Jede Reitweise strotzt vor tollen Ideen, die Sie fürs Training nutzen können. Die Erfahrungen vorbildlicher Ausbilder zeigen: Wer das Beste für sein Pferd sucht, blickt öfter über den Tellerrand.
Neue Übungen motivieren und überraschen mit Aha-Effekten. Pferd und Reiter wachsen zusammen – und über sich hinaus.
Mischen Sie mit! Jede Menge Inspiration für einen cleveren Reitweisen-Mix gibt’s auf den folgenden Seiten.
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"Ich bilde Jungpferde nach Westerntradition gebisslos aus"
CAVALLO: Sie arbeiten regelmäßig mit Westernreiter und Vaquero Jeff Sanders zusammen. Warum ist Ihnen dieser Austausch wichtig?
WOLFGANG KRISCHKE: Ich bin 20 Jahre selbst Western geritten und bin etwa bei der EM im Cutting gestartet. Vom Turnierreiten habe ich mich dann irgendwann distanziert. Was mich aber nach wie vor am Westernreiten packt, sind die Ausbildungsmethoden der Altkalifornier. Mit Jeff Sanders entdecke ich immer wieder viele Gemeinsamkeiten: Beide Reitweisen haben denselben Ursprung in der Reitkunst Europas im 15. Jahrhundert, als die Spanier die ersten Pferde nach Amerika brachten.
CAVALLO: Welche Gemeinsamkeiten gibt es denn in der Ausbildung von Pferden?
WOLFGANG KRISCHKE: Beispielsweise wird in beiden Reitweisen einhändig geritten und junge Pferde werden traditionell gebisslos ausgebildet. Dabei gibt es aber einen Unterschied: In der barocken Reitkunst lernen die Pferde Lektionen bis zur hohen Schule auf Nasenzäumung, das Gebiss ist dabei aber eingehängt. Der Reiter nutzt es nur nicht. Die Westernreiter bilden Jungpferde komplett gebisslos auf Bosal aus.
CAVALLO: Welche Vorteile sehen Sie im Bosal?
WOLFGANG KRISCHKE: Junge Pferde sind ja noch im Zahnwechsel, da kann ein Gebiss schmerzhaft sein. Mit dem Bosal kann man zudem nichts erzwingen und ist auf die Kooperationsbereitschaft des Pferds angewiesen. Das bremst den reiterlichen Ehrgeiz und zwingt zu wohlbedachten, kleinen Ausbildungsschritten. Die so geschulten Pferde sind zuverlässiger und langlebiger.

Westernreiten
Es entstand aus der Arbeit mit Pferden auf der Ranch. Die Ursprünge liegen in der Doma Vaquera, der Arbeitsreitweise der iberischen Viehhirten. Ein Teil der US-Cowboys entwickelte den altkalifornischen Stil mit klassischen Elementen. Dieser kam mit Jean-Claude Dysli in den 1970ern nach Europa.
Der größte Westernverband Europas ist die Erste Westernreiter Union Deutschland e. V. (EWU), die 1978 gegründet wurde.
Typisch ist das einhändige Reiten und Signalreiten. Westernreiter geben nur dann kurze Impulshilfen, wenn das Pferd seine Bewegungen ändern soll.
"Mein Pferd gewann durch klassische Dressur mehr Selbstbewusstsein"
CAVALLO: Was hat Sie als Parelli-Instruktor dazu gebracht, sich mit klassischer Dressur näher zu beschäftigen?
RALF HEIL: In der Horsemanship-Szene sieht man viele Reiter mit emotional und mental sehr ausgeglichenen Pferden – aber an guter Bemuskelung mangelt es häufig. Ich wollte meine Pferde besser gymnastizieren. Als ich eines Tages Dr. Thomas Ritter zuschaute, der Dressur auf Grundlagen der Biomechanik unterrichtet, wusste ich: Das ist es.
CAVALLO: Was hat Sie an dem Klassik-Ausbilder begeistert?
RALF HEIL: Wir teilen die gleiche Philosophie: Ein Pferd kann eigentlich alles, wenn man sich klar und deutlich ausdrückt. Klappt etwas nicht, muss man nach den Ursachen forschen. Dr. Thomas Ritter hat bei meinem Pferd Fritz etwa herausgefunden, dass er hinten rechts zu wenig Last aufnimmt. Er zeigte mir gezielt Übungen dafür – und nach ein paar Wiederholungen wirkten diese. Das motiviert! Dabei verfolgt Thomas Ritter immer den Ansatz, dass die Idee des Reiters zu der des Pferds werden soll. Genau das lehre ich auch im Natural Horsemanship.
CAVALLO: Fühlt sich Ihr Pferd Fritz jetzt anders an beim Reiten?
RALF HEIL: Seit etwa vier Wochen hat sich noch mal richtig was getan. Wenn Fritz den Dressursattel drauf hat, wölbt er den Rücken, versammelt sich und sagt ‚Ready to go‘. Wir kommunizieren noch feiner als vorher und ich nutze weniger Muskelkraft. Ich bin auch nicht so kaputt nach dem Reiten, obwohl Fritz und ich Piaffen und Galoppwechsel üben. Fritz hat zudem durch die Dressur ein besseres Körpergefühl bekommen und strahlt dadurch ein neues Selbstbewusstsein aus.

Klassische Dressur
Die deutsche Reitweise ist militärisch geprägt und basiert auf der H. Dv. 12, der Reitvorschrift des preußischen Heeres von 1912. Ziel war ein gut reagierendes, vielseitiges und gehorsames Soldatenpferd, das lange diensttauglich ist. Heute sieht man auf Turnieren oft Rollkur-Bilder, weil der schnelle Erfolg zählt. Fürs Pferdewohl fordern immer mehr Reiter eine Rückbesinnung auf die klassischen Grundsätze.
Zentrale Organisation ist die Deutsche Reiterliche Vereinigung (Fédération Équestre Nationale, FN) mit 687 036 Mitgliedern.
Herzstück der Reitlehre ist die Skala der Ausbildung mit den Säulen Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung Geraderichtung und Versammlung.
"Horsemanship verbessert die Beziehung zum Pferd"
CAVALLO: In welche fremde Reitweisen haben Sie schon hineingeschnuppert?
INGRID KLIMKE: Ich habe beispielsweise Linda Tellington-Jones bei der Arbeit mit meinem Vater damals in seinem Reiterverein kennengelernt und wir trainierten zusammen. Sie ist eine so interessante Frau und die Pferde fühlen sich einfach wohl mit ihrer Methode. Vor den Olympischen Spielen 2008 lud ich sie dann für drei Tage zu mir in den Stall ein. Vieles von dem Gelernten nutze ich noch heute: Ich reite ab und an mit Halsring, mit den TTouches streiche ich meinen Pferden vor der Geländeprüfung die Ohren aus – das entspannt. In der Dressur denke ich noch oft an Lindas Tipp, mir die Pirouette als leichten, fröhlichen Tanz vorzustellen. Vor zwei Jahren habe ich zudem angefangen, mit Claudia Miller Natural Horsemanship zu trainieren. Dafür hätte ich gerne noch viel mehr Zeit.
CAVALLO: Was packt Sie daran?
INGRID KLIMKE: Das systematische Üben einer klaren Sprache mit dem Pferd offenbart viel über die Beziehung. Es ist faszinierend, wie man darüber das Vertrauen der Tiere erobert – und wie sie einen spiegeln. Das Fühlen und die empatische Verbindung zum Pferd ist ohnehin das, was für mich seit 20 Jahren immer wieder neu den Reiz der Reiterei ausmacht.
CAVALLO: Üben Sie auch Horsemanship mit erfahrenen Pferden?
INGRID KLIMKE: Ja, bei Escada etwa hat es mir sehr geholfen. Sie ist eine selbstbewusste Stute. Das war toll fürs Gelände – sie machte ihr Ding. Die Mentalität hatte sie aber auch im Viereck: Da hörte sie teils nicht gut zu. Meine Lösung: Ich stieg zwischendrin ab und machte Gehorsamsübungen. Oder ich forderte Kompliment, was ihr Spaß machte. Danach war sie deutlich aufmerksamer.

Natural Horsemanship
Freundlichen Kontakt aufnehmen und prüfen, was das Tier braucht – auf dieser Idee basiert Natural Horsemanship.
Das bekannteste System stammt vom Amerikaner Pat Parelli. Basis der Ausbildung sind vier Level: Partnerschaft, Harmonie, Verfeinerung und Vielseitigkeit. Über die sogenannten "Sieben Spiele" lernen Reiter klar zu kommunizieren und die Persönlichkeit des Pferds besser einzuschätzen.
Leichtes Reiten
Im 20. Jahrhundert erfand Federico Caprilli den leichten Sitz. Die Idee der Entlastung entwickelte sich im Chiron-System weiter.
Mit Linda Tellington-Jones rückte in den 1960ern immer mehr die Schulung des Körperbewusstseins für einen pferdeschonenden Sitz in den Fokus. Ihre Tellington-Methode beruht auf der Feldenkrais-Bewegungslehre. Sie fördert Balance und Entspannung und umfasst Halsringreiten sowie sanfte Berührungen für Mensch und Tier (TTouches). Verwandt ist das Connected Riding von Peggy Cummings.
Eine bekannte Einrichtung fürs Bewegungslernen nach pädagogischen Grundsätzen ist in Deutschland das Reit-Zentrum-Reken. Mit Holzpferd, Zügelführspielen und Zirkeloval wird dort der Sitz geschult.
"Barock hat mir den Wert von Seitengängen vermittelt"
CAVALLO: Sie haben als Jugendliche im Westernsattel Unterricht in klassisch-barocker Reitkunst bekommen – hat man Sie da komisch angeschaut?
NATHALIE PENQUITT: Überhaupt nicht. Ich habe mich bei meinem Reitlehrer Richard Hinrichs immer gut aufgehoben gefühlt. Mein Morgan Horse war mit seinem Plüschfell ein Exot, aber das hat keinen gestört.
CAVALLO: Was war für Sie prägend im Unterricht?
NATHALIE PENQUITT: Ich habe die Bedeutung von Seitengängen verinnerlicht. Vor allem das Schulterherein sehe ich als Aspirin der Dressurreiterei an. Die Pferde lernen das schon früh an der Hand und vom Sattel aus. Es ist eine sinnvolle Gymnastizierung, die dem Pferd hilft, Reiter auf gesunde Art zu tragen. Ich verstehe Barock zudem als Signalreitweise: Die Hilfe lässt nach, wenn das Pferd reagiert. Das Prinzip gilt auch bei der Bodenarbeit, die ich unterrichte. Dazu kommt positive Verstärkung.
CAVALLO: Gab es etwas, was Sie am Barockreiten besonders
beeindruckt hat?
NATHALIE PENQUITT: Wenn wir für die Quadrille geübt haben, sind wir mit 12 Hengsten in einer 15 x 30 Meter großen Reithalle geritten. Das zeigt, wie fein die Pferde an den Hilfen stehen und wie wendig sie sind. Ich wollte auch schon immer gerne in die Öffentlichkeit, mochte aber nie die Turnierreiterei mit dem Leistungsgedanken. Die Shows in den Herrenhäuser-Gärten im Kostüm haben mir hingegen großen Spaß gemacht.
CAVALLO: Gibt es für Sie eine reitweisenübergreifende Weisheit?
NATHALIE PENQUITT: Man kann sich aus vielen Systemen clevere Dinge abschauen – wichtig ist für mich dabei das Gefühl, dass sie dem Pferd Spaß machen. Woran ich nie rütteln werde ist das symmetrische Sitzen im Gleichgewicht, das ist einfach ein Naturgesetz.
Barocke Reitkunst
Das Zeitalter des Barock liegt zwischen 1600 und 1750. In dieser Zeit haben sich in Europa Übungen am Boden, unterm Sattel und Schulsprünge herausgebildet zum Zweck der Kriegsvorbereitung des Pferds.
Der französische Reitmeister François Robichon de la Guérinière gilt als Erfinder des Schulterherein und erwähnt in seinen Abhandlungen erstmals die Piaffe. Höchste Versammlung und Wendigkeit sind Ziele der barocken Reitkunst.
In Spanien und Wien etwa überliefern die Hofreitschulen die 300 Jahre alten Reittechniken. In Deutschland gibt es als private Institution die Fürstliche Hofreitschule in Bückeburg. Richard Hinrichs gründete 2004 den Bundesverband für klassisch-barocke Reiterei Deutschland e. V., welcher der FN angeschlossen ist und eine eigene Trainerausbildung anbietet.