Was sind Ödeme?
Als Ödem bezeichnet man per Definition eine Ansammlung von Flüssigkeit im sogenannten Extrazellularraum (Bindegewebe). Ein übermäßiger Austritt von Flüssigkeit entsteht, wenn in den Blutgefäßen der hydrostatische Druck erhöht oder der kolloidosmotische Druck vermindert ist.
Wie entstehen Ödeme beim Pferd?
»Vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass Ödeme erst einmal nichts anderes sind als eine Ansammlung von Flüssigkeit im Bindegewebe, unabhängig von der Ursache«, erklärt Tierärztin Vanessa André: »Aufgrund der Schwerkraft sammelt sich diese Flüssigkeit bei unseren Pferden am tiefsten Punkt des Körpers, den Gliedmaßen.« Wo kommt die Flüssigkeit jedoch her? Aus den Arterien treten – bei physiologischer Kreislaufzirkulation – im Kapillargebiet Flüssigkeit, Blutzellen und Nährstoffe ins Bindegewebe über; so findet der Nährstoffaustausch statt. Lymphgefäße nehmen die Flüssigkeit anschließend wieder auf und transportieren sie zurück Richtung Herz, wo sie unterwegs die Flüssigkeit den Venen zuführen. Lymphgefäße haben, anders als Arterien, kaum eigene Muskelzellen an den Gefäßwänden, sodass der Flüssigkeitstransport weitestgehend passiv erfolgen muss. Dabei spielen Gefäßkontraktion (Pulsation) der benachbarten Blutgefäße sowie Muskel- und Gewebskontraktion durch Bewegung eine entscheidende Rolle. »Da der Transportweg der Lymphe bis zum Eintritt in den Venenwinkel von den Hintergliedmaßen deutlich länger ist als von den Vorderbeinen, treten Ödeme zunächst an den Hinterbeinen des Pferdes auf. Das erklärt uns sehr deutlich, warum bei Bewegungsmangel dicke Beine entstehen«, sagt die Tierärztin.
Ödeme im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen
Ödeme können zudem als Symptom systemischer Erkrankungen wie Herzproblemen auftreten: Bei Rechtsherzinsuffizienz treten Ödeme an Beinen, Unterbauch und Unterbrust auf. In sehr seltenen Fällen kann das sogenannte Cor pulmonale, das sich nach jahrelanger Asthmaerkrankung (früher genannt: COPD/RAO/Dämpfigkeit) ausbilden kann, dafür verantwortlich sein. Auch fortgeschrittene Nierenerkrankungen verursachen Stauungsödeme, da bestimmte Eiweiße dann nicht mehr resorbiert werden können und vermehrt mit dem Harn ausgeschieden werden. Die Niereninsuffizienz ist meist verursacht durch Nierenschädigung aufgrund von Medikamenten (NSAIDs), Giftpflanzen oder Immunkomplexreaktionen (s.u.). Bei der larvalen Cyathostominose (Befall des Darms mit kleinen Strongyliden) wird die Darmwand unter anderem so stark geschädigt, dass auch bei dieser Erkrankung Eiweiße über den Darm sozusagen verloren gehen, erklärt Tierärztin Vanessa André. »Vermindert sich durch den Verlust der Eiweißgehalt im Blut, wird Flüssigkeit nicht mehr im Gefäßsystem ›gehalten‹ und tritt ins Gewebe aus. Ödeme sind die Folge.« Viruserkrankungen, wie das Equine Arteritisvirus (EVA) oder Infektiöse Anämievirus (EIA), schädigen die Gefäßwände direkt; sie werden »undicht« und damit durchlässiger für Flüssigkeit. Ähnliche Schädigungen können bei Immunkomplexbildung im Rahmen des morbus maculosus (Komplikationsreaktion bei Druseinfektion mit Streptococcus equi sp. equi) auftreten.
Eiweiß im Gras kann angelaufene Beine begünstigen
Fütterungsbedingt beobachtet man angelaufene Beine oft während der Weidesaison, wenn der Eiweißgehalt im Gras deutlich ansteigt. Der Überschuss kann im Körper der Pferde nicht direkt verarbeitet werden und reichert sich im Kapillargebiet an. Da das Eiweiß Wasser »anzieht«, steigt auch der Flüssigkeitsgehalt im Gewebe. Gefährlich sind stark kontaminierte Futtermittel mit Mykotoxinen (Pilzgifte), die in Getreide oder Heu vorkommen können. Mykotoxine können direkte Gefäßschädigungen, Nieren- oder Leberversagen verursachen und sekundär zu Ödemen führen.
Kopfödeme beim Pferd
Der sogenannte Nilpferdkopf ist ein stark ausgeprägtes Kopfödem. Dies hat mechanische Ursachen: Aufgrund der verlegten Drosselvene (Thrombophlebitis)kann die Gewebsflüssigkeit nicht mehr über die Vene abtransportiert werden und staut sich in der Unterhaut des Kopfes. Auch im Rahmen des morbus maculosus kann es zur Ausbildung des Nilpferdkopfs kommen.
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