Das richtige Tempo: 8 Übungen zur Reitlehre H.Dv.12
Reiten nach H.Dv.12: Teil 1 - Das richtige Tempo

Das ist nicht zu viel versprochen. Warum die H.Dv.12 der Schlüssel zum optimalen Pferdetraining ist – und wie Sie die Reitvorschrift in der Praxis fürs richtige Tempo nutzen.

CAV Reitlehre H.Dv.12 Teaser TL
Foto: Rädlein

So reiten Sie im richtigen Tempo

"Dressur setzt sich zum Ziel, das Pferd zur höchsten Leistungsfähigkeit auszubilden und es gehorsam zu machen. Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn das Pferd unter Erhaltung und Förderung seiner natürlichen Anlagen in eine Form und Haltung gebracht wird, in der es seine Kräfte voll entfalten kann. (H.Dv.12)"

Ein gesundes, gelassenes und gelöstes Pferd bewegt sich von Natur aus in seinem natürlichen Tempo. Doch viele Pferde haben es extrem eilig oder lassen sich arg bitten. Ihre Reiter treiben oder bremsen dauernd und fühlen sich dabei ebenso unwohl wie ihre Pferde. Denn im falschen Tempo wird Reiten für alle Beteiligten zu einer echten Belastung.

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Wie der Charakter eines Pferds ist auch sein Grundtempo ganz individuell – oder besser: sein Takt. Kein Pferd kann entspannt gehen, wenn es ständig "übers Tempo" geritten oder ausgebremst wird – oder sein natürliches Tempo durch Reiterfehler verloren hat. Deshalb sagt Gerd Heuschmann: "Der Reiter muss zunächst einmal loslassen lernen. Nur wer losgelassen sitzt, ohne sein Pferd zu stören, kann mit seinem Pferd den korrekten Takt finden."

Und erst wenn das Pferd locker und entspannt geht und in einen gleichmäßigen Takt gefunden hat, kann der Reiter Schwung entwickeln, das Tempo beschleunigen und wieder verlangsamen, ohne dass das Tier sich verspannt und fest im Rücken wird. "Das oberste Ziel ist also, den Rücken zum Schwingen zum bringen", so Heuschmann. "Alles andere ergibt sich daraus fast wie von selbst."

Die Grundlagen dafür legen Sie mit den folgenden Übungen und Lösungsansätzen – die übrigens allesamt auf dem alten Regelwerk der H.Dv.12 basieren.

Basis für Alles: ein guter Sitz

"Hauptsache sind die Geschmeidigkeit der Hüften und des Knies. (H.Dv.12)"

Sitz und Haltung des Reiters widmet die H.Dv.12 ein ganzes Kapitel. "Ist der Reiter verspannt, kann auch das Pferd nicht locker lassen", nennt Gerd Heuschmann eine wichtige Grundlage.

Bevor Sie das Training beginnen, sollten Sie deshalb zuerst durchatmen und die Beine locker aus der Hüfte nach unten fallen lassen. Ihre Grundposition ist zentriert und aufrecht im Sattel.

Die Hände tragen Sie entspannt vor Ihrem Körper – wie ein Tablett.

Schenkelgehorsam

"Genügt eine Schenkelhilfe nicht, so wird sie durch den Sporen verstärkt, der erst leicht, dann stärker angedrückt wird. Meist wird ein geschicktes Fühlenlassen genügen. (H.Dv.12)"

Viele Pferde reagieren nicht richtig auf Schenkelhilfen. Wenn der Reiter drücken und schieben muss, um sein Pferd in Gang zu halten, hat das gleich zwei negative Konsequenzen: Zum einen wird das Pferd durch ständigen Schenkeldruck oder den häufig zu sehenden "Schiebesitz" immer mehr abgestumpft. Zum anderen kann der Reiter nicht mehr locker sitzen, weil er permanent damit beschäftigt ist zu treiben oder zu schieben.

Spüren Sie bei Ihrem Pferd keine Reaktion, wenn Sie eine Schenkelhilfe geben, sollten Sie das nicht akzeptieren. Denn ohne Ihre Schenkel können Sie weder treiben noch die Hinterbeine Ihres Pferds dirigieren. Sporen helfen Ihnen, die Schenkelhilfen für einen kurzen Moment zu verstärken, bis Ihr Pferd reagiert.

Besonders wichtig: Sobald das Pferd beschleunigt, nehmen Sie Ihr Bein sofort weg. Gehen Sie unbedingt gleichzeitig mit der Hand vor, um zu loben und das Pferd nicht versehentlich auszubremsen. Gerd Heuschmann: "Reiter müssen dafür selbstverständlich unabhängig sitzen und behutsam mit dem Sporen umgehen können. Nur dann kann der Sporen die Schenkelhilfe gezielt unterstützen und korrigierend eingesetzt werden."

Haben Sie alles richtig gemacht, wird Ihr Pferd bald entspannt und willig mit den Hinterbeinen vortreten, wenn Sie die Schenkel anlegen.

Zügelgehorsam

"Für die annehmenden Zügelhilfen gilt ganz besonders die Warnung, nicht im Anzuge stecken zu bleiben. Niemals dürfen sie in Ziehen ausarten, sondern müssen im lebhaften Wechsel mit nachgebenden Hilfen erneuert werden, wenn der Erfolg nicht sogleich eintritt. (H.Dv.12)"

Auch auf Zügelhilfen muss das Pferd prompt reagieren. Kommt ein bremsender Zügelimpuls nicht durch, lassen sich später die wichtigen halben und ganzen Paraden nie korrekt reiten. "Pferde eilen dem Reiter davon, wenn sie nicht gelernt haben, am Sitz zu bleiben", erklärt Heuschmann. Nach der H.Dv.12 wird eine verhaltende Zügelhilfe durch festeres Schließen und Eindrehen der Hände ausgeführt. Nur zur Korrektur darf sich "bei stärkeren Einwirkungen der Arm beteiligen".

Genau so rät Heuschmann bei Pferden vorzugehen, die Zügelhilfen ignorieren: Ein kurzer, aber deutlicher Impuls über die Zügel zeigt Ihrem Pferd ganz klar, dass es bremsen soll. Daraufhin müssen Sie mit der Hand sofort nachgeben und, falls Ihr Pferd nicht reagiert, die Parade gegebenenfalls wiederholen. Bei einer positiven Reaktion sofort loben!

Sobald das Pferd wieder eilig wird, wiederholen Sie diese Übung. Es soll lernen, bei Ihnen zu bleiben und nicht davonzueilen. Nur dann können Sie später dazu übergehen, nicht über die Zügel das Tempo zu kontrollieren, sondern über den Sitz. "Der Zügel dürfen später keine wesentliche Rolle im Training spielen", betont Gerd Heuschmann. "Vor allem dürfen Sie niemals mit der Hand rückwärts einwirken oder den Pferdehals aktiv über die Zügel runden wollen."

Um das Tempo ein wenig einzufangen, ohne ins Ziehen zu kommen, empfiehlt Heuschmann ein Arrêt: "Wenn Sie kurz mit dem Handgelenk vibrieren, also Ihre Zügelfaust leicht schütteln, wirkt das bremsend, ohne dass Sie zu viel mit der Hand einwirken."

Der Podhaisky-Jog

"Die Regelung des Taktes erfolgt zunächst im natürlichen Trab, also in dem Tempo, welches das Pferd in einer natürlichen Haltung von selbst annimmt, ohne zu eilen. (H.Dv.12)"

Viele Reiter versuchen, den "Motor" ihrer Pferde anzuschmeißen, indem sie vom ersten Trabtritt an energisch vorwärts reiten. Gerd Heuschmann sieht das kritisch. Denn: "Kein Sportler beginnt das Training mit Vollgas. Er wärmt sich erst langsam auf." Dafür sollte man auch dem Pferd genügend Zeit geben.

Alois Podhaisky, Leiter der Wiener Hofreitschule von 1939 bis 1964, empfahl dafür einen ruhigen, ausgesessenen Trab. Heuschmann erklärt den "Podhaisky-Jog" so: Sie sitzen völlig locker und schwer im Sattel. Die Zügelverbindung bleibt leicht und weich, das Pferd soll den Hals tief tragen und die Nase vorne haben. "Suchen Sie Ihren Wohlfühltrab in dem Sie entspannt sitzen können", rät der Ausbilder. "Nur wenn Sie loslassen, kann das auch Ihr Pferd tun, seinen Takt finden und am Sitz bleiben."

Viele Pferde entspannen dabei schnell und finden in ein gleichmäßiges, ruhiges und taktmäßiges Tempo. Erst danach können Reiter einen gesunden Fleiß entwickeln.

Schwung im Trab entwickeln

"Nur durch das Bestreben, die Hinterfüße zum weiten Vortritt zu bewegen, werden beim Leichttraben der Gang und die Nachgiebigkeit des Pferdes fördernd beeinflusst. (H.Dv.12)"

Trabt Ihr Pferd ruhig und gleichmäßig und Sie können stets entspannt sitzen? Dann können Sie Schwung entwickeln – und zwar nur aus dem Sitz heraus. Dafür traben Sie leicht und schwingen aus dem Bauch heraus nach vorne in Ihre Hand und den langen Hals Ihres Pferds hinein. "Als ob Sie Ihren Bierbauch nach vorne schubsen wollen", erklärt Gerd Heuschmann.

Achten Sie dabei auf eine weiche Zügelverbindung mit nachgiebiger Hand. "Kuscheln Sie sich ans Maul heran", rät Heuschmann. Ihre Schenkel liegen weich am Pferdebauch. Sie können nun beginnen, den Takt Ihres Pferds mit sanften Schenkelimpulsen zu unterstützen und mehr Schwung zu fordern.

Wichtig: Treiben Sie mit den Waden. Die Oberschenkel bleiben offen und locker und dürfen nicht klemmen. Versuchen Sie, den Takt zu verinnerlichen und mit Ihrem eigenen Körper zu verstärken. So können Sie den Rhythmus Ihres Pferds unterstützen. Heuschmanns Tipp fürs Kopfkino: "Schwingen Sie die Hinterbeine Ihres Pferds mit Ihrem Sitz nach vorne!"

Schwung im Galopp

"Das Verstärken des Galopps muss weich und fließend geschehen; die vortreibenden Hilfen dürfen nicht plötzlich einsetzen. (H.Dv.12)"

Im Angaloppieren müssen Ihre Hände – vor allem die innere – vorgehen, um den Galopp vom ersten Sprung an nach vorne herauszulassen. Treiben Sie Ihr Pferd weich in die nachgiebige Hand hinein. Die Zügel dürfen Ihr Pferd nicht stören: "Trauen Sie sich gerade am Anfang, die Zügel aus der Hand gleiten zu lassen und auch mal für mehrere Runden an der Schnalle anzufassen", rät Gerd Heuschmann.

Schwung fördern Sie im Entlastungssitz: Heben Sie das Gesäß leicht aus dem Sattel und gehen Sie mit Oberkörper und Händen vor, bis Sie diese auf Höhe des Mähnenkamms tragen. So kann Ihr Pferd seine Bewegungen von hinten über den Rücken nach vorne durchlassen.

Tempo regulieren per Sitz

"Die fehlerhafte Neigung der meisten Reiter, zu viel mit den Händen und zu wenig mit Schenkel- und Gewichtshilfen einzuwirken, muss dauerhaft bekämpft werden. (H.Dv.12)"

Dass Reiter oft versuchen, schnelle Pferde mit den Zügeln zu bremsen, ist laut Gerd Heuschmann völlig normal: "Wir Menschen sind es gewohnt, alles mit den Händen zu lösen und sind darin sehr geschickt", erklärt er. "Deshalb müssen wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir beim Reiten Probleme niemals mit den Händen lösen dürfen, Sitz und Bein müssen diese Aufgabe übernehmen." Voraussetzung für die Tempokontrolle ohne Zügel ist, dass das Pferd gelernt hat, am Sitz zu bleiben (siehe Übung zum Zügelgehorsam). Dann können Sie aus dem Sitz heraus das Tempo beschleunigen oder zurücknehmen. Schon wenn Sie Ihren Oberkörper leicht nach vorne verlagern und den Sattel minimal entlasten, sagt das dem Pferd: Du darfst vorwärts gehen.

Eine gute Hilfe, die Pferde anregt, mit den Hinterbeinen weiter vorzutreten, ist der Bügeltritt. Der französische Reitmeister François Robichon de la Guérinière beschrieb diese Hilfe im 18. Jahrhundert so: "Man tritt gleich stark auf beide Steigbügel, um dem Pferde bemerklich zu machen, dass es seinen Gang beschleunige, wann es sich zu viel zurückhält."

Um das Tempo zu reduzieren, machen Sie sich im Sattel schwer. Setzen Sie sich zentriert auf Ihren Gesäßknochen. "Nehmen Sie zu 100 Prozent Platz", erklärt Gerd Heuschmann. Stellen Sie sich vor, die Bewegung fließt nicht mehr nach vorne, sondern sinkt nach unten. Müssen Sie mit der Hand beim Bremsen helfen, dann nur durch kurze Arrêts (siehe unter Zügelgehorsam). "Wenn Sie ziehen, wird das Pferd weiter rennen, sobald der Zügeldruck nachlässt", sagt Gerd Heuschmann.

Tempowechsel aktiv nutzen: zulegen und Übergänge reiten

"Öfteres Zulegen im Tempo auf kurzen Strecken erweckt in den Pferden die Neigung zum dreisten Vorwärtsgehen, also die für die Ausbildung so wichtige Gehlust und fördert die Schubkraft der Hinterhand. (H.Dv.12)"

Wenn Sie Ihr Pferd in ruhigem Tempo gelöst haben und im Trab und im Galopp bei sicherem Takt schon etwas Fleiß entwickeln können, dürfen Sie in die Arbeitsphase übergehen. Vorher machen Sie sich bewusst, was Sie erreichen möchten. Ihr Pferd soll mit aktivem Hinterbein und schwingendem Rücken an Ihre Hand treten und den Rumpf anheben.

Das Zulegen an der langen Seite hilft Ihrem Pferd, Spannungen in der oberen und unteren Halsmuskulatur zu lösen, damit es den Rücken leichter heben und zum Schwingen bringen kann. Ihr Pferd soll beim Zulegen nicht hektischer werden, sondern seine Tritte verlängern. Die Hinterhand muss hierbei also noch aktiver werden. Achten Sie darauf, dass die Pferdenase vorne bleibt und nicht hinter die Senkrechte gerät.

Reiten Sie zunächst vor allem Übergänge vom Trab zum Galopp und umgekehrt. Nehmen Sie dabei immer den Schwung aus dem Galopp in den Trab mit. Die ersten Trab-Galopp-Übergänge reiten Sie im entlastenden Sitz. Zum Durchparieren denken Sie an den Trab und halten Sie die Bewegungen mit Ihrem Körper etwas ein. "Lassen Sie das Pferd in den Trab hineinfallen", beschreibt Heuschmann. Hebt sich das Pferd dabei heraus, dürfen Sie sich nicht dazu verleiten lassen, Ihre Hände nach unten zu drücken. "Einfach unbeirrt weiterreiten und mit den Schenkeln weich nach vorne treiben", rät Heuschmann.

Kommt der Rücken im Verlauf der Trainingseinheit mehr nach oben und beginnt er zu schwingen, spüren Sie das als Reiter deutlich. Um den Effekt zu demonstrieren, steigt Gerd Heuschmann oft selbst in den Sattel. Etwa beim Trainingstag in der Schweiz, wo ein Teil der Bilder dieses Artikels entstand. Eine Reiterin, die ihr Pferd wieder übernahm, beschreibt den Effekt: "Mein Pferd fühlt sich breiter an, ich kann viel besser sitzen!"

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Erscheinungsdatum 17.05.2023