Ein Happs und weg ist der Zucker. Michael Laußegger, 56, lächelt ein Lausbubenlächeln, wirft beim Aufsteigen noch ein Würfelchen in die Höhe und fängt es zwischen den Zähnen auf. Vor der Arbeit gibt’s Motivation in Würfel-Form. Fürs Pferd und für den Reiter. Noch ein Lächeln für die Kamera und schon schreitet er los, der stattliche Fuchs. Ein waschechter, strammer Österreicher, genau wie sein Ausbilder. Seit 14 Jahren sind die beiden ein Team, wohnen Tür an Tür.

Früher Hofreitschule, heute Hohe Schule im Ausland
Noch vor dem Frühstück führt Laußeggers erster Gang nach nebenan, wo Lipizzaner Maestoso Musica, Haflinger Nadir und Fuchs Leonardo aufs Futter warten. Langsam kriecht die Morgensonne über Wald und Wiesen im Wiener Wein-Viertel, aus den Boxen dringt zufriedenes Kauen und sonst: Stille. Schöner als auf der alten Holzbank im Hof kann man seinen Kaffee wohl kaum trinken, doch Laußegger ist viel unterwegs. Früher pendelte er zum Dienst in die Wiener Hofreitschule, inzwischen nimmt er das Flugzeug, um Schüler im In- und Ausland die Hohe Schule zu lehren.
Eine Schachtel Süßkram führte ihn vor Jahrzehnten zur Reitkunst. „Diese Schimmel auf den Wiener Katzenzungen machten mich halt neugierig“, erinnert er sich am Kaffeetisch, schmaust ein Stück vom Schokokuchen und lehnt sich im Stuhl zurück. Lichtjahre trennten ihn damals noch von der klassischen Dressur. Wobei, unterbricht er sich sofort, was heißt schon klassisch? Von Schlagworten hält er nichts. Es gibt schlechtes oder gutes Reiten, und letzteres wollte er zum Beruf machen.

Doch die Hofreitschule meldete Aufnahmestopp. Laußegger hielt sein Schicksal für besiegelt, verkaufte die Reithosen und sattelte aufs Rennrad um. Aber zwei Jahre später flatterte überraschend eine Einladung zum Vorreiten ins Haus. „Ich war ewig nicht geritten und mit 21 Jahren eigentlich zu alt für den Dienst“, erzählt er und muss lachen, denn überzeugt hat er Ignaz Lauscha und Brigadier Kurt Albrecht trotzdem. Und der Handschlag von Bereiter Paul Roland im Anschluss wurde für den gelernten Tischlerjungen fast zur Offenbarung: Diese Hände! Ganz fein und ohne Schwielen. Wenn Hände durch Reiten so zart werden, bin ich in Wien richtig, dachte er. (Selbst schmirgelte er seine gerbsäurevioletten Tischlerfinger an der Schleifmaschine sauber.)
Die Ausbildung in Wien war kein Zuckerschlecken
Überhaupt, der Geist der Schule – Details verraten die 16 Jahre lange Prägung. Bloß kein Schickschnack am Pferd, keine Gamaschen und schon gar keine Schabracken mit bunten Borten. Die Ausbildung war kein Zuckerschlecken, aber Laußegger ist dankbar, dass er die Kunst noch unter den alten Reitmeistern lernen durfte. Immer wieder legten Ältere ihm Bücher ans Herz. Waldemar Seunigs Werk „Von der Koppel bis zur Kapriole“ klappte Laußegger nach wenigen Seiten verschämt zu. „Hab nix verstanden!“, sagt er trocken und der Schalk blitzt in seinen braunen Augen.

Heute zählt der Klassiker zu seinen liebsten Büchern, weil er mit wachsendem Können fühlte, was der Autor beschreibt. Die Ehrlichkeit, mit der er über eigene Reiternöte plaudert – „Beim Schulterherein hoffte ich immer auf die Ecke, damit es vorbei ist!“ – und dabei vergnügt ins Glucksen kommt, nimmt seinen Schülern die Angst vor ihren Schwächen. Auseinandersetzen müssen sie sich trotzdem mit ihnen. Manchmal hilft eine provokante Frage auf die Sprünge, mitunter reicht ein Vorbild. Das weiß Laußegger, seit er in den 80er-Jahren Ernst Bachinger im Dressurviereck beobachtete. „Du reitest besser“, bemerkte sein Ausbilder an der Spanischen am nächsten Tag prompt. „Was hast du gestern gemacht? Mach’s wieder!“ Zehn Jahre lang ritt er nach Dienstschluss bei Bachinger.
Schüler zum Denken und Fühlen anregen
Der Mentor ließ ihn reiten, reiten, reiten. Korrigiert hat er wenig und wenn, dann mit Sätzen, die bis heute nachhallen. Auch Laußegger will Schüler nicht berieseln, sondern zum Denken anregen. Fehler machen gehört dazu; vor allem aber sollen sie Fühlen lernen. Apropos Fühlen: Plötzlich sitzt man in Jeans auf dem imposanten Leonardo und fühlt, ja, was fühlt man dann: großes Herzklopfen (nicht beim Pferd) und einen gewaltigen, freien Schritt. Kaum abgestiegen, hält man Touchiergerte und Führzügel in die Hand: „Fühlen Sie mal!“ Im Laufen hagelt es Einweisungen für die Piaffe mit Maestoso, dem Lipizzaner. Im Abfußen am Fesselkopf für mehr Untertritt, am Sprunggelenk für mehr Aktion, nie auf der Kruppe touchieren. Für Laußeger eine Unsitte, da Pferde dabei das Becken für nur einen Tritt abkippen, statt sich in den Hanken zu beugen.
Es ist ein feiner, fast trotziger Seitenhieb, wenn er sich empört, dass sogar klassische Ausbilder heute Galopp-Pirouetten aus der Traversale entwickeln. „In der Schule hätten sie das früher sofort unterbunden!“ Warum? Weil der Sinn der Lektion verloren geht: nämlich die Möglichkeit, aus dem Galopp auf kleinstem Raum mit freier Schulter geschlossen zu wenden und diese Energie für Schulen über der Erde zu nutzen. Laußegger sprudelt, stellt akademische Fragen, bemüht 101 Vergleiche und tut dies so schnell, dass der Kopf raucht und der Block immer voller wird. Für ihn keine Frage, sondern pure Gewissheit: Pferde hören zu und reden mit uns. „Drum spreche ich nur nett über sie. Ich sag’ beispielsweise: Der Leonardo denkt heute ein bisschen langsam. So bleibt er auf meiner Seite.“ Darum geht’s. Mit dem Pferd arbeiten, das Beste aus jedem herausholen.
Statt Stammbäumen das Pferd anschauen
Aus diesem Grund lässt Laußegger sich von Stammbäumen nicht beeindrucken. Er schaut lieber, was das Pferd ihm anbietet. Dafür reichen Details: Ausdruck, Atmung oder eine Bewegungssequenz. „Kennen Sie Ludwig Koch? Müssen Sie anschauen!“ Der Wiener Künstler hatte ein Auge für die besondere Qualität eines Pferds und bannte sie treffend in Skizzen. Solche Positiv-Bilder nutzt Laußegger im Unterricht. Da spielt es keine Rolle, ob ein Lipizzaner oder Isländer bei ihm an Basics wie Takt und Losgelassenheit oder bereits an schweren Lektionen wie der Piaffe feilt. In der Isi-Szene sprach sich schnell herum, dass Laußegger nebenbei auch einen schönen, kraftvollen, taktklaren Tölt zaubert, der beim Turnier Punkte bringt.
Doch vom Sport hält der Wiener Ausbilder lieber Abstand. Übel stößt ihm auf, dass viele Pferde im Tölt nach Luft schnappen. Dem Tier werde das Maul zugeschnürt, damit es nicht zeigen kann, wie grob die Hand den Hals oben hält. „Welches Pferd fühlt sich so wohl?“ Eine rhetorische Frage. Ganz anders seine eigenen Pferde: Frei aus der Schulter bewegt sich Leonardo, zufrieden kaut er, der Schweif pendelt, der Rücken schwingt.

Laußegger hört seinem Fuchs Leonardo zu
„Hören Sie mal hin“, sagt Laußegger auf dem Weg zurück zur Halle. So sauber klingt taktklarer, losgelassener Schritt. In der Bahn legt sich der Fuchs noch mal ins Zeug, präsentiert sich als Strahlemann. Und zeigt auch, wenn ihm was nicht passt: In einer Piaffe macht er plötzlich kehrt. „Jetzt redet er“, sagt Laußegger. Der Ausbilder hört zu und setzt den Dialog höflich fort. Mit unsichtbaren Hilfen. Danach gibt’s Zucker und zufriedene Gesichter. Bei Pferd, Reiter und Zuschauern.