Pferde sollten dadurch positive Erfahrungen mit dem Menschen verknüpfen. Tatsächlich trug das Training dazu bei, dass die Tiere mehr Nähe und Kontakt zu den Trainern suchten. Laut Studie waren die positiven Effekte sogar nach mehr als sechs Monaten noch sichtbar. Und das, obwohl die Pferde in der Trainingspause keinen Kontakt zum Menschen hatten. Positive Erfahrungen sind also wichtig für eine gute Beziehung. Was noch?

Ein guter Anführer sagt, wo es langgeht

Klar, wir wollen eine gute Beziehung zum Pferd. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir dem Tier alles durchgehen lassen sollen. Im Gegenteil: Schon allein für die Sicherheit im Umgang ist es wichtig, dass das Pferd gewisse Regeln respektiert. Und Respekt beginnt beim Platzanspruch.

Wollen Wissenschaftler in einer Herde die Rangfolge ermitteln, beobachten sie: Wer bewegt eigentlich wen? Der Ranghöhere verschafft sich Platz, der Rangniedrigere weicht aus. „Jetzt schauen Sie mal in die Reitställe, da drängeln, schubsen und schieben Pferde fröhlich die Menschen durch die Gegend“, sagt Trainer Michael Geitner (www.pferde-ausbildung.de). „Dabei gilt für Pfede dasselbe wie in der Liebe: Nur wer sich nicht rumschubsen lässt, ist interessant“, so der Trainer. Führung fängt laut Michael Geitner im Kleinen an. Achten Sie im alltäglichen Umgang darauf: Gehe ich wirklich vor oder doch das Pferd? Wer bestimmt das Tempo? Drängelt das Pferd beim Putzen?

Mit kleinen Gesten steuern

Aus der Pferdeherde lässt sich abschauen: Wer sich Respekt verdient hat, steuert andere mit kleinen Gesten. Um sich Platz zu schaffen, nutzen Pferde Mimik und Körpersprache. „Oft genügt ein Blick und das Tier mit dem niedrigeren Rang macht Platz“, sagt Vivian Gabor. Klappt das nicht, verstärkt eine dynamische Bewegung die Botschaft. Teils drohen Pferde dabei auch und legen die Ohren an. Tritte und Bisse folgen erst, wenn nichts anderes hilft.

Erwartbares Handeln fördert Vertrauen

Dieses Prinzip sollten auch Reiter berücksichtigen. „Steigere ich Hilfen stets auf die gleiche Art, weiß das Pferd, was es zu erwarten hat. Es kann sich darauf verlassen, was kommt“, sagt die Forscherin. Das fördert das Vertrauen und das Pferd lernt, dass es angenehmer ist, direkt auf feine Signale zu reagieren, anstatt auf stärkeren Druck zu warten.

Und was, wenn das Pferd im Training mal gar nicht reagiert? „Ruhe bewahren und sich nicht zur Strafe hinreißen lassen“, rät Michael Geitner. Für ihn ist es eine hohe Art der Führung, auch mal zu sagen: „Okay, wir reden morgen weiter.“

Genau das gilt auch, wenn Ihnen wieder jemand einen dummen Dominanzspruch um die Ohren haut. Mit den Argumenten von Trainern und Forschern können Sie guten Gewissens einfach freundlich bleiben.