Männi ist kein Fan der Gangart Galopp. "Linksherum geht es noch einigermaßen, aber auf der rechten Hand schaffen wir nicht mehr als fünf Sprünge", erzählt die Besitzerin des 13-jährigen Norweger-Wallachs. Felicitas Münch hat ihr Pferd zweieinhalbjährig beim Züchter gekauft.

Kein Fan von Galopp
Sie ist mit ihrem Männi vielseitig unterwegs: mal im Gelände, auf dem Platz oder in der Halle, mal in der Cavaletti-Stunde und hin und wieder bei einer Reiter-Rallye. "Er macht alles prima mit, aber der Galopp ist nicht sein Ding", weiß sie über ihren Männi.
"Selbst auf der Koppel sehe ich ihn selten galoppieren. Wenn die anderen Pferde mal lospreschen, trabt er nur an." Unzufrieden ist die CAVALLO-Leserin auch mit der Anlehnung. "Die könnte wirklich besser sein", findet sie.

Körperliche Einschränkungen beim Reiten
Gemeinsam mit Dressurausbilderin Katrin Meyer, die in Kerpen bei Köln ein Ausbildungszentrum für Pferde betreibt, sind wir zu Besuch bei Felicitas Münch und ihrem Pferd. Vor dem Stall spricht sie mit uns erst über die Probleme ihres Pferds – um sich dann zu korrigieren: "Ich glaube eher, ich bin das Problem", sagt sie bekümmert.

Felicitas Münch ist mit sich sehr kritisch und voller Selbstzweifel. "Wenn ich Männi lieber nicht mehr reiten soll, müsst ihr mir das ehrlich sagen." Drei Bandscheibenvorfälle, ein verkürztes Bein und starke Arthrose im Brustwirbelbereich machen es ihr schwer, ausbalanciert auf dem Pferd zu sitzen und mit den Bewegungen mitzugehen.
Felicitas Münch erzählt, dass sie regelmäßig physiotherapeutisch behandelt wird. Weil sie ihrem Pferd buchstäblich nicht zur Last fallen möchte, bemüht sie sich außerdem tapfer, Pfunde zu verlieren.
Wirklich Großbaustelle?
Ihre Wünsche: Männi beim Reiten so wenig wie möglich zu stören, ihre eigene Schiefe nicht mehr so stark auf ihr Pferd zu übertragen sowie Anlehnung und Galopp verbessern. Klingt erst mal nach Großbaustelle.
Doch beim Vorreiten sind wir angenehm überrascht – auch wenn Männi im Galopp auf der rechten Hand ausfällt. "Das sieht insgesamt viel besser aus als du uns beschrieben hast", lobt Katrin Meyer die Reiterin. "Aber du könntest beweglicher und ausbalancierter sitzen."
Erste Hilfe: Steigbügel kürzer
Die erste Sofortmaßnahme der Dressurausbilderin: Steigbügel ein Loch kürzer! Denn: "Je gestreckter das Bein ist, desto weniger kann der Reiter in Hüfte, Knien und Fußgelenken federn."
Sie bittet Felicitas Münch, den Fuß aus dem Bügel zu nehmen und klopft mit dem Finger ihre Fußsohle ab. Wo die Reiterin das Klopfen am stärksten spürt, soll sie Kontakt mit dem Bügel haben. "Dort hat der Körper die größe Bewegungsamplitude, kann also am meisten schwingen", erklärt Meyer.

Die Stelle, an der der Fuß auf dem Bügel ruht, muss übrigens nicht auf beiden Seiten identisch sein. Bei unserer Leserin liegt der rechte Fuß etwas weiter vorne auf.
Im neuen Sitz neu sortieren
Nach den Korrekturen ist die Reiterin ziemlich verunsichert. Sie fühlt zwar, dass sie mehr Halt im Sattel hat, empfindet ihren Sitz aber als ungleichmäßig. "Links rutscht mein Knie nach vorne", klagt sie.
Katrin Meyer beruhigt: "Es ist normal, dass du dich jetzt neu sortieren musst. Doch nun sitzt du stabiler." Sie hat eine weitere Idee für die Reiterin: eine Übung aus der Neuroathletik.

Dafür stellt sie zwei Pylonen auf. Unsere Leserin sitzt ab und läuft zu Fuß in einer Acht um die Pylone. Dabei soll sie permanent einen festen Punkt an der Bande fixieren. Beim Richtungswechsel klappt das plötzlich nicht mehr.
Felicitas Münch soll sich nun beim Wenden um die Pylone um ihre Achse drehen, damit sie den Punkt weiter im Auge behalten kann – ohne dabei rückwärts zu laufen. Die Steigerung der Übung: den Kopf mit langsamen Bewegungen heben und senken.
Neues Reitgefühl mit Neuroathletik
Wieder im Sattel, trabt die Reiterin an. Der Norweger-Wallach läuft locker los und seine Hinterhand ist aktiver. Er wirkt zufrieden, die kleinen Ohren sind gespitzt.

Was sagt die Reiterin? "Oh Gott!" Wir lachen. "Dein Pferd läuft besser", ruft die Trainerin. Felicitas Münch nickt: "Ja, er fühlt sich viel lockerer an. Ich weiß gar nicht, wie ich das sitzen soll. Meine Beine fühlen sich seit der Übung so wabbelig an, als ob sie nicht zu mir gehören."
Woran das liegt, erklärt Meyer so: "Die Reiterin ist viel beweglicher und deshalb fähiger, den Bewegungen ihres Pferds zu folgen." Die Dressurausbilderin rät, die Acht um die Pylonen dreimal die Woche oder sogar täglich vor dem Reiten zu üben. "Die Übung ist prima fürs Gleichgewicht und der Körper wird mobiler."
Übung für den Kopf
Um den Sitz zu stabilisieren, hat Katrin Meyer eine weitere Übung. Dafür kann Felicitas Münch im Sattel bleiben. Sie soll das Kinn gerade nach vorne schieben wie ein Huhn, ohne dabei den Oberkörper zu bewegen.

Dann bittet die Trainerin sie, den Kopf zur Seite zu nehmen, nach unten zu kippen und das Kinn Richtung Brust zu bewegen. Das soll sie noch ein paar Mal auf der rechten und linken Seite wiederholen.
Aha-Erlebnis auf Männis Rücken
Als Männi erneut antrabt, erleben wir ein kleines Wunder: Wow! Tschüss, Ponytrab – das hier kann sich sehen lassen! Männis Tritte sind viel länger, ohne dass er eiliger läuft.
Er trabt mit Raumgriff und im Takt, schiebt die Hinterbeine in die Spur der Vorderhufe und dehnt sich zeitweise schön an die Hand heran. "Wenn Männi so über den Rücken geht, kann er dich auch tragen", sagt Katrin Meyer.
Loslassen ist das Geheimnis
Felicitas Münch fühlt sich wie auf einem anderen Pferd. "Ich muss mich komplett neu sortieren. Männi lässt so toll los und ich kann ihm gar nicht folgen."

Die Trainerin empfiehlt ihr, das neue Gefühl zuzulassen: "Alles, was anders ist, ist gut! Lass dein Pferd vorne los, treib ein wenig nach und konzentriere dich nur auf den Takt."
Männi marschiert. Toll. Eigentlich genug, um das Training für heute zu beenden. Doch Katrin Meyer möchte ihrer Reitschülerin so viel wie möglich auf den Weg geben. Und dann wäre da ja noch das Galopp-Problem …
Selbstbewusstsein der Reiterin stärken
Zum Schluss möchte sich die Dressurausbilderin um das Selbstbewusstsein der Reiterin kümmern, die mit sich so unzufrieden ist. Felicitas Münch soll beschreiben, wann sie sich beim Reiten wohlfühlt und wann nicht.
"Im Wald geht es mir gut. Aber in der Halle oder auf dem Platz bin ich unter Druck, weil ich möchte, dass Männi am Zügel geht." Die Trainerin fragt: "Wie hoch ist dein Stresslevel in der negativen Situation auf einer Skala von eins bis zehn?". "Sieben", sagt Felicitas Münch.
Übung mit Karten aus der Kinesiologie
Die Reiterin hält nun einen Block mit Kärtchen in der Hand. Die Karten stammen aus der Kinesiologie. Auf jeder Karte steht ein Motivations-Spruch.

Felicitas Münch soll die Karten ein paar Mal hintereinander lesen, dann die Augen schließen und sich die Stress-Situation wieder vorstellen. Wie hoch ist das Stresslevel nun? "Da ist kein Stress", sagt die Reiterin.
Auf der Rückseite haben die Karten unterschiedliche Farben. Felicitas Münch soll eine Lieblingsfarbe wählen: Grün. Die neue Aufgabe: Eine Minute lang auf die Farbe schauen, dann den Spruch auf der Karte lesen und sich dabei etwas schönes Grünes vorstellen. Und danach noch ein letztes Mal losreiten.

Erster Galopp linksherum
"Männi hat ein gutes Motörchen da hinten", freut sich die Trainerin. Der Wallach gibt sich wirklich Mühe – seine Reiterin aber auch. Motiviert wagt sie es, noch einmal auf der linken Hand zu galoppieren. Wie fühlt sich das an?
"Gut", antwortet Felicitas Münch. "Ich kann viel besser mitschwingen und fühle mich wie befreit." Den Rechtsgalopp möchte sie heute nicht mehr ausprobieren. Es war genug Stoff für heute und die Reiterin ist mehr als glücklich mit ihrem Pferd.
"Du bist so ein Toller", lobt sie Männi und streicht ihm liebevoll über den Hals. Da hat sie absolut recht. Dass sie auch mit sich selbst zufrieden sein kann, muss Katrin Meyer ihr sagen: "Du hast das sehr gut umgesetzt. Bleib dran. Du kannst das."
Auf der grünen Karte, die Felicitas Münch sich ausgesucht hat, steht übrigens: "Ich reite frei und aktiv".