Wer rückwärts will, muss vorwärts können. Erst wenn ein Pferd in der Vorwärtsbewegung sensibel auf die Hilfen reagiert, taktrein und losgelassen geht, so fordert es die klassische Reitlehre, darf der Reiter sich auf den Rückweg machen. Der ist bisweilen steinig.
Abkürzungen auf diesem Weg provozieren Bilder, wie sie bei vielen Turnieren zu sehen sind: Reiter stoppen irgendwie und zerren ihr verkrampftes Pferd mit kräftigem Zügelzug und bohrenden Sporen rückwärts.
Korrekt geritten sieht Rückwärtsrichten nicht nur anders aus, sondern ist auch eine harte Prüfung: Es entlarvt Fehler bei der Ausbildung des Pferds ebenso wie schlechte Reiter.
Was der Rückwärtsgang über Pferd und Reiter verrät
Tut es das nicht, hat der Reiter in der Ausbildung des Pferds Fehler gemacht – was er an dessen Reaktion auf dem Rückweg erkennen kann. Tritt das Pferd beispielsweise bei korrekten Reiterhilfen hektisch zurück, deutet dies auf einen verspannten Rücken. "In diesem Fall darf der Reiter nicht weiter am Rückwärts feilen, sondern muß vorwärts: Lösende Lektionen auf großen gebogenen Linien machen den Pferderücken locker – wie sehr, kann ein erneuter Rückwärtsgang am Ende der Reitstunde überprüfen", sagt Dorothee Baumann-Pellny, Damensattel-Expertin und Schülerin Egon von Neindorffs. Sie demonstriert für CAVALLO mit ihrem Vollblutaraber-Hengst Sagitario korrektes Rückwärtsrichten.
Geht das Pferd mehr Tritte zurück als vom Reiter gefordert, ist dies ein Signal für mangelnden Gehorsam. Die Ursachen dafür liegen in einer fehlerhaften Grundausbildung: Das Pferd hat nicht gelernt, sich auf die Hilfen des Reiters zu konzentrieren und diese punktgenau umzusetzen. "Hier hilft es, das Pferd gezielt nur ein oder zwei Tritte rückwärts treten zu lassen und nach dem Rückwärts sofort anzutraben", meint Dorothee Baumann-Pellny. "Viele Schritt-Trab- und Trab-Galopp-Übergänge sowie einfache Seitengänge wie Schulterherein oder Schenkelweichen schulen Konzentration und Schenkelgehorsam."
Auch eine Überforderung des Pferds durch eine überstürzte Ausbildung entlarvt das Rückwärtsrichten: "Pferden, die mit breiten Hinterbeinen rückwärtstreten, fehlt die Balance", weiß die Ausbilderin. Sie müssen zunächst lernen, sich im Vorwärts-abwärts auf großen Zirkeln und Schlangenlinien besser zu balancieren. Haben sie ihr Gleichgewicht gefunden, wird die Spur der Hinterbeine beim Rückwärtsrichten nicht mehr breiter sein als die der Vorderbeine.
Reiterfehler enttarnt vor allem die Kopfhaltung des Pferds. Idealerweise sollte das Pferd seinen Kopf im Rückwärts wie im Vorwärts tragen: leicht vor der Senkrechten mit dem Genick als höchstem Punkt sowie einem leicht aufgewölbten Rücken. "Drückt es stattdessen beim Antreten ins Rückwärts den Rücken durch und reißt Hals und Kopf nach oben, reitet der Reiter in der Regel mit unruhiger oder zu hoher, harter Hand", sagt Dressurreiterin Baumann-Pellny. Sie plädiert dafür, die Zügel wie im Vorwärts eine Handbreit über dem Mähnenkamm zu tragen. "Kommt die Hand zu tief, zieht sie meist die Nase hinter die Senkrechte, das Pferd rollt sich auf."
Wie eine Lupe vergrößert also das Rückwärtsrichten die Schwächen von Reiter und Pferd oder macht sie gar erst sichtbar. Das funktioniert bei allen Pferdetypen und -rassen gleich – aber nur, wenn sie reell rückwärtsgerichtet werden und das Pferd die Lektion kennt.
Nicht mehr als sechs Tritte zurück
"Man kann schon Fünf- oder Sechsjährige drei, vier Tritte rückwärtsrichten", findet Margit Otto-Crepin, die 1988 die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in der Dressur gewann.
Damit aus dem Rückwärtsrichten kein Rück-Zug wird, soll der Reiter "mit beidseitig belastenden Gewichtshilfen und vortreibenden Schenkelhilfen" die gleichen Hilfen wie zum Anreiten geben; die Unterschenkel verwahrend am Pferd. So beschreiben es die Richtlinien der FN. Will das Pferd nach vorn antreten, wirken beide Zügel leicht annehmend, um den "nach vorn gegebenen Bewegungsimpuls nach rückwärts umzuleiten".
Falsch geritten, verliert das Rückwärtsrichten nicht nur seine diagnostische Funktion, sondern kann zur Quälerei werden. Schon Wilhelm Müseler schrieb davon in seiner 1933 erschienenen Reitlehre: "Das Pferd, das richtig an den Hilfen rückwärtsgerichtet wird, widersetzt sich dem Reiter weder durch Kopfschlagen noch durch Höher- oder Tieferstellen des Kopfes, noch durch Druck auf das Gebiss, noch durch Seitwärtsausweichen mit der Hinterhand."
Wilhelm Müseler empfiehlt, sich genau vorzunehmen, wieviele Tritte man rückwärtsrichten will, und diese Anzahl strikt einzuhalten. Sonst, schreibt der Autor, werde nicht jeder Tritt bewusst mit Hilfen begleitet, sondern das Pferd irgendwie über eine unbestimmte Strecke zurückgezerrt.
Dorothee Baumann-Pellny warnt vor zu viel Zurück. "Mehr als sechs Tritte sind nicht sinnvoll." Denn die Aufforderung zum endlosen Rückwärts empfinden Pferde als Unterordnungs-Kommando und Strafe.
Bodenarbeit als Vorbereitung
Die Schenkel liegen verwahrend hinter dem Gurt und treiben vorwärts gegen die Hand. Der Entlastungssitz war früher bei jungen Pferden in der Rückwärtsbewegung unüblich, setzt sich heute aber langsam durch.
Immer mehr Ausbilder nehmen außerdem bei jungen Pferden die Zügel heute nicht mehr gleich-, sondern wechselseitig an, was den Pferden angeblich leichter fällt, aber nicht in ein Riegeln ausarten darf. "Die Hand, auf der das Vorderbein zurücktritt, nimmt dabei zuerst den Zügel an", sagt Dorothee Baumann-Pellny.
Auf Bodenarbeit als Vorbereitung für den Rücktritt unterm Sattel schwört Ausbilder Peter Pfister aus dem hessischen Eschenburg. "Es gibt dem Pferd eine Idee von der Rückwärtsbewegung, macht es mit dieser vertraut". Weiß das Pferd am Boden, wie es in den Rückwärtsgang schalten muss, steigt Peter Pfister in den Sattel und öffnet das Hintertürchen. "Ein Pferd funktioniert nach dem Vier-Türen-Prinzip. Die Vordertür ist durch den Zügel verschlossen, die Hintertür durch den Sitz, die Seitentüren durch die Schenkel. Beim Rückwärtsrichten soll das Pferd durch die Hintertür." Diese schließt Pfister auf, indem er das Becken leicht nach vorne kippt und das Gesäß hebt.
Pfisters Prinzip funktioniert wie die klassischen FN-Richtlinien, klingt aber ein wenig verständlicher. Und macht den Rückweg ein bisschen leichter.
Rückwärtsrichten an der Hand
Für erfahrene Pferde ist es ein Gehorsamkeitstest und eine Konzentrationsübung. Das Pferd kann dabei ausgebunden sein. Dorothee
Baumann-Pellny steht seitlich vor dem korrekt aufgestellten Pferd. Durch feines Annehmen der in die Zügelringe gehakten Longe und leichtes Antippen der Brust weist sie dem Pferd den Rückweg. Zwei korrekte Tritte genügen am Anfang. Sofort loben. Beine oder Hufe tippt Baumann-Pellny nicht an, weil das meist andere Bewegungen wie den Spanischen Schritt provoziert.
Peter Pfister schickt jedes Pferd zunächst vom Boden aus rückwärts. Dazu genügt ihm ein leichter Druck mit Daumen und Zeigefinger links und rechts vom Nasenbein des Pferds, wo sonst das Stallhalfter aufliegt. Diesen Druck erhöht Pfister sachte, bis das Pferd dem Druck nach hinten weicht. Ist das Pferd getrenst, kann alternativ mit den Daumen ein leichter, beidseitiger Druck auf die Trensenringe ausgeübt werden; Druck schräg nach oben auf die Maulspalte.
Pfister warnt vor unkonzentriertem oder zu langem Rückwärtsrichten. "Rückwärtsrichten kann auch als Strafe sinnvoll sein, muss dann aber energischer gefordert werden als sonst. Eine Sanktion ist etwas anderes als eine Lektion."