"Welche Frage am meisten nervt?“, fragt Florian Wagner. „Ganz klar: ‚Tut einem bei so einem langen Ritt nicht der Hintern weh?‘ Das hat wirklich jeder gefragt, dem wir begegnet sind.“ Und das sind bei 1700 Kilometern quer durch Deutschland eine ganze Menge Leute. Selbst wenn eine Erfahrung der Tour von der Zugbis zur Nordspitze von Sylt ist, dass Deutschland abseits der großen Städte mitunter ziemlich leer ist.
„Das fällt einem normalerweise gar nicht auf, wenn man auf der Autobahn von A nach B fährt“, sagt Wagner. Oder im Flieger nach Dubai, Los Angeles oder sonst wohin sitzt. Alltag für den 47-jährigen Fotografen, der vom Supermodel bis zum Schwerverbrecher schon so ziemlich alles vor der Linse hatte. Heute soll er selbst Rede und Antwort stehen, und zwar vom Sattel aus. Mit meinem Pferd Bob begleite ich ihn einen Tag lang bei einem kleinen Wanderritt durchs Allgäu.
Erkenntnis Nummer eins beim Start in Berkheim südlich von Ulm: Norddeutschland hat kein Dauerabo auf Schietwetter. Es gewittert heftig und regnet in Strömen. Bob steuert zielsicher am Halfter eine riesige Kastanie an und stellt sich unter, bis das Schlimmste vorbei ist. Pitschnass kommen Florian Wagner und seine Mitreiter beim Treffpunkt an. „Ja, Wahnsinn“, sagt Wagner. „Gestern gestartet und schon zweimal durchgeregnet.“
Der Ritt durch Deutschland im vorigen Jahr war da wesentlich trockener. „Von 65 Tagen hatten wir nur an dreien Regen“, sagt Florian Wagner. Zweimal in Schleswig-Holstein und einmal in Sachsen-Anhalt bei einem Ort mit dem bezeichnenden Namen Pissen. Über den soll sich laut Orts-Chronik schon weiland Kaiser Wilhelm I. amüsiert haben. Heute machen sich die Leute nicht nur über den Ortsnamen lustig, sie stehlen ihn auch gleich noch. „Allein in den vergangenen zwei Jahren soll das Ortsschild zehn Mal geklaut worden sein“, berichtet Wagner.
Auch seiner Gruppe ging in Pissen etwas verloren: Mandy, die Stute von Mitreiterin Karin Maushart, musste wegen Rückenproblemen ausscheiden. „Da mussten sich dann sechs Reiter fünf Pferde teilen“, sagt Wagner. „War aber kein Problem, da wir ja ein Begleitfahrzeug dabei hatten.“ Damit Wagner und seine Assistentin Hannah Gorkenant genug Zeit zum Fotografieren und Filmen hatten, begleitete sie ein ganzes Team. Wilfried „Fif“ Kolb organisierte die Unterkunft, baute die mobilen Paddocks auf und kochte. Barbara Ochotta und Karin Maushofer kümmerten sich um das Wohl der Pferde, der Journalist Johan Dehoust war als Chronist dabei.
Der Lesetrip

Abenteuer Deutschland: Wer lieber im Lehnsessel verreist, ist mit Florian Wagner gut aufgehoben. Der opulente Bildband (Text Johan Dehoust) hat 224 Seiten, kostet 39,95 Euro und erschien bei National Geographic.










Wetter im Auge behalten
Auch der Tagesablauf auf dem Wanderritt war strikt geregelt. Aufstehen morgens um 5 Uhr, 6 bis 13 Uhr Reiten, 13 bis 21 Uhr Bearbeitung und Verschlagwortung der neuen Fotos, Internetblog befüllen, 21 bis 21.30 Uhr Abendessen, noch ein Stündchen plaudern, danach halbtot ins Bett und in der Früh wieder aufs Pferd. „Anders geht so etwas nicht“, sagt Wagner, der fast ein Jahr in die Vorbereitung gesteckt hat. Die meisten Teilnehmer waren erfahrene Reiter mit eigenen Pferden. Florian Wagner war gleich mit zweien dabei, Araber-Wallach Rooh für sich sowie Paint-Stute Soloma für Assistentin Hannah Gorkenant. „Wir haben sogar vorher regelmäßig Anti-Schreck-Training gemacht, damit die Pferde nicht gleich beim ersten Trecker stiften gehen“, sagt Florian Wagner.
Trotzdem wäre der Ritt schon fast nach der ersten Woche vorbei gewesen. Als Wagner einen knisternden Brotbeutel aus der Satteltasche zieht, geht Rooh durch. Wagner fällt vom Pferd und prellt sich den Rücken. „Zum Glück konnte ich nach ein paar Tagen wieder reiten“, sagt er. Wochen später rennt Fjordstute Sonne Hannah Gorkenant über den Haufen. Auch das geht glimpflich ab, zeigt aber, dass die beste Planung nur bedingt nützt.
Das ist auch heute so: Anders als vorgesehen, reitet nur ein Teil der Gruppe die volle Strecke zum Tagesziel, dem Josenhof (www.josenhof-kutter.de) in Rot an der Rot. Florian Wagner fährt mit einem anderen Teil im Pferdeanhänger voraus und reitet nur das letzte Stück. „Mir ist das Wetter zu unsicher“, sagt er. „Das sieht mir doch sehr nach weiteren Gewittern aus.“ Dabei sind gerade nur ein paar Wolken am Himmel zu sehen. Doch Wagner behält recht. Kaum, dass wir am Josenhof eintreffen, zieht in unserem Rücken eine düstere Regenfront auf, die die zweite Reitgruppe voll erwischt.
Auch Florian Wagners Vater war Holzbildhauer – und er liebte Pferde. „Sein Gesellenstück war ein Pferd“, erzählt Florian Wagner. „Die Reitstunden als Bub musste ich mir trotzdem selbst verdienen“, erinnert er sich. Irgendwann hörte er mit dem Reiten auf, ganz los von den Pferden kam er dennoch nicht: Nach dem Abitur geht er nach Australien, arbeitet einige Zeit als Cowboy und beginnt zu fotografieren. Später begleitet er Inuit mit der Kamera bei der Robbenjagd, besteigt den K2 im Himalaya und springt in Kanada mit Snowboardern aus dem Helikopter über den Cariboo Mountains ab.











Reitgenehmigung nötig?
Wanderreiter und Fotograf Florian Wagner hatte immer Jobs mit Risiko. Dabei hatte sich Wagners Mutter eigentlich eine sichere Banklaufbahn für ihren Sohn gewünscht. „Ich muss mir die Welt aber mit Sachen erschließen, die für andere vielleicht gefährlich oder kindisch wirken“, sagt Wagner. Man kann jedoch in weniger gefährlichen Berufen ebenfalls völlig aufgehen, wie Wagner bei seiner Reise durch die Republik feststellte: Im fränkischen Laaber traf die Gruppe Michael Plank, den besten Bierbrauer der Welt. „Ein echter Typ“, sagt Wagner. Wie der Botaniker Jürgen Feder, der jeden Grashalm der Lüneburger Heide mit Vornamen zu kennen scheint. Oder Doreen und Philipp. Sie studierte Anglistik und BWL, er war Balletttänzer, Tabledance-DJ und besaß mal einen Escort-Service. Heute betreiben die beiden einen Biedermeier-Strand in der Nähe von Leipzig.
Noch so einer Erkenntnis des Ritts : „Man muss nicht in Berlin oder Köln wohnen, um interessante Leute zu treffen“, sagt Wagner. „Außerdem ist Deutschland weitaus unspießiger, als wir meistens glauben.“ Und deutlich gastfreundlicher. „Die Etappen waren zwar geplant, wo wir unterkommen meistens nicht.“ Einen Platz zum Übernachten zu organisieren, war Aufgabe von Fahrer Fif. Nicht gerade einfach, eine Bleibe für fünf Pferde , sechs Menschen und drei Hunde zu finden. „Aber Fif hat es immer geschafft“, sagt Florian Wagner anerkennend. In Düsedau im Norden von Sachsen-Anhalt trieb Fif mit einem echten Schloss sogar ein überaus feudales Nachtlager auf.
Ärger gab es hingegen nur selten. In Wittenberg etwa: „Wir hatten die Pferde vor einem Straßencafé nahe der Schlosskirche geparkt“, sagt Wagner. An deren Türen hatte Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen genagelt und damit die Spaltung der christlichen Kirche ausgelöst.
Solche revolutionären Zeiten sind definitiv vorbei, denn es dauerte nicht lange, bis zwei Polizisten von Wagners Gruppe eine Reitgenehmigung für die Innenstadt sehen wollten. „Wir waren der Meinung, dass wir die nicht brauchten“, sagt Wagner. Damit liegt er prinzipiell richtig: Reiten ist nach der Straßenverkehrsordnung auf öffentlichen Wegen grundsätzlich erlaubt (siehe auch CAVALLO 9/2014). „Nach kurzer Beratung gaben die beiden Polizisten zwar zu, dass sie sich da auch nicht ganz sicher waren“, erinnert sich Wagner. „Wir sollten aber trotzdem bitte weiterreiten. Das haben wir dann auch lieber gemacht.“
















Reiten nach Plan
Beim Wanderritt durch Deutschland wurde es ausgerechnet im Pferdeland Schleswig-Holstein etwas unangenehmer. „In Lübeck rückte uns ein besonders eifriger Polizist auf die Pelle, weil wir angeblich mit einem Großaufgebot unerlaubt in einem Naturschutzgebiet gezeltet hatten“, sagt Wagner. Der obligatorische Ritt durchs Holstentor, dem Wahrzeichen der Hansestadt, war hingegen unproblematisch. „Manche Leute dachten allerdings, dass wir Werbung für die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg machen.“ Im nahegelegenen Travemünde, der Flaniermeile der Hamburger, rastete ein gut gekleideter Herr beim Anblick der Pferde aus. „Erst warf er uns böse Blicke zu, dann zeigte er uns den Stinkefinger und pöbelte herum.“ Der Grund: Eines der Pferde hatte auf die Strandpromenade geäppelt.
Ärger von außen ist eine Sache, doch wie steht es mit Zoff in der Gruppe? „Den gab es zum Glück nur selten“, sagt Florian Wagner. Sein Tipp zur Konfliktlösung: „Reden. Und Kaffee. Der ist kriegsentscheidend, besonders, wenn man morgens um fünf Uhr raus muss.“ Früh aufstehen muss er ein Jahr nach dem Deutschlandritt immer noch. Zumindest einmal die Woche. „Früher habe ich in München gewohnt und bin nur am Wochenende zu den Pferden aufs Land“, erzählt Wagner. Seit dem Ritt versucht er, alle Termine in der Stadt an einem Tag zu erledigen und möglichst viel Zeit mit Rooh, Soloma und Hündin Blika zu verbringen – ausreiten, schauen, entspannen.
„Eigentlich sind bei meinem Job zwei Pferde Quatsch“, gesteht Florian Wagner. Als Fotograf müsse er schnell auf Aufträge reagieren und sei viel unterwegs. Aber die Pferde seien gut untergebracht. „Und ich möchte sie einfach nicht mehr missen.“ Bleibt noch eine Sache zum Schluss: „Zwei Tage“, sagt Wagner. So lange schmerze der Hintern nach Beginn einer Reittour. „Am dritten wird es besser, am vierten Tag hat man sich daran gewöhnt.“ Den Pferden sei es übrigens ähnlich gegangen. „Aber das wollte kaum jemand wissen.“

Einmal von Süd nach Nord
Florian Wagner und sein Team starteten in der Nähe der Zugspitze, ritten durch Bayern, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Nach 1720 Kilometern und 65 Tagen erreichten sie die Halbinsel Ellenbogen auf Sylt, den nördlichsten Teil Deutschlands. Während die Pferde im Anhänger nach Hause fuhren, flog Wagner die Strecke im Helikopter zurück.









