Eine Frage, drei Experten
Grand Prix ohne Kandare und Sporen?

Reiter sollen in einer Grand Prix-Prüfung selbst entscheiden, ob sie mit Kandare und Sporen reiten: Das war der Vorschlag der Ethik- Kommission der FEI. Eine gute Idee? Das meinen unsere Experten.

Pferdekopf mit einer Kandare von unten fotografiert
Foto: Lisa Rädlein

Das sagt die Wissenschaftlerin

Jede Waffe ist so hart wie die Hand, die sie führt. Warum muss man jemanden zwingen, diese Waffe zu führen? Ich bin absolut dafür, den Reitern die Wahl zu überlassen. Sporen könnten meinetwegen sogar ganz weggelassen werden. Ja, eine Kandare kann sehr viel feiner eingesetzt werden als eine Trense. Oft reicht eine feine Bewegung des kleinen Fingers. In der Theorie hat es also Hand und Fuß, dass es die Kandare gibt. Aber in der Praxis wird sie leider viel zu oft mit Kraft eingesetzt und verstärkt diese um das Vierfache. Und die Zügelkräfte, die insgesamt auf das Pferdemaul wirken, sind ohnehin höher, als wir in der Theorie glauben. Von daher muss man immer sehr vorsichtig und bedacht mit der Kandare umgehen.

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Man kann auch mit Trense fein reiten. Das sieht man in der Schweiz. Dort ist die Kandare in Prüfungen der Stufen L, M und S freiwillig. Und das klappt gut. Die Richter beurteilen Losgelassenheit und Durchlässigkeit und ob der Ritt harmonisch ist – egal, ob mit Kandare oder Trense. Nur weil jemand mit Trense reitet, reitet er deswegen nicht feiner. Ich kann auch mit Trense unfair zu meinem Pferd sein. Nicht nur durch zu viel Zügelzug, sondern auch indem ich den Nasenriemen stark zuschnüre. Wer freiwillig den Nasenriemen bei der Kandare lockerer schnallt, bei dem sieht man eher, wenn er Fehler macht. In der Prüfung fragt aber keiner danach oder nimmt das in die Bewertung mit hinein.

Am Ende beurteilt der Richter, ob der Ritt harmonisch ist oder nicht. Unabhängig mit welcher Zäumung. Verstecken kann sich der Reiter hinter der Zäumung nicht, weil das Pferd in seinem Ausdrucksverhalten ziemlich klar zeigt, ob es zufrieden ist oder nicht. Und ein guter Richter kann beurteilen, ob das eine losgelassene Vorstellung war oder nicht. Mit Trense oder mit Kandare.

CAVALLO Eine Frage,drei Experten - „Freiwillig ohne Kandare und Sporen?“
Lisa Rädlein
Dr. Kathrin Kienapfel von der Ruhr-Universität Bochum forscht seit Jahren, wie Reiten auf den Pferdekörper wirkt.

Das sagt die langjährige Richterin

Den Vorschlag der Kommission "Ein jeder kann es halten, wie er möchte", sehe ich problematisch. Grundsätzlich sollten alle Teilnehmer einer Prüfung unter denselben Vorgaben reiten, um eine möglichst objektive Vergleichbarkeit zu ermöglichen, vor allem bezüglich der Zäumung. Ob ein Reiter Sporen nutzt oder nicht, wäre für mich nebensächlich. Kandare und Sporen sind in der klassischen Reitlehre nicht Zwangsmittel, sondern ein Gradmesser, wie fein der Reiter einwirkt. Nicht umsonst spricht man von Kandarenreife – und die muss man sich durch die Perfektionierung seiner eigenen Reiterei erst mal verdienen. Der Verzicht auf die Kandare ist ja nicht gleichbedeutend mit feinem, pferdegerechtem Reiten.

Man kann auch auf Trense viel falsch machen und pferdeunfreundlich agieren. Und man könnte auch im Training den Sporn missbrauchen. Gutes Reiten ist für mich eine Frage von Können und innerer Einstellung, nicht von Ausrüstung. Auf den Abreiteplätzen und in der Prüfung muss strenger kontrolliert werden, dass pferdegerecht geritten wird. Das wäre wichtiger. Ich könnte mir eher vorstellen, dass gesonderte Prüfungen – gern auch ein Grand Prix – ganz auf Trense ausgeschrieben werden. Als Alternative. Dann wäre die Vergleichbarkeit wieder da. Oder aber der Grand Prix auf Kandare und – für alle – der Grand Prix Spezial auf Trense.

CAVALLO Eine Frage,drei Experten - „Freiwillig ohne Kandare und Sporen?“
Lisa Rädlein
Dr. Britta Schöffmann aus Duisburg ist Dressurreiterin, Ausbilderin und war knapp 40 Jahre lang als FN-Richterin tätig.

Das sagt der Trainer

Was die Sporen betrifft, bin ich sehr offen. In der Vielseitigkeit hat es sich bewährt, die Wahl den Reitern zu überlassen. Im Fall der Kandare bin ich gegen eine Wahlfreiheit. Denn Reiter sollen unter gleichen Zäumungsbedingungen den Ausbildungsstand ihres Pferds zeigen. Eine Beurteilung durch die Richter ist unmöglich, wenn die Pferde in der Prüfung unterschiedliche Zäumungen tragen. Wohin soll das führen? Soll man dann auch gebisslos seine Dressur reiten dürfen.

Ich würde es begrüßen, wenn S-Dressuren oder Grand Prix auf Trense ausgeschrieben werden. Oder wenn vor einer Prüfung auf Kandare eine kurze Aufgabe von etwa zweieinhalb Minuten auf Trense geritten werden muss. So können die Richter sehen, ob Pferd und Reiter kandarenreif sind. Denn das soll die Kandare ja zeigen.

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Lisa Rädlein
Martin Plewa, der ehemalige Bundestrainer der Vielseitigkeitsreiter hält Seminare, Vorträge und bildet Pferde wie Reiter aus.
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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023