Eiweiß ist grün – zumindest in den Augen vieler Pferdebesitzer. Sie glauben, dass Proteine auf der Weide wachsen und füttern deshalb im graslosen Winter Ersatz aus der Dose. Doch Eiweißpulver schaden oft mehr als sie nützen. Ob Ihr Pferd ausreichend Proteine im Futter hat, aber nicht mit Eiweiß überschwemmt wird, hängt vom Bedarf und vielen weiteren Faktoren ab. Der CAVALLO-Leitfaden klärt auf.
Was ist Eiweiß?
Proteine stellen mit 50 Prozent Anteil an jeder Zelle wichtige Körperbausteine und steuern als Boten den Stoffwechsel. Sie bestehen aus 20 verschiedenen Aminosäuren, die sich zu unendlich vielen, extrem großen und wild verschachtelten Eiweißmolekülen verbinden. Jede Zelle kann bis zu 5000 davon enthalten.
Wozu braucht das Pferd Proteine?
Täglich baut und ersetzt der Körper Milliarden Eiweiße. Einen Teil der dafür nötigen Aminosäuren kann das Pferd nicht selbst bilden (essenzielle Aminosäuren). Die holt es sich aus den im Futter enthaltenen Eiweißen. Diese in ihre Bausteine zu zerlegen und zu neuen Proteinen zusammenzubauen kostet viel Energie. Der Prozess kann nicht auf Vorrat ablaufen, da der Körper Proteine kaum speichern kann.
Wieviel Eiweiß ist nötig?
Das Gewicht des Pferds bestimmt seinen Proteinbedarf. Große Tiere brauchen mehr Protein als kleine. Der Wert wird mit Formeln berechnet, er steigt nicht proportional. Ein 500-Kilo-Pferd braucht bei mittlerer Arbeit 479 bis 821 Gramm verdauliches Rohprotein am Tag. Mehr Leistung erfordert mehr Eiweiß. „Deckt die Ration den Energiebedarf, droht jedoch in der Regel kein Proteinmangel“, sagt Dr. Dorothe Meyer, Tierärztin und Futterexpertin vom Ergänzungsfutter-Hersteller iWEST in Hohenpeißenberg/Bayern. Nur Stuten und Fohlen brauchen mehr, denn Milchproduktion und Wachstum saugen Proteine förmlich auf.
Woher stammen die Proteine im Futter?
Der wichtigste Eiweißlieferant fürs Pferd ist Heu. Sein Proteingehalt hängt vom Schnittzeitpunkt ab und schwankt zwischen 130 und 60 Gramm Rohprotein pro Kilo (vor bzw. nach der Blüte). Darin finden sich etwa 37 Gramm essenziellen Aminosäuren. Das ist im Vergleich zu anderen Futtermitteln recht viel. Silage enthält mehr Wasser als Heu und damit weniger Eiweiß pro Kilo.
Im Kraftfutter liefert Hafer neben leicht verdaulicher Energie auch 80 bis 120 Gramm Rohprotein pro Kilo und etwa 47 Gramm essenzielle Aminosäuren. Die schlechter verdauliche Gerste hat ähnlich viel Rohprotein, aber nur 37 Gramm essenzielle Aminosäuren. Mais enthält noch weniger dieser wichtigen Moleküle. Im Weidegras stecken ungefähr 15 bis 50 Gramm Rohprotein pro Kilo. Vor der Blüte enthält Gras mehr Protein als in der Blüte oder danach. „Davon nutzt das Pferd etwa 70 Prozent, die verdaulichen Rohproteine“, sagt Dr. Meyer. Fresszeit und Grashöhe bestimmen, wie viele Proteine ein Pferd beim Grasen aufnimmt.
Je kürzer die Weidezeit, desto mehr mampft es in einer Stunde. Bleibt es länger draußen, dehnen sich auch die Fresspausen aus. Bei 10 Zentimeter langen Halmen und drei Stunden Weidegang frisst ein 400 Kilo schweres Pferd etwa 4,6 Kilo pro Stunde. Bleibt das Tier zwölf Stunden draußen, sind es stündlich noch ungefähr 3,5 Kilo. Eiweißreiches Gras liefert dann schon mehr Protein, als das Pferd verbrauchen kann.

Proteinversorgung: Probleme erkennen
Ist Ihr Pferd gut bemuskelt und leistungsbereit, hat es glänzendes Fell sowie stabile Hufe, sind genug Proteine im Futter. Fehlen Aminosäuren in der Ration, werden wichtige Körpereiweiße nicht gebildet, und Muskeln wachsen nicht. Das passiert allerdings auch, wenn das Pferd zu viel Eiweiß frisst. Pferde vertragen einen Proteinüberschuss von bis zu 50 Prozent. Das klingt nach viel, ist aber schnell erreicht.
Denn Futtergras und -getreide enthalten viel mehr Eiweiß als die dürren Steppengräser, mit denen sich Urpferde versorgten. Überschüssige Proteine muss der Körper um- und abbauen. Die dafür nötige Energie fehlt im Organismus. Das Pferd wird schlapp und bleibt dünn. „Deshalb bringen manche Tiere trotz voller Krippen schlechte Leistungen und nehmen nicht zu“, erklärt Dorothe Meyer. Außerdem belastet der dauernde Proteinabbau Leber und Niere. „Beim Zerlegen der Aminogruppen wird zudem das Nervengift Ammoniak frei“, sagt Meyer.
„Im Darm steigt der pH-Wert. Das stört die Verdauung; Durchfall, Kotwasser und Koliken drohen. Gerät Ammoniak ins Blut, weil die Leber mit dem Abtransport nicht mehr nachkommt, kann es Pferde unkontrollierbar machen.“
Wie beseitigt man einen Mangel?
Normalerweise reicht es, auf eine gut kalkulierte Ration umzustellen. Fehlt dann noch viel, schließen eiweißhaltige Futtermittel die Lücke. Sojaschrot liefert mit 180 Gramm essenziellen Aminosäuren pro Kilo besonders viel Protein. Auch Leinsamen, Luzerne und Bierhefe enthalten viel Eiweiß. Von Protein-Pulvern rät Dorthe Meyer ab.
Der Körper kann nicht jedes Protein verwenden, und die Zusammensetzung der Mittel ist oft nicht genau aufgeschlüsselt. „Damit kann schnell ein Eiweißüberschuss entstehen, ohne dass der eigentliche Mangel behoben wird“, warnt Meyer. „Entscheidend ist nämlich nicht, wie viele Aminosäuren Sie füttern, sondern welche.“ Die Proteinsynthese erfolgt nach strengen Regeln. Fehlt ein zentraler Baustein wie Lysin oder Methionin, stoppt der ganze Prozess, egal wie viel andere Aminosäuren vorhanden sind.

Rationsberechnung: Proteine richtig füttern
Blut- oder Urinproben liefern keine klaren Aussagen. „Ein hoher Harnstoffwert kann einen Proteinüberschuss anzeigen“, sagt Dr. Ingrid Vervuert, Fachtierärztin für Tierernährung an der Universität Leipzig. „Doch auch Nierenprobleme und starker Muskelabbau machen sich so bemerkbar.“ Der Gesamtproteingehalt im Blutplasma kann Hinweise auf einen schädlichen Proteinmangel liefern. Doch die Plasmakonzentration hängt davon ab, wie viel das Pferd trinkt und schwitzt.
Der Wert ist allein nicht wirklich aussagekräftig. Der sicherste Weg zur gesunden Proteinversorgung führt über einen Rations-Check vom Fachmann. Für völlige Klarheit können Sie dann noch das Raufutter auf seinen Nährstoffgehalt untersuchen lassen. „Nur mit einer Grundfutter Analyse wissen Sie, wie viel Protein wirklich in den Halmen steckt“, sagt Futterberaterin Dr. Heike Maroske aus Langenau bei Ulm.
Wie berechnet man die Protein-Ration?
Fachbücher oder Computerprogramme helfen, den Bedarf selbst zu ermitteln. Doch wegen der vielen Einflussfaktoren ist das nicht ganz leicht. Zuverlässige Hilfe bieten unabhängige Futterberater und viele Universitäts-Institute. Die Kosten liegen ungefähr zwischen 25 und 100 Euro und hängen jeweils vom Einzelfall ab.
Experten-Meinung: „Es reicht fast immer!“
Anhand von vier Musterrationen zeigt Futterexpertin Dr. Dorothe
Meyer, wie unwahrscheinlich Eiweißmangel bei Reitpferden ist.
TYP 1: Warmblut, 550 kg, mittlere Arbeit: 2,5 kg Hafer und 9 kg Heu
Protein-Check (g/Tag):Gehalt / Bedarf 716,7 / 479-821
Kommentar Meyer: Eine passende Ration Heu und Hafer deckt den Proteinbedarf eines Reitpferds auch ohne Gras. Niemand muss Weidegras mit Eiweißpulver ersetzen. Wichtige essenzielle Aminosäuren sind ausreichend da, zum Teil drei- bis viermal so viel wie nötig.
TYP 2: Warmblut, 550 kg, mittlere Arbeit, 5 Std. Weide: 2,5 kg Hafer, 9 kg Heu, etwa 15 kg kurzes Gras – Protein-Check (g/Tag): Gehalt / Bedarf 975 / 479-821
Kommentar Meyer: Kommt dasselbe Pferd wie links zusätzlich tagsüber auf die Weide, nimmt es selbst bei nur fünf Zentimeter kurzem Gras zu viel Proteine auf. Für eine optimale Versorgung müsste der Hafer auf 1 kg und das Heu auf 7 kg pro Tag reduziert werden.
TYP 3: Warmblut, 550 kg, mittlere Arbeit, eiweißarmes Futter: 3 kg Maiskörner, 3 kg Sommergerste, 4 kg Heu – Protein-Check (g/Tag): Gehalt / Bedarf 666,9 / 479-821
Kommentar Meyer: Selbst bei dieser ansonsten unsinnigen Fütterung ist der Proteinbedarf des Pferds gut gedeckt. Die Ration ist ungesund, weil dem Pferd Rohfasern fehlen und es zu viel Getreide bekommt. Beides belastet Magen und Darm stark.
TYP 4: Säugende Stute, 550 kg, mit 3 Monate altem Fohlen bei Fuß: 5 kg Hafer, 10 kg Heu
Protein-Check (g/Tag): Gehalt / Bedarf 986,3 / 1028-1900
Kommentar Meyer: Nur besondere Belastungen wie das Ende der Trächtigkeit und die ersten vier Monate der Laktation kosten den Körper mehr Protein als Energie. Deshalb fehlen der Stute trotz großer Haferration verdauliche Rohproteine und auch wichtige Aminosäuren.

Pferdefütterung: Experten im Überblick
Dr. Ingrid Vervuert
Fachtierärztin für Tierernährung
Universität Leipzig
Ritterstraße 26
04109 Leipzig
Tel: 0341-97-108 oder 97-109
Fax: 0341-97-30099
Dr. Dorothe Meyer Tierärztin/Futterexpertin
iWEST ® Tierernährung
Dr.Meyer & Co. KG
Hinterschwaig 46
82383 Hohenpeißenberg
Tel: 8805-92020
Fax: 8805-920212
E-Mail: info(at)iwest.de
Internet: www.iwest.de
Dr. Heike Maroske Ernährungsberatung
Dieselstraße 7
89129 Langenau
Tel: 07345-933024
Fax: 07345-933705
E-mail: dr.maroske@futtercheck.de
Internet: www.futtercheck.de
Prof. Dr. Manfred Coenen
Institut für Tierernährung
Gustav-Kühn-Straße 8
04159 Leipzig
Tel: 0341-9738370
Fax: coenen@vetmed.uni-leipzig.de
Internet: www.uni-leipzig.de
Prof. Dr. Ellen Kienzle
LMU München, Lehrstuhl Tierernährung
Schönleutnerstr. 8
85764 Oberschleißheim
Tel. 089-2180-78701
kienzle@tiph.vetmed.uni-muenchen.de
Internet: www.uni-muenchen.de
Dr. Kathrin Irgang
Prosaani GmbH
Treskowallee 129, 10318 Berlin
Tel: 030 – 50968290
kirgang@gmx.de
Internet: www.prosaani.de
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