Riesige Wurzeln spannen sich wie knorrige Spinnennetze über den Waldboden, ragen weit aus der Erde hervor. Wallach Eros ist unbeeindruckt. Er klettert gekonnt am langen Zügel über die natürlichen Schikanen des Nordschwarzwalds. Der Haflinger-Quarter-Mix ist von Beruf Wanderreitpferd und perfekt an alle Offroad-Bedingungen angepasst.

Zusammen mit seinem Besitzer Josef Lamm und dessen Wanderreitpferd Destinée gibt es für mich heute eine Einführung ins Wanderreiten. Ich tausche meine Dressurstiefel gegen profilierte Wanderreitstiefel und sitze im Western- statt Englischsattel. Bei Josef Lamm, genannt Sepp, lerne ich heute, wie man einen Ritt vorbereitet, was man einpackt und was das Pferd können muss.

Schnapsbrunnen sollen Wanderer stärken
Sepp führt den Simmehof mit seiner Frau Kerstin als Wanderreitstation (wanderreitstation-simmehof.de). Der Hof liegt im badischen Kappelrodeck auf 380 Metern Höhe zwischen Wald und Weinbergen am Rande des Schwarzwalds. "Unser Hof ist seit dem 17. Jahrhundert in Familienbesitz, früher betrieben meine Eltern Ackerbau, Weinbau, Obstbau, Viehzucht und Waldwirtschaft", erzählt Sepp.
In den 1970er-Jahren zogen die ersten Pferde ein. Heute kann man mit dem eigenen oder den hofeigenen Pferden an Wanderritten teilnehmen oder bei Ritten in Eigenregie hier Station machen. Seit 30 Jahren ist Sepp Berittführer. Gut, dass so ein alter Hase mich begleitet, denn ich bin noch grün hinter den Ohren.

Als wir den schmalen Pfad verlassen, führt uns der Weg aus dem Wald heraus und wir genießen eine tolle Aussicht hoch über den Weinbergen auf Sasbachwalden und das Kloster Erlenbad. Immer wieder kommen wir an sogenannten Schnapsbrunnen vorbei, die hier typisch sind.
"Das fing damit an, dass durstige Wanderer immer mal wieder an den Türen klingelten", erzählt Sepp, dessen Hof ebenfalls einen Schnapsbrunnen hat. Dort gibt es aber nicht etwa nur den typischen hochprozentigen "Obstler", sondern auch Softgetränke, die im Quellwasser gekühlt werden.
Den Unkostenbeitrag darf der Wanderer auf Vertrauensbasis ins "Kässle" werfen. Im Schwarzwald ist die Welt halt noch in Ordnung.

Jetzt geht es steil bergab und es heißt "Absitzen bitte." Wir gehen zu Fuß, um die Pferde zu schonen. "Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir gute Schuhe haben und fit genug sind, wieder aufs Pferd aufzusteigen", sagt Sepp. Schon lange bin ich nicht mehr ohne Aufstieghilfe aufs Pferd geklettert und Eros ist mit seinen 1,60 Metern Stockmaß auch nicht ganz klein.
Da er zuverlässig steht, klappt es aber. Immer gut, es auch mal wieder ohne Aufstieghilfe zu üben, falls wie in unserem Fall mal keine Bank oder ein Baumstamm in der Nähe ist.
Ein Weideunfall? Nein, ein top Wanderreitpferd
Geht so ein Wanderritt eigentlich mit jeder Rasse? "Im Prinzip kann man das mit jedem Pferd machen, man sollte nur beachten, dass man mit Gepäck und Sattel ganz schön viel Gewicht mitbringt – das vertragen manche Pferderassen einfach besser", erklärt Sepp.
Eher kompakte, kurzrückige Pferde mit gutem Fundament sind besonders tragfähig. Gleichzeitig sollen Wanderreitpferde gehfreudig sein und einen guten Schritt mitbringen. So wie Eros, der nicht etwa aus einem Weideunfall mit Quarter und Haflinger entstand, sondern extra gezüchtet wurde, um die Vorzüge beider Rassen zu vereinen: die Rittigkeit des Quarters und die Robustheit des Haflingers. Drei dieser Mixe stehen bei Lamms im Stall. Sepps Stute Destinée ist eine Freiberger-Stute, eine Rasse, die sich fürs Wanderreiten auch gut eignet.
Neben einem kräftigen Rücken sind gute Hufe von Vorteil. "Wir beschlagen rundherum mit Eisen oder Kunststoff mit Eisenkern", sagt Sepp. Etwa 350 Kilometer halten die Beschläge durch. Hier im Schwarzwald geht es nicht ohne Hufschutz, für die Pferde vom Simmehof hat sich da ein Beschlag bewährt. "Wir nehmen auch Pferde mit Hufschuhen mit, aber die müssen vorher zwingend in allen Gangarten getestet sein und gut halten – denn es ist lästig, auf Tour nach Hufschuhen zu suchen."
Auf Wanderritten wird größtenteils Schritt geritten und eher kürzere Strecken getrabt oder galoppiert. Nach einem flotten Galopp und insgesamt drei Stunden Reitzeit kommen wir an einer Waldhütte an, wo wir rasten. Dort gibt es für uns belegte Brötchen und ein Schlückchen Rotwein.
Die Pferde tragen ein Stallhalfter aus Biothane unter ihrem Zaum und werden am Balken der Hütte angebunden. "Ein Wanderreitpferd sollte sich überall anbinden lassen und ruhig und entspannt stehen können", erklärt der Rittführer. "Idealerweise trinkt es auch aus einem Bach oder einem See." In der Natur saufen Pferde zwei bis drei Mal pro Tag; ist man den ganzen Tag unterwegs, sollte das Pferd mindestens einmal unterwegs Zugang zu Wasser haben.

Gut gestärkt geht es zurück in den Sattel und weiter durch den Schwarzwald. Unsere Pferde stapfen trittsicher übers Geröll auf schmalen Trails zwischen den Baumriesen. Dann öffnet sich wieder der Wald und wir blicken herab auf den Berg Dasenstein.
Hier soll einer Sage nach die "Hex vom Dasenstein" gewohnt haben, ein Burgfräulein vom Schloss Rodeck, das wegen einer Liebschaft zu einem Bauern von seiner Familie verstoßen wurde. Doch ohne Haus und Grund wollte auch der Bauernsohn sie nicht mehr haben und so hauste sie im Dasenstein. Dort pflanzte sie Wein und soll den Leuten Streiche gespielt haben.

Statt Hexenstreichen gibt es für Eros und Destinée eine kleine Mutprobe. Mitten auf dem schmalen Waldweg kommt uns ein lautes Mähfahrzeug entgegen. Die beiden Pferde gehen entspannt vorbei.
"Eine gute Gelassenheit ist wichtig für ein Wanderreitpferd, es muss sicher in Feld und Wald sein, gelassen durch Tunnels oder über Brücken gehen und auch im Ort in einer belebten Fußgängerzone entspannt sein", erklärt Sepp.
Auf dem Simmehof läuft das nach dem Prinzip "Learning by Doing" ab. Nach dem Anreiten und einer Basisausbildung auf dem Platz geht es recht früh hinter einem erfahrenen, gelassenen Pferd raus ins Gelände. Ab einem Alter von fünf Jahren nimmt Sepp auch fremde Pferde mit auf einen Ritt.
Nach oben gibt es vom Alter her keine Begrenzung – es kommt individuell darauf an, wie agil das Pferd ist. "Wir haben oft auch Oldies Ü20 dabei. Das älteste Pferd auf einem mehrtägigen Ritt war ein rüstiger 27-jähriger Haflinger", erinnert sich der Rittführer.
Ausgerechnet im Dorf landet ein Haufen Äppel
Mitten im Ort ist es dann soweit: Eros muss mal – was nun? Kein Problem, Sepp hat einen Müllsack und Einmalhandschuhe in der Satteltasche. "Wir nehmen Pferdeäpfel immer mit", sagt er. "Nur so behalten die Leute uns in guter Erinnerung." Dafür sammelt er nicht nur Mist, sondern grüßt jeden freundlich und lässt sich oft auf einen Plausch ein. "Damit die Menschen uns Reiter positiv wahrnehmen", sagt er.

Neben Einmalhandschuhen hat Sepp noch mehr Geheimtipps. Kabelbinder für Reparaturen zum Beispiel. "Vor einem längeren Ritt sollte man das Equipment für Pferd und Reiter unbedingt ausgiebig auf kürzeren Strecken testen und Schuhe einlaufen", sagt Sepp. "Unsere Sättel werden zwei Mal im Jahr von einem Sattler überprüft, damit sie perfekt passen."

Einen Insider-Tipp hat Sepp noch: "Nahtlose Unterhosen haben sich bewährt, wenn man stundenlang im Sattel sitzt", sagt er. Diesen Tipp hätte ich mal vor dem Ritt gebraucht. Als wir am Berg wieder absitzen, spüre ich ganz schön meinen Hintern – und habe doch Lust, gleich selbst eine Tour zu planen.

Drei Punkte, die Wanderreit-Neulinge vor dem ersten Ritt beachten sollten
1. So planen Sie selbst einen Wander- oder Tagesritt
Viele Tipps und Infos zum Thema Wanderreiten finden Sie auf der Internetseite der Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland (www.vfdnet.de). Dort finden Sie auch regionale Verbände zum Wanderreiten.
Strecke planen: Je nach Höhenmetern sollten Sie täglich nicht mehr als 20 bis 25 Kilometer einplanen. In flachem Gelände ohne Höhenmeter können es auch mal 30 Kilometer sein.
Karte und GPS-Gerät: Bevor es losgeht, sollten Sie üben, mit beidem umzugehen.
Wanderreitstationen buchen: Einfach so draufloszureiten kann ein Abenteuer sein, wer auf Nummer sicher gehen möchte, bucht die Unterkünfte vorher – vor allem für eine größere Gruppe. Unter www.vfdnet.de/wanderreitstationen finden Sie Unterkünfte in ganz Deutschland. Da nicht alle aktuell sind, sollten Sie die Unterkünfte frühzeitig anschreiben oder vorher anrufen.
2. Die richtige Vorbereitung fürs Pferd
Um auf einen mehrtägigen Wanderritt zu starten, müssen Sie nicht täglich fünf Stunden reiten. Vier bis fünf Mal pro Woche reiten reicht aus – für Kondition und eine fitte Tragemuskulatur ist eine Mischung aus gymnastizierender Arbeit und längeren Ausritten (zwei bis drei Stunden) ideal.
Da auf Wanderritten überwiegend Schritt geritten wird, kann das Pferd unterwegs noch Kondition aufbauen. Was ein Wanderreitpferd zudem können sollte:
- sich von jeder Position aus führen lassen,
- sich überall anbinden lassen und ruhig stehen,
- trittsicher gehen, auch in schwierigem Gelände,
- trinken und fressen in fremder Umgebung,
- gelassen bleiben im Straßenverkehr und frequentierten Fußgängerzonen,
- kein Problem mit Engpässen haben,
- sich an jeder Stelle einer Gruppe reiten lassen,
- durch Wasser, Tunnel und über Brücken gehen,
- als Handpferd gehen.
3. Diese Ausrüstung muss mit
Für den Reiter: Erste-Hilfe-Set, Nähzeug, nahtlose Unterhosen, Funktionsshirt (trocknet schnell), warmer Pullover, Regenkleidung, Powerbank und Ladekabel fürs Smartphone.
Für das Pferd: gut sitzender Sattel, am besten mit größerer Auflage (Wanderreitsattel, Westernsattel), Halfter und Strick, Falteimer, einfa cher Zaum, erprobte, nicht flatternde und dichte Packtaschen (Tipp: trotzdem alles in Plastikbeutel packen), Lederriemen zum Befestigen des Gepäcks, Bürste und Hufkratzer, Insektenabwehr, Müllsack und Einmalhandschuhe für Pferdeäpfel, Hufnägel, Krankenschuh und Panzerband (falls das Pferd ein Eisen verliert), Elektrolyt-Paste und Maulspritze (falls ein Pferd Kreislaufprobleme hat), Kabelbinder (für Reparaturen).
Für Selbstversorger: Astronautennahrung, Camping-Kocher, Faltschüsseln, Besteck, Zelt, Schlafsack, Isomatte, Zaunset mit Batterien.