Fast bleibt Silke die Luft weg, als sie in der kleinen Runde erzählt. Ihr gegenüber sitzen Dressurausbilderin Marcella Becker und Jutta Blumhagen, Expertin für Angstauflösung bei Reitern und Heilpratikerin für Psychotherapie.





Emotionen aus Zellerinnerung löschen
Blumhagen arbeitet mental, negative Emotionen und Glaubensmuster will sie aus der „Zellerinnerung“ löschen – ein „Reset“ ganz ohne „Heulen und Zähneklappern“. Ob die Angst sich bei Silke und der zweiten Kursteilnehmerin Iris wohl so einfach ausradieren lässt?
Ich bin gespannt, wie Becker und Blumhagen zusammenarbeiten – und beeindruckt, wie offen Iris und Silke von ihren Ängsten erzählen, die wahrscheinlich viele Reiter kennen.
„Lieber nur Hallo sagen“
„Ich freue mich richtig, wenn ich nicht reiten muss“, sagt Silke. Sie hat ihren neunjährigen PRE-Wallach Miró vom ersten Anreiten an selbst ausgebildet. Seit sie aber mit ihm im Galopp stürzte, sitzt sie kaum noch im Sattel, geht ihrem Pferd lieber nur „Hallo“ sagen. Der Unfall ist jetzt etwa ein Jahr her.
„Anfangs dachte ich, das geht schon vorbei, aber mit der Zeit wurde die Angst immer schlimmer“, erzählt Silke. Vor allem der Gedanke an Galopp lässt Panik in ihr aufsteigen, inzwischen kann die 39-Jährige nicht mal mehr zusehen, wenn ihr Mann oder ihre Tochter mit Miró galoppieren.
Fehlendes Vertrauen ins Pferd
Auch Kursteilnehmerin Iris (47) berichtet von den Problemen mit ihrem siebenjährigen Tinker. Ihr fehlt Vertrauen zwischen ihr und ihrem Fairy. Er rückt ihr oft respektlos auf die Pelle, beim Aufsitzen und manchmal auch beim Reiten wirft er den Kopf hoch oder deutet an zu buckeln – und das macht Iris Angst.
Ziele benennnen
Beide Teilnehmerinnen sollen einen Fragebogen mit Selbsteinschätzung ausfüllen, notieren, was sie reiterlich und mental anstreben und wie der Jetzt-Zustand aussieht. So sollen sie am Ende des Coachings leichter nachvollziehen können, ob sie ihre Ziele erreicht haben.
„Ihr werdet wahrscheinlich konkrete Dinge eintragen, wie etwa: Ich will wieder galoppieren“, sagt Jutta Blumhagen. „Es kann aber gut sein, dass wir uns erst mal um ein anderes, grundlegenderes Problem kümmern müssen – genauso, wie man nicht die Fensterrahmen eines Hauses streichen kann, wenn es unter dem Dach brennt.“





Im Reiter-Pferd-Tandem ran an die tiefen Angst-Schichten
Dass jegliche Form von Angst beim Reiten oft mit übergeordneten Glaubenssätzen zu tun hat, die sich auch in anderen Lebensbereichen wiederfinden, hatte Blumhagen mir im Vorfeld erzählt. Es gehe im Kurs darum, die tieferen Schichten der Angst zu entfernen und die Veränderung direkt im Reitunterricht zu integrieren.
„Herkömmliches Training in solchen Situationen ist immer eine mühsame und langatmige Arbeit, sowohl für das Pferd als auch für den Reiter“, sagt Dressurausbilderin Marcella Becker. Die Kombination von Reitunterricht und Blumhagens Auflösungsarbeit bringe eine spontane Veränderung, die nachhaltig erhalten bleibe. Gemeinsam hat das Duo schon mehrere Reiter im „Tandemcoaching“ unterstützt.
Wie Jutta Blumhagen mir sagt, muss sie, um mit einem Pferd oder Menschen zu arbeiten, nicht mal neben ihm stehen. Heilung aus der Ferne? Das klingt für mich erstmal ziemlich nach Hokuspokus. Und was soll da eigentlich genau passieren? Bevor es losgeht, schnappe ich mir Jutta Blumhagen auf der Stallgasse. „Stell dir vor, ich sei ein Diagnosestecker, der herausfindet, wo das Problem liegt“, sagt sie. „Wenn ich im Arbeitsmodus bin, sehe ich das einfach. Ich checke den Reiter und sein Pferd mental und körperlich mit einem feinstofflicheren Sinn ab.“
Die Engergiemedizin arbeitet mit Schwingungen
Jutta Blumhagen hat eine besondere Form des Coachings speziell für Angstreiter entwickelt. Sie verknüpft verschiedene Methoden. Grundlage ihrer Arbeit ist die „Energiemedizin“, die wie Blumhagen mir erklärt, auf der Quantentechnik beruht und mit Schwingungen und Energien arbeitet.
„Durch die Auflösungsarbeit von Jutta findet die Reiterin zu einer besseren Präsenz und Handlungsfähigkeit. Dadurch wird die Effektivität des Unterrichts enorm gesteigert“, berichtet Marcella Becker. Wie das funktioniert, will ich heute live mitverfolgen.
„Aufstellung“ mit Pylonen
Iris bringt Tinker Fairy in die Cantushalle, wo der Kurs stattfindet – erst mal zu Fuß. Zunächst gibt Marcella Becker Iris Anweisungen: „Mach mal größere Schritte, geh dann langsamer – Fairy soll sich an dich anpassen.“ Iris blickt dabei ernst. Mir fällt auf, dass Fairy immer wieder nach dem Führstrick schnappt und darauf herumkaut. Jutta Blumhagen geht neben beiden her, irgendwann hakt sie ein und stoppt, steht eine Weile nur still neben dem Paar, dann schnappt sie sich Pylonen von der Bande.
Zwei Kegel sollen nun Stellvertreter für Iris und Fairy sein, ein dritter steht für „die Erwartungshaltung“. Den Kegel für Fairy platziert Blumhagen hinter dem für Iris im Sand. „Dein Pferd steht hinter dir, gibt dir Kraft und Ruhe. Gleichzeitig ist er aber in einer Position, in der er selbst Schutz braucht“, erläutert sie. Der siebenjährige Fairy sei noch ein echtes „Baby“, das zeige sich auch an seinem knabbernden Fohlenverhalten.
Probleme bewusst wahrnehmen bedeutet Veränderung
Iris kann sich mit Juttas Aufstellung gut identifizieren. „Fairy läuft tatsächlich viel lieber in Fohlenposition hinter mir anstatt neben mir“, sagt sie. Jutta analysiert, dass Iris zu wenig auf den Weg schaut, den sie geht, und zu viel auf Fairy. „Bei dir ist gespeichert, dass es nicht akzeptabel ist, jemandem zu sagen, wo es entlanggeht“, meint die Heilpraktikerin für Psychotherapie. Iris solle Fairy ruhig in Fohlenposition gehen lassen, aber genau den Weg fokussieren, den sie gehen möchte. „Führung kann auch warm und liebevoll sein“, ergänzt Marcella Becker.
Als Iris anschließend erneut von Bahnpunkt zu Bahnpunkt geht, wirkt sie deutlich entspannter und lächelt. „In dem Moment, in dem Iris die Hintergründe ihrer Probleme bewusst wahrgenommen und bestätigt hat, passierte die Veränderung für sie und ihr Pferd“, sagt Marcella Becker mir später.
Gurtzwang aus früheren Zeiten
Am Nachmittag heißt es dann: Aufsitzen! Genau wie Iris erzählt hatte, hebt Fairy beim Aufsitzen den Kopf und deutet an zu bocken. Danach ist er sofort wieder brav. Auch das Gurten macht ihm Probleme. Jutta Blumhagen und Marcella Becker kommen zum gleichen Schluss: Fairy hat schlechte Erfahrungen gemacht, früher wurde rüde angegurtet.
Blumhagen verbindet sich mit dem Tinker – und sie fängt plötzlich an zu stampfen. Was soll das wohl bedeuten? Für Jutta Blumhagen erzählt Fairy über sie auf diese Weise von seiner Geschichte: „So war seine ursprüngliche Reaktion auf das unfreundliche Gurten.“ Am Gurtzwang will sie „dranbleiben“, Fairy also auch nach dem Kurs aus der Ferne behandeln. Marcella Becker rät zudem, den Sattel checken zu lassen, und Fairy wird bereits osteopathisch behandelt.

Ein Marmorkuchen sorgt für Einheits-Gefühle ohne Angst
Auch bei Silke und Miró geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme. Wieder arbeitet Jutta Blumhagen mit einer Aufstellung von Pferd und Reiter. Die Hütchen stehen weit auseinander. „Damit ihr euch näherkommen könnt, musst du das annehmen, was Miró dir anbietet“, sagt Jutta Blumhagen. „Und das ist eine ganz besondere Form von Sensitivität, von Achtsamkeit, eine Begegnung auf einer anderen Ebene.“
Silke erzählt, dass sie sich nicht mehr so verbunden mit ihrem Pferd fühlt. „Ich sitze halt drauf, aber bin wie ein blinder Passagier.“ Ein starkes inneres Bild der Verbindung soll helfen – aber Silke fällt erst mal keins ein. „Wie wär’s mit Marmorkuchen?“, wirft CAVALLO-Fotografin Lisa Rädlein ein, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Ja, warum eigentlich nicht, das Bild lockert die Stimmung auf und passt perfekt zur gewünschten Verschmelzung. „Ich bin der helle Teig, Miró der dunkle“, entscheidet Silke.
„Stell dir vor, du tropfst nach unten in den dunklen Teig“, regt Jutta Blumhagen an. Beim Reiten soll Silke immer wieder an den Kuchen denken, während Marcella Becker einfühlsam eine Dressureinheit mit Schulterherein, Kruppeherein und Kehrtvolten anleitet. Immer wieder lobt sie Silkes feine Reitweise. „Du kannst das ja alles schon. Du musst das nur wieder anwenden!“ Was Silke noch nicht weiß: Diese erste Reiteinheit dient bereits der Vorbereitung für das Galoppieren am nächsten Tag. Nach dem Absitzen ist Silke überglücklich: „Ich bin sehr lange nicht mehr so geritten!“
Der erste Galopp nach der Angst-Phase begeistert
Am zweiten Kurstag arbeiten die Teilnehmerinnen ohne das CAVALLO-Team weiter. Als ich zwei Tage später mit Silke telefoniere, sprudelt es nur so aus ihr heraus, von Luft wegbleiben keine Spur mehr: „Ich bin am zweiten Tag tatsächlich galoppiert – obwohl ich viel Geld darauf verwettet hätte, dass ich das nicht tue.“ Und Iris?
Sie machte mit Fairy Freiarbeit und freute sich, dass er ihr plötzlich folgte und Abstand einhielt. „Und der Gurtzwang ist weg!“ Reiterlich wird sie mit ihrem „Baby“ auf Marcella Beckers Rat „step by step“ noch mal neu anfangen. „Das nötige Selbstbewusstsein dafür habe ich jetzt endlich wieder“, sagt sie.
Kommentar von CAVALLO-Redakteurin Natalie Steinmann
Mit einem feinstofflichen Sinn Patienten durchleuchten und dadurch Ängste heilen – das klingt esoterisch und kann durchaus skeptisch machen. Ob er daran glaubt, muss jeder für sich entscheiden. Eines hat im Kurs auf jeden Fall geklappt: Die Teilnehmerinnen fühlten sich ernstgenommen und profitierten stark.
Wie ein Nachgespräch zeigte, konnten sie auch alleine Zuhause gut weiterarbeiten. Auch wenn also nicht jeder nachvollziehen kann, woher die „feinstofflichen“ Erkenntnisse kommen – sie bieten einen sinnvollen Ansatz für Gespräche und Reflexion.
Die Expertinnen

Marcella Becker ist Ausbilderin für klassische Dressur und lernte u.a. bei Dr. Thomas Ritter. Sie lebt in Weinheim an der Bergstraße und bildet Pferd und Reiter aus. marcella-becker-dressur.de

Jutta Blumhagen ist zugelassene Heilpraktikerin für Psychotherapie und Expertin für Angstauflösung im Reitsport mit Praxis in Stuttgart Bad Cannstatt. juttablumhagen.com