Turnier-Dressur vs. Losgelassenheit
Dressurreiten in der Kritik

Die Dressurcracks, die heute Schleifen sammeln, entfernen sich immer mehr vom Bild eines klassisch gerittenen, losgelassenen Pferds. Doch die kritischen Stimmen scheinen sich nicht wirklich durchzusetzen. Gibt es einen Weg zurück zur klassischen Reiterei?

CAV Rollkur 20 B
Foto: CAVALLO
In diesem Artikel:
  • Warum hat der Reitsport so ein schlechtes Image bekommen?
  • Wird heute schlechter geritten als früher?
  • Wird die klassische Reitlehre nicht mehr vermittelt?
  • Lohnt es sich nicht mehr, korrekt zu reiten?
  • Warum werden schlechte Leistungen honoriert?
  • Was muss sich ändern?
  • CAVALLO-Kommentar

Warum hat der Reitsport so ein schlechtes Image bekommen?

Gestresste Pferde, die von ihren Reitern mit ruckenden Zügeln und hackenden Sporen traktiert werden. Mal werden sie mit abenteuerlichen Zäumungen durch den Parcours gejagt, mal strampeln sie von Zuschauern bejubelt im großen Viereck. Tierfreunde fragen sich bei solchen Bildern, ob der Reitsport überhaupt noch pferdegerecht ist. Zu Recht?

CAVALLO hat den FN-Ausbildungsleiter Thies Kaspareit, Pferdeverhaltensforscherin Dr. Kathrin Kienapfel, FN-Richterin und Dressurtrainerin Dr. Britta Schöffmann sowie Dressurausbilder Christoph Ackermann an einen virtuellen Tisch geholt, um darüber zu diskutieren.

Dass die Turnierreiterei in ein negatives Licht gerückt ist, dazu hätten auch manche Medien ihren Teil beigetragen, meint Dr. Britta Schöffmann: "Sportreiten spielt sich in der Öffentlichkeit ab. Deshalb ziehen negative Bilder viel leichter und schneller ihre Kreise als ähnliche Szenen, die sich vielleicht im Freizeitbereich abspielen." Wie das funktioniert, erlebte Verhaltensbiologin Dr. Kathrin Kienapfel. Für eine Studie zu Stressanzeichen bei Dressurpferden beobachtete sie 2018 beim CHIO Aachen mit einem Kamerateam des WDR Dressurreiter auf dem Abreiteplatz.

"Es sind unschöne Aufnahmen entstanden, die zu einer kritischen Berichterstattung und in der Öffentlichkeit zu einer Welle der Empörung geführt haben", erinnert sie sich. "Die positiven Seiten unseres Hobbys blieben leider völlig außen vor", bedauert die Wissenschaftlerin, "doch manchmal braucht man so eine große Druckwelle, um etwas zu erreichen." Erfolg: Ein Jahr später wurden auf dem CHIO erstmals "Info-Stewards" eingesetzt, die den Zuschauern, die unfaires Reiten beobachteten, als Ansprechpartner rund um die Abreiteplätze zur Verfügung standen.

FN-Ausbildungsleiter Thies Kaspareit sieht in der Medienkritik eine Chance: "Kritik gibt es immer wieder und sie ist in vielen Fällen berechtigt." Nichtsdestotrotz sei es nicht richtig, alle Sportreiter über einen Kamm zu scheren, erklärt er: "Es gibt immer schwarze Schafe."

Wird heute schlechter geritten als früher?

"Wenn ich mich umschaue, kann ich ganz klar sagen: Ja!", betont Dressurausbilder und Neindorff-Schüler Christoph Ackermann, der seinen nach klassischen Grundsätzen ausgebildeten Wallach Scirocco immer mal wieder auf FN-Turnieren vorstellt. "Ich habe den Eindruck, dass viele Reiter nicht mit ihrem Pferd für einen Erfolg kämpfen, sondern gegen das Pferd kämpfen, um erfolgreich zu sein."

Thies Kaspareit erwidert: "Dass Reiter auf einem gut veranlagten Pferd Ehrgeiz entwickeln, ist menschlich. Selbstverständlich möchten sie erfolgreich sein. Allerdings darf das nicht auf Kosten des Pferds gehen. Dagegen müssen wir vorgehen – und das machen wir auch." Er nennt die Rollkur als Beispiel. Lange Diskussionen habe es über diese Trainingsmethode gegeben, die angewendet wurde, um die Leistung der Pferde zu verbessern. "Wenn Trainer und Reiter versuchen, andere Wege zu gehen, um mehr aus den Pferden herauszuholen, finde ich das zunächst nicht verwerflich", argumentiert er. Doch man müsse genau hinschauen, dass die Tiere nicht darunter leiden. "In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns", so Kaspareit.

Dr. Britta Schöffmann fragt sich, wie man klassisches Reiten denn überhaupt definiere. Es sei ja keine Disziplin, sondern eigentlich nichts anderes als das Bestreben, die natürlichen Anlagen des Pferds zu fördern. Christoph Ackermann nickt zustimmend. Die FN-Richterin betont: "An diesen Grundsatz sollte sich jeder Reiter im Rahmen seiner Möglichkeiten halten. Egal ob er Spitzensport betreibt oder Freizeitreiter ist." Christoph Ackermann ergänzt: "Reiter schauen nur noch, wie der Hals des Pferds positioniert ist. Die Pferde werden immer enger gemacht. Diese unnatürliche verkürzte Haltung hat nichts damit zu tun, dass das Pferd sein Genick hergibt! Es scheint nicht mehr wichtig zu sein, dass das Pferd eine Ausbildung braucht, die es körperlich in die Lage versetzt, unter dem Reiter eine Haltung einzunehmen, die es auf Dauer aushalten und ertragen kann."

Wird die klassische Reitlehre nicht mehr vermittelt?

Die FN-Richtlinien für das Reiten und Fahren sind keine moderne Erfindung: Sie gehen zurück auf die Heeresdienstvorschrift (H.Dv.12), die als Reitlehre für die deutsche Kavallerie diente. "Wie ein Pferd richtig ausgebildet wird, kann jeder Reiter eigentlich in diesen Richtlinien nachlesen", sagt Dr. Britta Schöffmann. "Man hält sich nur kaum noch daran", ärgert sich Christoph Ackermann.

Dr. Kathrin Kienapfel beobachtet, dass sich die Reiterszene in zwei Welten aufteilt: Die eine sei sportgeprägt und erfolgsorientiert, in der anderen lebten die Freizeitreiter, für die ein harmonischer Umgang und eine gute Partnerschaft mit ihrem Pferd zähle. "Die Abgrenzung ist entstanden, weil im Reitsport immer weniger auf das Pferd gesehen wird", meint die Verhaltensbiologin. "In manchen Sportställen erlebe ich Unverständnis und grobe Einwirkung gegenüber den Pferden. Innerhalb dieses Umfelds scheint das als normal empfunden zu werden. Das Phänomen: Akzeptanz durch Gewöhnung."

Dr. Kienapfel fällt auf, dass die wenigsten Reiter erkennen, ob ein Pferd zufrieden ist. "Es sollte doch mittlerweile jeder wissen, dass ein Pferd, das beim Reiten wiederholt mit dem Schweif schlägt oder das Maul aufsperrt, höchstwahrscheinlich Stress hat."

"Das sehen aber auch manche Freizeitreiter nicht", entgegnet Dr. Britta Schöffmann. "Ich sehe nicht selten schlecht gerittene Pferde, die stumpf und ausdruckslos durch die Bahn laufen. Man muss den Pferden doch nur mal ins Gesicht schauen!" Es fehle an Wissen rund ums Pferd, so die Dressurausbilderin. Reiten sei zum Breitensport geworden, die gute Ausbildung sei dabei aber vielerorts auf der Strecke geblieben. "Es ist für den einzelnen Reiter schwierig geworden, unter den vielen Angeboten einen seriösen und guten Ausbilder zu finden."

Der Reitlehrer habe einen extrem anspruchsvollen Job: Er müsse nicht nur fachlich gut sein, sondern sollte das, was er lehrt, auch vorreiten können. Außerdem sollte er in der Lage sein, sein Wissen zu vermitteln und die Zusammenhänge zwischen Sitz und Einwirkungen sowie den Bewegungen und der Anatomie des Pferds zu erkennen. Und er habe dem Reiter zu vermitteln, wie gutes und korrektes Reiten aussieht. "Viele wissen aber nicht mehr, wie gutes Reiten aussieht. Wenn einer von diesen modernen Dressurcracks durchs große Viereck strampelt, jubeln die einen, während andere den Kopf schütteln", so Dr. Schöffmann. "Es gibt eine Lücke zwischen Theorie und Praxis", meint Dr. Kathrin Kienapfel. "Das Fatale: Richtiges Reiten wird nicht mehr belohnt", kritisiert die Verhaltensbiologin.

Lohnt es sich nicht mehr, korrekt zu reiten?

Christoph Ackermann schüttelt den Kopf. "Wenn ich auf dem Turnier bin, möchte ich zeigen, wie sich ein korrekt ausgebildetes Pferd bewegt. Dass ich dafür keine Platzierung, bekomme, ist mir egal. Doch ich werde angesehen, als käme ich von einem anderen Stern." Dr. Britta Schöffmann stimmt zu: "Die Richterei ist oft das Problem. Gutes und harmonisches Reiten wird häufig nicht belohnt, sondern spektakuläres. Zu Hause wird deshalb das trainiert, wofür es hohe Noten gibt."

Ihr Vorschlag: mehr Transparenz. "Warum nicht die Kommentare aus dem Richterhaus nach draußen fürs Publikum übertragen?", schlägt sie vor. "Das hätte einen wunderbaren Effekt: Die Zuschauer würden dazulernen und die Bewertungen der Richter wären nachvollziehbar." Unerfahrene oder unsichere Richter müssten sich weiterbilden und ‚schlechte Richter‘ kämen in Erklärungsnot, wenn sie bestimmte Reiter oder Pferde bevorzugten.

Ein anderer Aspekt: die immer bessere Qualität der Pferde. Weil die so viel Potenzial mitbringen, erscheine die Ausbildung zunächst zwar leichter, sind sich die Experten einig. Doch sie stellen andere Herausforderungen an den Reiter. Können die superelastischen Bewegungswunder überhaupt noch klassisch geritten werden?

Thies Kaspareit meint: "Ja! Auch wenn es nicht einfacher geworden ist. Die Pferde sind leichtfüßiger und sensibler und haben mehr Bewegung – alles, was sich ein Reiter wünscht. Doch damit muss man auch anders umgehen und umdenken: Dem Thema Anlehnung und Selbsthaltung muss in der Ausbildung mehr Bedeutung beigemessen werden."

Warum werden schlechte Leistungen honoriert?

"Momentan scheinen spektakuläre Bewegungen wichtiger zu sein als klassische Reiterei", stellt Dr. Britta Schöffmann fest. Richter scheinen sich den Wünschen mancher Reiter oder Veranstalter und der breiten Masse mehr zu beugen als der klassischen Reitlehre. Da gäbe es auch schon mal richtiges Gemauschel: Denn gute Wertnoten würden den Wert eines Pferds steigern, und wer die Tochter des Turnierveranstalters oder einen prominenten, publikumswirksamen Reiter vorne platziere, werde beim nächsten Mal wieder als Richter eingeladen.

Thies Kaspareit sieht jedoch eine positive Entwicklung: In den letzten Jahren seien viele tolle Reiter und Pferde hoch benotet worden. Sein Eindruck sei daher, dass gutes Reiten grundsätzlich honoriert werde. Doch es gebe noch Potenzial für Verbesserungen, gibt der FN-Ausbildungsleiter zu: "Gutes Reiten muss sich mehr lohnen, das ist keine Frage. Wir arbeiten gerade an einer neuen Prüfungskonzeption und überlegen, ob die Qualität der Gangarten und Lektionen möglicherweise weniger stark gewichtet werden könnte als die Harmonie zwischen Reiter und Pferd."

Was muss sich ändern?

Christoph Ackermann sieht Reiter und Richter in der Verantwortung und fordert mehr Bildung. "Lesen, lesen, lesen, und zwar nicht in den Sozialen Medien, sondern in den Lehren der alten Reitmeister. Wir müssen uns mehr in den Hintergrund stellen und Fehler nicht beim Pferd, sondern bei uns selbst suchen."

Pferdewissenschaftlerin Dr. Kathrin Kienapfel fordert, dass feines Reiten auch auf dem Turnier belohnt wird und unfaires Reiten Konsequenzen hat. "Wir müssen weg vom Spektakulären und zurück zu den Richtlinien."

Dass möglichst viele Menschen beim Reiten spüren, wie sich ein harmonisches Miteinander mit dem Pferd anfühlt, und verstehen, dass gutes Reiten nicht automatisch gleichzusetzen ist mit sportlichem Erfolg, wünscht sich Dr. Britta Schöffmann. "Wir müssen es schaffen, wieder die schönen Seiten unseres Hobbys nach außen zu tragen."

FN-Ausbildungsleiter Thies Kaspareit sieht die Verantwortung seines Verbands: "Wir wollen kritischer mit Bildern umgehen, die wir transportieren wollen, und dabei mehr Wert auf korrektes Reiten legen. Es ist unsere Aufgabe, klar Position zu beziehen und unsere Richtlinien durchzusetzen, auch international. Und wir müssen neu definieren, was spektakulär ist. Denn das, was heute als spektakulär gilt, entspricht nun mal ehrlicherweise nicht der Natur des Pferds."

CAVALLO-Kommentar

Ich habe den Eindruck, die Reiterei spielt sich in zwei unterschiedlichen Welten ab, die sich immer weiter voneinander entfernen. Verständlich, dass viele Reiter sich abgrenzen möchten von dem, was in der letzten Zeit in den großen Vierecken gezeigt wird: dressiertes Strampeln statt klassischer Dressur, doch von den Richtern mit hohen Wertnoten belohnt.

Solange die spektakulärsten Pferde den meisten Erfolg und das meiste Geld bringen, wird die Situation nicht besser. Nur die Dachverbände für unseren Reitsport können dieser Entwicklung mit klaren Regeln ein Ende setzen. Es ist höchste Zeit!

Debatte um Dressur
Lisa Rädlein
Nadine Szymanski, CAVALLO-Redakteurin.

Nadine Szymanski, CAVALLO-Redakteurin.

Die Experten

"Viele Reiter scheinen nicht mehr mit ihrem Pferd zu arbeiten, sondern gegen es zu kämpfen."

Debatte um Dressur
privat
Christoph Ackermann, Dressurausbilder, lernte bei Reitmeister Egon von Neindorff. www.conde-reitseminare.de

Christoph Ackermann, Dressurausbilder, lernte bei Reitmeister Egon von Neindorff. www.conde-reitseminare.de

"Die Richterei ist oft das Problem: Gutes und harmonisches Reiten wird häufig nicht belohnt, sondern spektakuläres."

Debatte um Dressur
Lisa Rädlein
Dr. Britta Schöffmann, FN-Richterin, Dressurausbilderin bis Grand-Prix-Niveau, Buchautorin. www.britta-schoeffmann.com

Dr. Britta Schöffmann, FN-Richterin, Dressurausbilderin bis Grand-Prix-Niveau, Buchautorin. www.britta-schoeffmann.com

"Wir müssen unsere Richtlinien durchsetzen und Position beziehen, auch international."

Debatte um Dressur
privat
Thies Kaspereit, Ausbildungsleiter bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e. V. (FN). www.pferd-aktuell.de

Thies Kaspareit, Ausbildungsleiter bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e. V. (FN). www.pferd-aktuell.de

"Feines Reiten muss belohnt werden und unfaires Reiten muss Konsequenzen haben."

Debatte um Dressur
Lisa Rädlein
Dr. Kathrin Kienapfel ist Verhaltensbiologin und forscht für das Pferdewohl beim Reiten. www.drkathrinkienapfel.jimdo.com

Dr. Kathrin Kienapfel ist Verhaltensbiologin und forscht für das Pferdewohl beim Reiten. www.drkathrinkienapfel.jimdo.com

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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023