CAVALLO hautnah - Leckerli und Levaden
Zu Besuch am Egon von Neindorff-Institut

Wie lebt die alte Reitkunst am Egon-von-Neindorff­-Institut in Karlsruhe weiter? Zum 70. Geburtstag statten wir einen Besuch ab.

Leckerli & Levaden - alte Reitkunst am Egon von Neindorff-Institut
Foto: Lisa Rädlein

Lindenblüten segeln in unseren Kaffee – und während wir sie herausfischen, sind wir ganz nah dran am alten Meister. Ob auch Egon von Neindorff hin und wieder eine Blüte ausspucken musste, wenn er hier an seinem Lieblingsplatz unter dem Baum saß? Gut möglich. Vielleicht pustete er sich auch etwas Zigarrenasche vom Kragen, bevor er zu seinen Pferden ging.

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Zu Besuch beim Egon von Neindorff-Institut
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Leckerli & Levaden - alte Reitkunst am Egon von Neindorff-Institut
Lisa Rädlein
Fast wie eine Kathedrale: Das Gebälk der alten Reithalle beeindruckt.

Nicht nur die Linde stand für den Meister in voller Pracht: auch die Pferde blühten durch die Arbeit mit ihm regelrecht auf. Der perfekte Ort dafür war das Reithaus des heutigen Instituts, 1906 und 1907 als Reithalle der Telegraphenkaserne erbaut, die sich damals auf dem Gelände befand. Als von Neindorff das Gebäude zum ersten Mal betrat und ein Lichtstrahl durch die Fenster fiel, wusste er sofort: Das ist es.

Leckerli & Levaden - alte Reitkunst am Egon von Neindorff-Institut
Lisa Rädlein
Bevor Egon von Neindorff einzog, ritten in der Halle Soldaten. Das Neindorff-Institut liegt im Westen Karlsruhes.

70 Jahre von-Neindorff-Institut

70 Jahre ist es nun her, dass von Neindorff nach dieser, nun ja, Erleuchtung das Gelände bezog. Dieses Jubiläum feiert das Institut heuer – und das CAVALLO-Team blickt anlässlich des Geburtstags hinter die Kulissen. Wie sieht ein Tag am Institut aus, das die klassische Reitkunst nach von Neindorff weiterleben lassen will?

Axel Schmidt führt uns in die Reithalle, die mit ihrem hohen weißen Gebälk und den weißgetünchten Wänden beinahe sakral wirkt. "Hier stand von Neindorff früher und hat doziert", erinnert sich Schmidt. Oft und gerne zitierte der Gründer des Insituts die alten Reitmeister wie Gustav Steinbrecht oder James Fillis. "Nach so einer Reitstunde ist nicht unbedingt jeder besser geritten – aber alle waren inspiriert, besser zu reiten", erzählt Schmidt.

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Lisa Rädlein
Zehn Allwetterpaddocks stehen auf dem Institutsgelände zur Verfügung. Schul- und Privatpferde haben täglich stundenweise Auslauf.

Die Reitschüler seien regelrecht beseelt durch die Halle getrabt – wenn von Neindorff nicht doch gerade mal scharf kritisierte oder sein Schäferhund und die Abteilung aufmischte.

Wie sieht der Unterricht am Institut heute aus

"Ich bin nachsichtiger geworden", meint Schmidt – mit Lob sei er aber doch eher sparsam, gibt er schließlich zu. Das bestätigt auch seine Schülerin Katharina Ernstberger: "Nicht geschimpft ist gelobt genug." Doch das hält die 21-Jährige nicht ab, regelmäßig hierherzukommen, obwohl es für sie unzählige nähergelegene Reiterhöfe gäbe. "Hier wird wahnsinnig auf Details geachtet – mein Sitz hat sich zum Beispiel durch die Sitzschulungen um 180 Grad gedreht und sehr verbessert."

Leckerli & Levaden - alte Reitkunst am Egon von Neindorff-Institut
Lisa Rädlein
Die Trensen sind säuberlich aufgehängt und verschnürt.

Katharina gehört zur Fördergruppe, daneben gibt es am Institut aber auch Anfängerstunden und Voltigieren. Das Unterrichten teilen sich Axel Schmidt und Armin Dietrich untereinander auf. Letzterer ist auch für die betriebswirtschaftliche Leitung des Instituts zuständig.

Das Institut zieht geduldige Schüler an

Katharina Ernstberger ist nicht die Einzige, die das Reitinstitut fasziniert. Britta Johanning ist fast jeden Tag hier. Die 62-jährige, studierte chemische Technologin mit den kurzen grauen Haaren bringt am Tag unseres Besuchs die Pferde für Axel Schmidt gesattelt und geputzt in die Halle und reitet das eine oder andere warm.

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Lisa Rädlein
Schmusestopp bei der Stallführung: Haflinger Marathon sagt Axel Schmidt Hallo.

Während Axel Schmidt aufs erste Pferd steigt – sieben bis zehn reitet er täglich – folgen wir Britta Johanning in die Stallgasse, wo sie Haflinger Marathon, genannt Thoni, vorbereitet. Der graue Putzkittel, den sie dabei trägt, wirkt wie aus der Zeit gefallen – genauso wie das mahnende Schild: "Hengstbereich. Für Stuten kein Durchgang".

An Haken hängen säuberlich nebeneinander eine Reihe Zaumzeuge, alle mit Wassertrensen. "Etwas anderes nutzen wir nicht, außer wenn wir hin und wieder auf Kandare reiten", erklärt Axel Schmidt.

Wieder-Einsteiger nach 34 Jahren Reitpause

In der Halle angekommen zeigt sich der blonde Marathon von seiner besten Seite – und setzt sich in der Piaffe tief auf die Hinterhand. Wir erfahren, dass er neben Piaffe und Passage auch "Flugstunden" im Angebot hat – heute verkneift er sich ungefragte Kapriolen allerdings.

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In der Halle zeigt er eine Piaffe unter Britta Johanning, unterstützt von Axel Schmidt.

Seine Reiterin Britta Johanning hatte, bevor sie ans Neindorff-Institut kam, 34 Jahre lang Reitpause. Zuvor lernte sie ganz solide und langsam nach der klassischen Reitlehre. "Als ich nach Karlsruhe kam hat mich sehr gefreut, dass hier noch das Gleiche gelehrt wird wie damals."

Für Axel Schmidt bringt Johanning einen imposanten Lippizaner in die Halle. Der Schimmelhengst mit dem ausgeprägten Ramskopf gehörte ursprünglich einer Schaustellerfamilie, die mit ihm aufgrund seines ausgeprägten Charakters nichts anfangen konnte und ihn dem Institut anbot. Heute zeigt Siglavy Slava, der viel Vorwärtsdrang hat, beeindruckende Trabverstärkungen. Er geht auch unter fortgeschrittenen Schülern.

Auch eine Schule für Pferde

"Viele Schulpferde finden uns so wie er einfach", sagt Schmidt. So kommt es auch, dass ganz unterschiedliche Rassen vertreten sind – vom Deutschen Reitpony bis zum Altwürttemberger. "Auch schwierige Pferde blühen hier richtig auf", erzählt Schülerin Katharina Ernstberger.

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Hengst Airoso mit Schülerin Nicole Muszinsky bei der Langzügelarbeit. Auch darin bietet das Institut Unterricht an.

Hohe Summen kann das Institut für den Kauf von Schulpferden nicht ausgeben – doch die klassische Reitlehre bietet viele Möglichkeiten, auch schwierige Pferde zu fördern – einige beherrschen Lektionen der Hohen Schule. Wir dürfen heute miterleben, wie Stute Santa die Levade übt.

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Lisa Rädlein
Arbeit an der Levade mit Stute Santa zwischen den „lebenden Pilaren“, links Schülerin Katharina Ernstberger, rechts Institutsleiter Axel Schmidt.

Sie steht dabei zwischen Schmidt und seiner Schülerin Katharina Ernstberger, den "lebenden Pilaren". Anders als die festen Pilare, die ebenfalls in der Halle stehen, können sie sich mit dem Pferd mitbewegen – und so bei neuen Lektionen besser auf das Pferd eingehen.

Von hoher Schule bis Mitzählen für den Takt

Klassische Lektionen, etwa auch die Piaffe, haben am Neindorff-Insititut eine hohe Bedeutung: "Das ist eigentlich eine Grundlagenlektion, zum Beispiel als Vorarbeit für den versammelten Galopp. Auch wenn heute alle meinen, die Piaffe sei nur etwas fürs große Viereck", erklärt Schmidt.

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Lisa Rädlein
Der sechsjährige Holsteiner Kanone ist in der Remontenausbildung.

Bevor Reitschüler sich an schwierige Lektionen wagen dürfen, heißt es aber erstmal abwarten und laut Tritte zählen: schon von Neindorff ließ Pferd und Reiter so ihren Takt finden. Zum schnellen Erfolg führt diese Reitweise nicht. Ob das in Zukunft noch gefragt sein wird? "Wie sich die Reiterei weiter entwickelt, kann man nicht wissen – meine Erfahrung ist, dass diejenigen am längsten dabeibleiben, die vorher mit schnellen Methoden schlechte Erfahrungen gemacht haben", sagt Schmidt.

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„Eine Frage des Respekts“: jedes Pferd bekommt vor und nach dem Reiten ein Leckerli.

Und auch Western- und Gangpferdereiter kämen immer mehr auf klassische Grundsätze zurück. Das wichtigste sei, einfach immer weiterzumachen, bei seiner Sache zu bleiben. Das sei auch von Neindorffs größter Verdienst.

Egon von Neindorff

Sein Foto hängt großformatig im Reitinstitut, ein lichter Raum dient dem Andenken an den alten Meister. Der war ein Mann mit Prinzipien und einer Vorliebe für Zigarren – aber die günstigen, wie Axel Schmidt betont, der das Reitinstitut heute leitet. Obwohl Baron, lebte von Neindorff bescheiden. Seine Wohnung lag über dem Stall, auf Luxus legte er keinen Wert. Er lebte ganz für seine Pferde.

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Elegante Erscheinung, knuddeliger Spitzname: so wie bei Hengst Strubbel ist es hier bei vielen Pferden.

Von Neindorff stammte aus Döbeln in Sachsen, "sein sächsisches Hochdeutsch hat er sein Leben lang nicht abgelegt", erzählt sein langjähriger Schüler. Zunächst lernte von Neindorff das Reiten bei seinem Vater, General Egon von Neindorff. Seine weitere Ausbildung erhielt er bei Reitmeistern wie Richard Wätjen und Ludwig Zeiner. Diese zitierte von Neindorff häufig in seinem Unterricht. Standesdünkel duldete er nicht. Es konnte schon passieren, dass er auch Gäste des Hauses, die sonst Grand Prix ritten, in die Abteilung steckte um ihr Können zu testen.

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Junge Reiterin, altes Reithaus: Nachwuchsförderung ist wichtig.

"Manch einer fuhr verärgert vom Hof", erinnert sich Schmidt – und nicht jeder hatte zu lachen. In den 50er-Jahren etwa setzte von Neindorffs Pferd Landgraf einen italienischen General in den Sand. Von Neindorff stieg selbst in den Sattel und zeigte Landgrafs gesamtes Lektionen-Repertoire ohne Zügel.

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Egon von Neindorff: Sein Foto hängt großformatig im Reitinstitut, ein lichter Raum dient dem Andenken an den alten Meister.

Das heutige Reitinstitut bezog von Neindorff mit seinen Pferden im Jahr 1949. Die zugehörige Stiftung "Reitinstitut Egon von Neindorff-Stiftung" gründete er 1991, seit 1989 besteht der Förderverein "Klassische Reitkunst nach Egon von Neindorff."

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6 / 20253

Erscheinungsdatum 17.05.2023