Schritt ist eine gnadenlose Gangart. Hier spiegeln sich Mängel in der Ausbildung des Pferds und Reiterfehler wie in keinem anderen Gang. Vielleicht meiden viele Reiter daher den sensiblen Viertakt. Sie nutzen ihn oft nur zum Aufwärmen am durchhängenden Zügel, um danach gleich mit Trab- und Galopparbeit zu starten. Das ist schade, denn der Schritt kann mehr. Um Ihr Pferd zu gymnastizieren, müssen Sie eigentlich nicht mal traben.
Schritt ist für das Pferd eine wahre Wohlfühlgangart – zumindest, solange es seine Bewegungen natürlich entfalten darf. "Das Pferd in der freien Natur bevorzugt Schritt, weil er effizient ist und am wenigsten Ressourcen verbraucht", sagt Ralf Döringshoff, Trainer B und Pferdephysiotherapeut aus dem niedersächsischen Rinteln. Der Energieverbrauch läuft auf Sparflamme; Gelenke, Sehnen und Bänder werden geschont. "Meistens entspannen sich Pferde im Schritt am besten", beobachtet Döringshoff.
Ob das Pferd entspannt schreitet oder gestresst zackelt, ist ein Gradmesser für das Können des Reiters. "Entscheidend ist, dass der Reiter das Pferd nicht stört", sagt Ralf Döringshoff. Der Bewegungsablauf des Pferds sei immer eine Antwort auf den Sitz des Reiters. Der sieht im Idealfall so aus: Das Becken des Reiters folgt den Rückenbewegungen des Pferds. Dazu bewegt der Reiter das Knie ganz leicht, um den pendelnden Pferdebauch zu begleiten. Die Reiterhände gehen mit der Hals- und Kopfbewegung mit.
"So können Reiter und Pferd entspannt arbeiten", sagt Döringshoff. Wer sich stattdessen im Sattel nur tragen lässt, verpasst eine tolle Trainingschance. Denn tatsächlich ist Schritt die optimale Gangart für den Reiter, an präzisen Hilfen zu feilen.
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Bewegung der Beine im Schritt
Anja Beran, Klassikausbilderin aus dem bayerischen Bidingen, arbeitet daher mit ihren Reitschülern bevorzugt im Schritt. Sie lässt den Reiter die Bewegungen der Pferdebeine fühlen. "Nur wenn der Reiter weiß, wann welches Bein fußt, kann er im richtigen Moment Hilfen geben", sagt Beran.
Bei den Hilfen hakt es oft. Viele Reiter treiben aufwändig mit unruhigen Schenkeln und piksenden Sporen. Richtig ist es so: "Die Reiterbeine liegen im Schritt locker und begleiten den Pferdebauch abwechselnd", sagt Pferdewirtschaftsmeisterin Uta Gräf aus Kirchheimbolanden in Rheinland-Pfalz, die mit ihrem Partner Stefan Schneider für das CAVALLO-Fotoshooting ritt. Wer im Schritt zum falschen Zeitpunkt treibt, bringt das Pferd aus dem Gleichgewicht und stört den Viertakt. Wer dauernd drückt, stumpft das Pferd ab.
Störfaktoren sind allerdings auch Reiter, die gar nicht stören wollen. "Viele halten beim Schrittreiten die Luft an, um das Pferd ja nicht zu behindern", sagt Gräf. Dabei verspannen sie und übertragen diese Anspannung aufs Pferd." Darunter leidet der Takt. Für solche Kandidaten hat die Reitlehrerin einen simplen Trick: "Ich lasse die Reiter laut den Takt mitzählen. Dadurch atmen sie automatisch richtig."






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Die Schritt-Killer
Schritt-Killer ist jedoch nicht nur mangelndes Körpergefühl. Für Anja Beran ist auch die innere Einstellung zum Reiten entscheidend. "Sobald der Reiter die Vorstellung hat, das Pferd oder den Pferdehals in eine bestimmte Form zu bringen, stört er den Schritt. Das Pferd reagiert mit festem Rücken und verliert den Takt." Solche Auftritte sind selbst in den höchsten Dressurprüfungen zu sehen und entlarven jeden Kraft- und Rollkurreiter.
Sind Pferde dagegen fein geritten, zeigen sie einen klaren Viertakt, gehen von Natur aus gerne vorwärts und dehnen sich von alleine ans Gebiss. Dass sich manche Tiere damit leichter tun als andere, liegt auch in den Genen. "Fast alle Warmblüter haben durch die Zucht eine gute Schrittveranlagung", sagt Anja Beran. Das ist nicht bei allen Pferderassen so: Unter den Iberern gibt es Kandidaten, die genetisch bedingt zu Passverschiebungen neigen. Weil Reiter sich mit Passgängern bequem und schnell fortbewegen konnten, züchtete man bewusst solche Pferde. Deren Nachkommen zeigen schon im Fohlenalter diese Veranlagung. "Bei solchen Pferden muss man viel trainieren, bis der klare Viertakt zum Vorschein kommt", sagt Anja Beran.
Kennzeichen für guten Schritt ist die deutliche V-Phase. Das Vorder- und Hinterbein derselben Seite bilden das V, wenn die Hinterhand aufsetzt und das gleichseitige Vorderbein abfußt. Ist das V nicht erkennbar, ist der Takt gestört und verschiebt sich bis zum Passgang, bei dem die gleichseitigen Beine gleichzeitig abfußen.






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Nickt das Pferd ist es locker
Ein sehr guter Gradmesser, den jeder Reiter auch vom Sattel aus beobachten kann, ist die Nickbewegung von Kopf und Hals. Nickt das Pferd, ist es locker und losgelassen, Rücken- und Bauchmuskeln können arbeiten. Nickt das Pferd nicht, können die Muskelketten nicht optimal zusammenspielen. Das Pferd muss mehr Gewicht auf der Vorhand mit der tiefen Beugesehne stemmen. Die dauerhafte Überlastung kann zu Krankheiten wie dem Hufrollen-Syndrom führen.
Je raumgreifender der Schritt, desto größer die Nickbewegung, die von der Reiterhand nach vorn begleitet wird. "Bei einem großrahmigen Warmblüter sollten es mindestens zehn Zentimeter sein", sagt Ralf Döringshoff. Weit weniger nicken kurze iberische Pferde. Deren traditionelle Ausrüstung liefert eine andere Hilfe zur Taktprüfung: den sogenannten Mosquero. Diese Lederfransen am Stirnband wippen bei einem guten Schritt abwechselnd links und rechts im Takt.






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Schon im Schritt gerade richten
Wie weit das Hinterbein im Schritt übertritt, ist dagegen ein schlechter Gradmesser für guten Schritt. Olaf Radünz, Bereiter aus Berlin, sieht den großen Übertritt sogar kritisch: "Die Schrittqualität wird bei Pferden oft daran gemessen, wie weit das Tier übertritt. Man kann fast schon von einem extrem überzüchteten Schritt sprechen."
Diese Pferde zeigen einen spektakulären starken Schritt, tun sich aber schwer mit der Versammlung, weil sie deutlich untertreten müssen und das Gleichgewicht oft nicht halten können. "Spätestens die M-Dressur verlangt den versammelten Schritt, der diesen Pferden sehr schwer fällt", sagt Radünz. Viele Reiter regeln das dann mit viel Handeinsatz und stören den Schritt. Im schlimmsten Fall verspannen solche Pferde, zeigen passartigen Schritt und sind nur schwer davon abzubringen. Passgänger sieht man nicht nur im Freizeitbereich, sondern in den höchsten Dressurprüfungen.






Einseitiges Piaffe-Training ist ein Schritt-Killer
"Viele Pro pferde haben verspannte Rückenmuskeln, weil sie sehr einseitig auf Piaffe und Passage trainiert werden und dabei die Muskulatur zu lange anspannen müssen", sagt Ralf Döringshoff. Das stört den Schritt genau wie Reiten in Rollkurhaltung. Solche Pferde entlarvt beim Turnier die Schritttour.
Wer den Schritt dagegen richtig reitet, fördert Losgelassenheit, Durchlässigkeit und kann sein Pferd soweit gymnastizieren und geraderichten, dass er nicht einmal traben muss. Es lohnt sich, Schritt nicht nur am hingegebenen Zügel zu reiten. Denn es gibt viele Übungen, die das Pferd gelenkig und geschmeidig machen – und die Hinterhand stärken.
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Spannungen im Schritt beseitigen
"Wenn ich weiß, wo das Pferd seine steifere Seite hat, kann ich diese gleich zu Beginn im Schritt dehnen", sagt Anja Beran. "Ich kann sofort Spannungen beseitigen, wenn ich das Pferd richtig stelle, biege und es so zum Kauen anrege." Beran lässt das schwächere Hinterbein übertreten und fragt bei Seitengängen die steife Seite ein Mal mehr ab. Um zu testen, ob das Pferd im Schritt durchlässig ist, hat Anja Beran folgende Übung: "Sie reiten Schulterherein vor der zweiten Ecke der kurzen Seite, legen dann über die Diagonale zu und lassen den Hals länger werden. Vor der Ecke verkürzen Sie den Schritt wieder." Klappt diese Lektion ohne Taktfehler? Zieht das Pferd von sich aus vorwärts, und lässt es sich ohne Handeinwirkung zurücknehmen? Dann ist es durchlässig, losgelassen und gut gymnastiziert.
Viele Pferde bringen das Aufnehmen der Zügel mit dem Antraben in Verbindung und zackeln dabei los. Mit solchen Pferden reitet Uta Gräf Tempowechsel im Schritt. "Ich nehme das Pferd auf und verkürze den Schritt. Dann lasse ich die Zügel aus der Hand kauen und reite vorwärts-abwärts, ohne mit der Hand den Takt zu stören." Solche Übungen verbessern nicht nur den Schritt, sondern auch die Losgelassenheit. Für Zackler hat Gräf noch einen Tipp: "Nach dem Aufnehmen eine Volte reiten oder Seitengänge. Dann bringt das Pferd kürzere Zügel nicht mit Antraben in Verbindung."
Auch Ausreiten fördert den Schritt und ist nebenbei Balsam für die Seele. Uta Gräfs Grand-Prix-Pferd Le Noir darf regelmäßig im Gelände bergauf und bergab steigen. Das verbessert das körperliche Gleichgewicht und die mentale Losgelassenheit. Die erfolgreiche Turnierreiterin sucht dabei gezielt unterschiedliche Böden fürs Training.






Die Dressurcracks schreiten sicher über jeden Boden
Angst, dass sich ihre Sportcracks verletzen könnten, hat sie nicht. Im Gegenteil. Je trittsicherer die Pferde sind, desto geringer ist die Verletzungsgefahr – auch im Viereck.
Artgerechte Haltung ist für Uta Gräf ebenfalls ein wichtiger Aspekt beim Dressurreiten. Auf ihrem Hof stehen alle Pferde in Paddockboxen mit ständigem Zugang zu großen Ausläufen. "Dadurch sind unsere Pferde ausgeglichen und losgelassen. Solche Haltungsaspekte darf man nicht unterschätzen", sagt die Dressurexpertin.
Denn ein Pferd, das zufrieden mit seinem Umfeld und mit seinem Reiter ist, arbeitet motivierter, schreitet besser voran und nickt entspannt mit dem Kopf.
Kontakt:
Für die Fotos sattelte Uta Gräf Grand-Prix-Pferd Le Noir und Damon Jerome H, der Vize-Weltmeister der Jungen Pferde wurde (www.gutrothenkircherhof.de).
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Spitzenreiter zeigen Pferde ohne Takt
Der Schritt wird bei Dressur-Turnieren zwar doppelt gewertet, aber selbst taktlose Pferde können goldene Schleifen einheimsen. Über den Stellenwert des Schritts in Dressurprüfungen diskutieren Experten heftig. Obwohl im Schritt viele der Dressurcracks Taktfehler produzieren, weil sie weder wirklich durchlässig noch losgelassen sind, können sie dieses Manko in anderen Lektionen wieder wettmachen. Viele der so genannten Schenkelgänger reagieren reflexartig auf Schenkelhilfen, reißen die Beine hoch und wirken dadurch ausdrucksstark. Doch das Hinterbein hängt, und der Rücken ist fest.
Der Schritt wird bei Turnieren zwar doppelt gewertet, doch der Anteil der Schritttour an den Aufgaben ist so gering, dass der Notenabzug oft nicht ins Gewicht fällt. Und das, obwohl sich hier Ausbildungsmängel am deutlichsten zeigen. Übungen wie die Schaukel, bei der Pferde zwischen rückwärts und vorwärts wechseln und dafür extrem durchlässig sein müssen, sind aus S-Prüfungen fast verschwunden. Viel mehr Gewicht liegt auf publikumswirksamen Lektionen wie Verstärkungen in Trab und Galopp oder Piaffe und Passage. Seit April 2011 dürfen Richter in internationalen Prüfungen bei einem unsauberen Viertakt immer noch die Note fünf (= genügend) vergeben, für einen Passgang gibt es allerdings höchstens eine drei (= mangelhaft). Dabei ist ein Schritt ohne klaren Viertakt kein Schritt und müsste in der Prüfung streng genommen eine 0 (= nicht gezeigt) kassieren.





