Zu Gast bei Ausbilderin Nicole Künzel

CAVALLO hautnah
Zu Gast bei Ausbilderin Nicole Künzel

Veröffentlicht am 23.04.2023
Hautnah bei Nicole Künzel
Foto: Antje Wolff

Ein rotes Backsteingebäude mit blauem Scheunentor im norddeutschen Stil. Vor der Einfahrt wachen alte Bäume. Aber aus den Boxen schauen keine Pferdeköpfe: Wie kommt das? So ein Hof ist doch der Traum eines jeden Pferdebesitzers. "Ich bin am liebsten draußen – und meine Pferde auch", erzählt Nicole Künzel. "Die Boxen sind meistens nur zu Silvester belegt – oder wenn viele Gastpferde kommen." Im Stall duftet es nach Heu und nach Kaffee, den die Ausbilderin für den CAVALLO-Besuch gekocht hat. Pferdegeruch? Fehlanzeige. Das Leben mit den Tieren findet in der Natur statt. Die Reithalle ist ebenso verwaist wie die Boxen.

Klassische Dressur, Zirkuslektionen, Arbeit an der Hand, Freiarbeit, kleine Sprünge – das übt Nicole Künzel mit ihren eigenen und Ausbildungspferden am liebsten auf dem Reitplatz und im Gelände. Ihre Interessen sind vielseitig: "Ich suche immer nach Wegen, wie es noch feiner geht", erzählt die 42-Jährige.

Nicole Künzel hat sich einen Ort der Ruhe geschaffen. Vor 14 Jahren pachtete sie den Hof im niedersächsischen Fuhrberg. Dort leben auf großen Weiden ihre neun Pferde und Ponys in Kleingruppen: vom Warmblut bis zum Spanier – die Mischung ist bunt. Auch zwei alte Pferde haben dort Platz, die schon seit über 25 Jahren zusammen bei Nicole Künzel leben. Pferde sind Familie. Die Ausbilderin verbringt gerne viel Zeit mit ihnen: Ihre Jungpferde nimmt sie teils sogar zum Unterricht mit auf den Reitplatz. "Damit wir etwas gemeinsam unternehmen, ohne dass ich ständig etwas von ihnen fordere", erzählt sie.

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Beim CAVALLO-Besuch hören wir das Krächzen der Krähen – aber kein Klingeln vom Handy. Das Smartphone nutzt Nicole Künzel nur im Ausnahmefall: Wenn sie mit den Pferden zusammen ist, schenkt sie den Tieren ihre volle Aufmerksamkeit. Auf dem Gelände ist es still. Doch die Stille bedrückt nicht. Es fühlt sich eher an, als würden Mensch und Tier einander lauschen.

Wer der Reiterin beim Training zusieht, dem fällt ihre Achtsamkeit für feine Details auf: Sie führt kein Pferd an der Trense. Das Gebiss kommt erst zum Reiten ins Maul – und sie drückt es nicht hinein, sondern die Pferde senken den Kopf und nehmen es selbst. Einen Keks als Belohnung gibt es von ihr auch: "Aber der kommt zum Pferd. Und nicht das Pferd zum Keks."

Kollegiale Verbindung zu Richard Hinrichs

Alle Vierbeiner von Hund bis Pferd beherrschen übrigens Spanischen Schritt. Moment mal – das kennen wir doch vom Besuch bei Richard Hinrichs. Der Klassik-Ausbilder wohnt zudem im gleichen Ort. Zufall? Nein, die Wege der Ausbilder sind verwoben: Ein eineinhalbjähriges Praktikum bei Richard Hinrichs führte die gebürtige Hamburgerin mit 23 Jahren nach Hannover. Die Möbel mottete sie ein, nur die Bücher zogen mit um. Nicole Künzel hatte damals bereits eine Lehre im Buchhandel absolviert, im Buchverlag als Lektorin gearbeitet und startete erfolgreich im Turniersport. Doch ihre Stute Funny brachte sie dazu, neue Wege in der Reiterei zu suchen. Schema F funktionierte bei ihr nicht. "Funny war meine strenge Lehrmeisterin und zeigte mir, wenn ich zu ehrgeizig wurde. Sie hat mich geerdet."

Beim Besuch hält die mittlerweile 28-jährige Stute gerade ein Schläfchen auf der Weide. Die anderen Pferde sind hellwach, als Nicole Künzel mit uns durch den Gang zwischen den abgeteilten Weiden Richtung Reitplatz geht. Viele suchen Blickkontakt zu ihrer Besitzerin. Es scheint, als könnten die Vierbeiner es kaum erwarten, dass sie ihr Können zeigen dürfen. Also los, dann schauen wir doch mal!

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Den Anfang macht das achtjährige Deutsche Sportpferd Ben. Den Rappen sah Nicole Künzel vor drei Jahren bei einem Kurs in Niedersachsen. Bei der Vorbereitung auf die Körung hatte er einen Unfall erlitten. Turniermäßig war er nicht einsetzbar. Das Pferd war aufgeregt, aber trotzdem brav. Es bemühte sich, alles richtig zu machen – das ging der Ausbilderin nahe. Nicole Künzel sagte den Besitzern: Wenn Ben einmal ein neues Zuhause suche, dann sollten sie ihr doch Bescheid geben. Tatsächlich kam es so: Als ein Jahr später das Telefon klingelte, musste alles schnell gehen. Da Nicole Künzel auf einem Kurs war, fuhr kurzerhand ihr Lebensgefährte Andreas los. "Der musste schon alles mitmachen. Von Reiten im Damensattel bis Zaunbau", erzählt die Reiterin. Ohne Murren fuhr er 700 Kilometer nach Süddeutschland und holte den Wallach ab.

"Dieses Pferd ist kein unbeschriebenes Blatt. Bei Ben schaue ich jeden Tag neu, was geht", erklärt Nicole Künzel. Vielleicht ist es durch dieses Im-Augenblick-Sein nahezu meditativ, dem Pferd-Reiter-Paar zuzuschauen: Ben schwebt lautlos über den dunklen Sandboden und dehnt sich an die Reiterhand. Nicole Künzel zeigt mit ihm auch Spanischen Schritt: "Die Übung baue ich gerne ein, damit Ben aus sich herauskommt. Er soll Freude haben und kein ernstes Dressurprogramm abspulen." Der Effekt ist sichtbar!

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Spaß an der Arbeit hat auch der nächste Kandidat: Pony-Pony. Ja, so heißt er wirklich. "Aber mit Bindestrich", betont seine Besitzerin. Sie kann ihn aufgrund seiner Größe nicht reiten. Aber sie bildete ihn komplett vom Boden aus – obwohl sie ihn vor 15 Jahren nur als Beistellpferd für ihren Hengst kaufte. "Er liebt Show-Auftritte und steht immer gerne im Mittelpunkt", erzählt sie. Oh ja! Das Pony springt Fliegende Wechsel im Galopp am langen Zügel, steigt auf Kommando und liegt im nächsten Moment im Sand und lässt sich kraulen.

Als sein Job schon erledigt ist und er nur noch als Handpferd mit PRE-Hengst Vito ins Gelände gehen soll, klettert Pony-Pony kurzerhand auf eine Bank. Moment, das ist doch kein Podest! Aber der Wallach nutzt jede Gelegenheit, um Zirkus-Kunststücke vorzuführen. Nicole Künzel tadelt ihn dafür nicht: "Meine Pferde dürfen Eigenengagement zeigen – sofern es nicht gegen mich gerichtet ist."

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Während die Ausbilderin ihre Pferde auf dem Platz vorstellt, schaut ein Zaungast mit gespitzten Ohren zu. Das weckt die Aufmerksamkeit der CAVALLO-Autorin, die schon einen Artikel über spickende Pferde schrieb. Lernen die Pferde hier durch Abschauen? "Ich glaube schon", meint Nicole Künzel. "Auch Berittpferde haben Blick auf den Reitplatz. Da merke ich oft, wie sie nach einiger Zeit die Atmosphäre aufsaugen und gelassener werden."

Die positive Umgebung hat sich die Ausbilderin selbst geschaffen. Kommt sie von Kursen zurück, tankt sie bei ihren Pferden neue Kraft. Zeit ist für sie relativ, wenn sie mit den Tieren zusammen ist. "Ich versuche, die Zeit loszulassen beim Training. Ich habe ein inneres Bild von meinen Pferden und Schülern – und ich weiß, das kommt dann schon. Es gibt keine Eile." Die Ausbilderin ist nicht verträumt, sondern im Moment. Das zeigt sich daran, wie aufmerksam sie ihre Umgebung einbezieht: Sie nimmt sich noch kurz Zeit und gibt auch dem Pony-Zaungast eine Streicheleinheit. Sie deutet auf die Zugvögel, die aus dem Winterquartier zurückkommen. Über die Frühlingsboten freut sie sich. Außerdem füttert sie die Krähen. Ihr Liebling sei eine Krähe mit Knickflügel namens Napoleon. Die säße zum Fellwechsel auch auf den Pferden und helfe beim Putzen. Nicole Künzel würde die Krähe gerne für ein Foto anlocken. Oft kommt sie auf Ruf. Aber heute beim Besuch zeigt sie sich scheu: Der Vogel schnappt sich das Mittagessen, als wir im Gelände sind.

Auch gut, der Anblick von Hengst Vito ist ohnehin imposanter. Der Andalusier piaffiert auf der Wiese auf Knopfdruck – und verschwindet danach fürs Galopp-Bild in rasendem Tempo Richtung Wald. "Nicht so dolle! Du kleine, wilde Hummel", tadelt Nicole Künzel und lacht. Ihr Spanier gibt zwar Gas, dass der Boden bebt. Aber kurze Zeit später schlendert er am langen Zügel zurück Richtung Stall. Energie anknipsen und Ruhe reinbringen: Seine Reiterin beherrscht es meisterhaft.

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Die Ausbilderin bildet sich selbst stetig fort – mit Büchern, bei Kursen – und gerade hörte sie etwa den Podcast von Klaus Balkenhol. Was sie interessiert, dem geht sie auf den Grund. Bücher sind ihre Leidenschaft. In ihrer Freizeit stöbert sie gerne im Pferdemuseum nach Werken. Alte Meister zitiert sie so flüssig aus dem Kopf wie andere Reitanweisungen geben. Wenn sie von alten Schriften spricht, gerät sie ins Schwärmen.

Und für neue Schriften sorgt sie auch selbst. Nicole Künzel schrieb und verlegte schon unzählige Bücher: vom Reiten im Damensattel über innere Bilder beim Reiten bis zur Arbeit am langen Zügel. Auch Kinderbücher sind in ihrem Repertoire. Sie gründete sogar ihren eigenen Verlag: evipo. Das steht für "everything is possible". Wissen möchte sie weitergeben. Aber bei so viel Arbeit: Wann hat sie da Zeit zu schreiben? "Eigentlich gehe ich früh ins Bett und stehe früh auf. Aber schreiben, das mache ich gerne um drei Uhr nachts. Da ist es so schön still."

Hautnah bei Nicole Künzel
Antje Wolff

Beim Besuch breitet sie ihre liebevoll gestalteten Bücher auf dem Tisch aus. Schließlich zieht sie aber einen Klassiker heraus: Die "Vollendete Reitkunst" von Udo Bürger. Überall im Buch kleben Markierungen. Ganz klar: Wenn sich Nicole Künzel mit einem Thema beschäftigt, dann in der Tiefe. Sie liest ihre Lieblingspassage vor: "Gewinne zuerst das Herz, dann wende Dich an den Verstand, bevor Du die Kraft des Pferdes zum Einsatz forderst". Das sei so zeitlos. Und, hach – manchmal sei es, als würde der Autor bei ihr mit im Sattel sitzen. Dann entstünde ein inneres Bild. Das vollendet Nicole Künzel in Einheit mit dem Pferd. Ohne Eile. Aber mit viel Liebe.

Kontakt

Nicole Künzel bietet in ihrem evipo-Ausbildungszentrum Unterricht in klassischer Dressur, Langzügel, Bodenarbeit, Arbeit an der Hand, Sitzschulung und Reiten im Damensattel. Zudem gibt und organisiert sie Kurse im In- und Ausland.