Nichts geht mehr. Das Genick ist fest, das Pferd kaut nicht und wehrt sich gegen das Gebiss. Häufig gibt es dafür zwei Knackpunkte: Blockierte Kiefergelenke lassen das ganze Pferd verkrampfen; der Reiter zuppelt oder ruckt zu viel am Zügel, was das Pferd eher ärgert als lockert. Welche Kräfte a) bei guten und b) bei gut gemeinten, aber dilettantischen Abkau-Übungen auf den Kiefer wirken, hat Biomechaniker Dr. Parvis Falaturi im Auftrag von CAVALLO gemessen.
Dass die Arbeit am Pferdemaul nützlich und schonend sein kann, zeigt Ausbilder Peter Kreinberg aus Regesbostel in Niedersachsen. "Bloß keine Gewalt anwenden", warnt er. Wer unsicher ist, ob sein Pferd fest im Kiefer ist und Kau-Übungen braucht, findet das per Schnelltest heraus: Kaut Ihr Pferd hektisch oder wird unruhig, spricht das für ein blockiertes und verkrampftes Maul.
Checken Sie die Zähne, bevor Sie am Maul zuppeln!
"Treten diese Symptome auf, sollte der Reiter sein Pferd zunächst genau unter die Lupe nehmen", rät Peter Kreinberg. Ist das Tier fit? Hat es Zahnprobleme oder andere Schmerzen? Passt der Sattel? Auch ihren Stil im Sattel sollten Reiter von einem Profi checken lassen, ehe sie wild drauflos fummeln. Sind alle Probleme im Umfeld behoben, können Sie mit den MaulÜbungen von Peter Kreinberg loslegen.
Diese Ausrüstung brauchen Sie: eine einfach oder doppelt gebrochene Wassertrense, bei der Sie Nasen- sowie Sperrriemen öffnen oder entfernen. So kann sich der Pferdekiefer uneingeschränkt bewegen. Übertreiben Sie es mit den Übungen nicht: Am Boden reichen zwei bis vier Minuten vorm Training. Auch im Sattel sollten Sie den Kiefer keinesfalls ständig bearbeiten, sondern nur in der Lösungsphase oder bei Bedarf kurz lockern. Sonst erzielen Sie den gegenteiligen Effekt, und das Pferd verspannt erst recht.
Massage für die Pferdelippen
Stellen Sie sich neben den Pferdekopf, und legen Sie beidseitig Zeige- oder Mittelfinger über den Maulwinkeln aufs Gebiss. Üben Sie einen behutsamen Druck auf beiden Seiten aus, als wollten Sie die Lippen massieren. Sobald das Pferd ruhig schleckt und kaut, nehmen Sie die Finger weg und loben das Tier. Knatscht das Pferd auf dem Gebiss oder kaut es hektisch, sollten Sie dranbleiben.
"Variieren Sie den Druck auf beiden Seiten, bis das Tier die gewünschte Reaktion zeigt", rät Peter Kreinberg. Reißt das Pferd den Kopf hoch, sollten Sie die Finger am Gebiss lassen und mit der Bewegung mitgehen. Lassen Sie erst locker, wenn das Tier den Kopf still hält und genüsslich kaut. Wiederholungen: 2 bis 3 Mal vor dem Training.

Das gespannte Trensengebiss
Stellen Sie sich neben den Pferdekopf. Greifen Sie mit jeder Hand einen Zügel dicht am Trensenring, und spannen Sie das Gebiss, so dass es wie eine Stange im Maul liegt. Senken Sie nun die eine Hand, um einen leichten Druck auf den Unterkiefer auszuüben. Gleichzeitig heben Sie die gegenüberliegende Hand. Das Metall drückt gegen die Oberlippe. Wenn das Pferd mit seinem Kopf der neuen Gebissposition folgt, kaut und schleckt, geben Sie refl exartig nach. Reagiert es nicht, können Sie den Druck und die Position der Hände variieren.
Legt sich das Pferd aufs Metall, sollten Sie Ihre Schulter- und Armmuskeln für einen kurzen Moment locker lassen. Häufi g entspannt daraufhin auch das Tier, und Sie können die Übung neu starten. Wiederholungen: 2 bis 3 Mal vor dem Training.

Der einseitige Zügel im Sattel
Reiten Sie Schritt und halten Sie beide Zügel nur mit der äußeren Hand fest. Gleiten Sie mit der inneren Hand am inneren Zügel runter, bis Sie einen Kontakt zum Pferdemaul aufgebaut haben und der Kopf leicht gestellt ist. Der äußere Zügel liegt locker am Hals.
Jetzt geben Sie immer dann einen sanften Impuls mit dem inneren Schenkel, wenn das äußere Vorderbein vorschwingt. Kaut das Pferd, dehnt sich ans Gebiss und wölbt den Rücken, gibt der Reiter langsam nach und entlässt das Tier in die Dehnungshaltung. Während der Übung darf das Pferd die Spur mit den Vorder- oder Hinterbeinen verlassen. Wendet das Tier in die Bahnmitte ab, geben Sie mit dem inneren Schenkel stärkere Impulse und nehmen den äußeren Zügel an. Wiederholungen: 2 bis 4 Mal.
Zügel wie Blumenstrauss halten
Greifen Sie im Schritt die Zügel mit einer Hand. Gleiten Sie mit der anderen Hand daran hinab, bis Sie den Pferdehals berühren. "Das sieht aus, als hätten Sie einen Blumenstrauß in der Hand", sagt Peter Kreinberg. Verkürzen Sie nun die Zügel mit der oberen Hand schonend in mehreren Etappen, bis Sie in der unteren Hand steten Kontakt zum Pferdemaul spüren. Lassen Sie die Hand ruhig stehen, und treiben Sie das Pferd vorwärts, bis es kaut und den Rücken aufwölbt. Dann öffnen Sie die untere Hand und lassen nur den äußeren Zügel etwas nach.
Das klingt schwierig, gelingt aber mit ein wenig Übung leicht. Schließen Sie dann die Hand, und warten Sie, bis das Pferd die äußere Halsseite dehnt. Jetzt geben Sie innen etwas nach. Lassen Sie die Zügel so stückweise locker, bis das Pferd in Dehnungshaltung läuft. Wiederholungen: 2 bis 4 Mal.
Pferde kauen auch, wenn sie etwas Fressbares zwischen den Zähnen haben. "Um die Kautätigkeit anzuregen, nutzt ein Apfel vor dem Training", sagt Peter Kreinberg. Jedoch löst das Obst nicht das eigentliche Problem. "Machen Sie lieber die vier Übungen, und finden Sie heraus, warum der Kiefer verkrampft."

Abkau-Übungen: "Kauen ist gut fürs Gemüt"
Biomechaniker Dr. Gerd Heuschmann warnt davor, den Blick nur aufs Pferdemaul zu richten. Viel wichtiger ist ein schwingender Rücken.

CAVALLO: Wenn das Pferd zufrieden kaut, ist es entspannt. Ist auf diese Binse tatsächlich Verlass?
Heuschmann: Ja. Kauen hat eine beruhigende Wirkung aufs Gemüt und lockert gleichzeitig das Genick des Pferds. Noch im letzten Jahrhundert wurde das tätige Maul deshalb als unabdingbare Voraussetzung fürs Reiten angesehen. Doch das scheint heute weitgehend vergessen zu sein. Manche Reiter verbieten ihren Tieren sogar regelrecht das Kauen, indem sie ihnen das Maul mit Nasen- und Sperrriemen zuschnüren.
Was sollte man tun, wenn das Pferd nicht kaut?
Reiten Sie Ihr Pferd locker. Klingt unspektakulär, ist aber meiner Ansicht nach die effektivste Lösung. Schwingt der Rücken und ist das Tier losgelassen, hat es auch einen unverkrampften Kiefer. Aus meiner Sicht ist bei 90 Prozent der nichtkauenden Pferde der Rücken mehr oder weniger verspannt. Für diese Tiere eignet sich insbesondere eine ruhige Seitwärtsarbeit im Schritt.
Machen Sie mit Pferden gar keine Abkau-Übungen?
Doch. Aber man darf nicht vergessen: Diese Übungen sind nur ein Mittel zur Korrektur verrittener Pferde und sollten es auch bleiben. Ich halte nichts davon, sie pauschal bei jedem Tier vor dem Training anzuwenden. Dadurch dressiert man die Pferde bloß. Sie kauen nur, wenn der Reiter das Maul befummelt. Danach hören sie wieder auf. Das ist kontraproduktiv.
Welche Abkau-Übung wenden Sie bei Korrekturpferden an?
Ich orientiere mich an einer Anleitung von Waldemar Seunig, dem Autor des Standardwerks "Von der Koppel bis zur Kapriole": Der Reiter lässt das Pferd im Schritt auf einer Volte übertreten. Dabei hebt er die innere Hand und streckt den Arm nach vorne, ohne dabei Druck aufs Pferdemaul auszuüben. Die äußere Hand behält ihre normale Position. Sobald das Pferd leckt, kaut und das Genick entspannt, senkt man die innere Hand und lobt das Pferd.
Auf was sollte der Reiter dabei besonders achten?
Dass er geschmeidig sitzt und gefühlvoll agiert. Auch darf man nicht mit dem Schenkel klemmen, sonst überträgt sich die Verspannung aufs Pferd. Die Folge: Es verkrampft und macht dicht.
Ist die Arbeit am Pferdemaul wirklich fein?
Biomechaniker Dr. Parvis Falaturi ermittelte, welche Kräfte bei den Übungen wirken. In Regesbostel bei Hamburg machten Trainer Peter Kreinberg und Dr. Parvis Falaturi den Test. Mit Zugkraftsensoren zwischen den Zügeln und den Gebissringen sowie einem Aufzeichnungsgerät am Gürtel legte der Ausbilder Hand an das Maul seines 7-jährigen Quarter Horse-Wallachs Rugged Cause.
Übungen im Sattel
Beim Reiten lagen die Zugspitzen meist unter 2 Kilo. Die kritische Grenze von 5 Kilo wurde nie überschritten. Parvis Falaturi war beeindruckt: "Es ist eine Freude, Peter Kreinbergs definierte Zügelführung zu sehen." Die war schon bei den CAVALLO-Impulsmessungen vor drei Jahren auffallend fein. Bei einem Messversuch im Jahr 2004 wurden dagegen auch bei Profi-Reitern mehrfach Werte über 5 Kilo pro Zügel ermittelt.

Besonders interessant ist die Blumenstrauß-Übung: "Gut zu erkennen sind die Phasen, in denen Kreinberg sukzessive die Zügel verkürzte. Das führte jeweils zu einem deutlichen Kraftanstieg", erläutert Falaturi. Sehr klar zeigt die Grafik auch, wie Peter Kreinberg erst mit dem äußeren und dann mit dem inneren Zügel nachgab, sobald das Pferd den Rücken aufwölbte. Danach entließ er das Tier in die Dehnungshaltung. Die Zügel hingen durch, und die Sensoren ermittelten einen Minimalwert unter 1 Kilo.
Übungen mit Pferd am Boden
"Die Maul-Massage konnten wir mit den Sensoren gar nicht messen", sagt Falaturi. In Übung 2 kamen die Sensoren zwar zum Einsatz. Aber die gemessenen 3 Kilo pro Zügel helfen laut Falaturi nicht weiter: "Es ist nicht erkennbar, woher die Kräfte kamen, ob aus der rechten oder linken Reiterhand oder vom Pferd."
Wenn der Reiter kraftvoll zupackt

Nicht jeder gibt so feine Impulse mit den Fingern wie Peter Kreinberg. Manch Reiter ruckt hart am Zügel, um den Kiefer seines Pferds zu lockern. Welche Kräfte dabei aufs Maul wirken, wollte das Mess-Team lieber nicht an den sensiblen Tieren selbst ausprobieren. Stattdessen hielt CAVALLO-Redakteurin Christiane Wehnert das Gebiss in ihrer Hand.

Peter Kreinberg simulierte einen groben Zügelzug, wie er oft genug zu sehen ist. Die Druckspitze lag bei Peter Kreinberg spannt das Gebiss im Maul seines Pferds Rugged Cause. Sanfte Impulse: Die Blumenstrauß-Übung auf der linken Hand. Trainer Peter Kreinberg lässt CAVALLO-Redakteurin Christiane Wehnert spüren, wie sich Pferde fühlen müssen, wenn der Reiter kräftig an den Zügeln ruckt. Wenn der Reiter kraftvoll zupackt 10 Kilo. "Das tat ganz schön weh", sagt die Redakteurin mit roten Fingern. Fürs Pferd dürfte solch ein Zug sehr schmerzhaft sein. Seine Zunge wird gequetscht und Schleimhaut, Bindegewebe sowie schlimmstenfalls der Kieferknochen können verletzt werden.
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