Darf ich vorstellen, das ist „Duke.“ Janina Beckmann (30) begrüßt uns bei unserem Besuch im Reitstall Garkofen im bayerischen Anzing mit einem strahlenden Lachen. Das sah vor einigen Monaten noch anders aus. Im Juni war plötzlich ihr Wallach „Lord of Desert“ gestorben. „Wenn dich deine erfahrene Stallbesitzerin morgens früh mit gepresster Stimme anruft und sagt: ‚Komm schnell‘, dann musst du dich wirklich beeilen“, erinnert sie sich an den traurigen Mittwoch.

Janina schaffte es nicht mehr rechtzeitig in den Stall. „Mein Pferd hat sich leider noch nie viel Zeit gelassen, auch nicht beim Sterben.“ Lordi kollabierte, die Diagnose: vermutlich ein Aortenabriss. Vier Jahre nur dauerte die gemeinsame Zeit, in der Janina mit viel Mut, Engagement und noch mehr Geduld aus dem schwierigen Galopper ein zuverlässiges Vielseitigkeitspferd gemacht hatte.
Wer selbst ein Pferd verloren hat, kennt das riesengroße Loch, das sich auftut. „Ich dachte nicht, dass ich so schnell ein neues Pferd finden werde“, erzählt Janina. Trotzdem durchforstete sie Facebook-Seiten von Rennställen und Ebay-Kleinanzeigen. Eine Bekannte vom Galopper-Vermittlungszentrum Liberty’s Home machte sie schließlich auf eine Anzeige des Rennstalls Recke in Weilerswist bei Köln aufmerksam.

Ein Pferd mit Hirn, Herz und schnellem Vorderbein
„Ich bin im Stall beliebt und nicht sehr schnell“, hieß es in dieser Anzeige. Janina Beckmann wurde neugierig. Ob das wohl das Pferd war, das sie suchte – eines „mit Hirn und Herz, guten Bewegungen und einem schnellen Vorderbein für die Vielseitigkeit“? War es. Nach nur einem Besuch und Proberitt war Janinas Entscheidung gefallen.
Nur wenige Tage später zog der großrahmige Fuchs mit Namen Basillus XX rund 600 Kilometer vom Rheinland ins bayerische Anzing um. Und selbst das dauerte der Reiterin fast schon zu lange: „Ich hätte ihn auch direkt mitnehmen können, habe aber leider den Fehler gemacht, ohne Hänger loszufahren.“

So schnell die Entscheidung fiel, ihr Bauchgefühl hat Janina Beckmann dabei nicht im Stich gelassen. Das Einzige, was nicht passte, war der Name: „Die Bayern hätten aus dem französischen Basillus vermutlich Bazillus gemacht, deshalb habe ich ihn kurzerhand in Duke of Anzing umbenannt.“
Duke erwies sich, anders als Lordi, vom Fleck weg als wirkliche Lebensversicherung. Die Integration in die Offenstallgruppe verlief unspektakulär; was vermutlich auch daran lag, dass er bereits im Rennstall Weidegang in Gesellschaft kennengelernt hatte. „Ein Vorteil von Vollblütern ist, dass sie meistens recht nervenstark sind.
Duke, meine vierjährige Rennsemmel, hat kurz nach seinem Umzug schon ältere Freizeit-Kollegen sicher durchs Dorf geführt“, sagt Janina. Die „Rennsemmel“ macht auch bei unserem Besuch den Eindruck, hier schon lange zu wohnen: Duke ist tiefenentspannt. Er hat zudem innerhalb weniger Wochen sieben Zentimeter Stockmaß zugelegt, sein Fell schimmert seidig über den Muskeln; nur die Rippen schauen noch etwas hervor.

15 Kilo Heu pro Tag gehen weg wie nichts
Eine Blutanalyse hatte ergeben, dass Duke einen Kaliummangel hatte. „Ihm fehlte einfach Raufutter. Heu und Gras enthalten Kalium. Davon bekommt er jetzt jede Menge. Seitdem er hier ist, frisst und frisst und frisst er.“ Und das mit Erfolg: Der Bauchgurt musste schon ein Loch weiter gestellt werden.
Vollblüter haben rassebedingt einen höheren Grundumsatz; Dukes Energiebedarf ist allerdings exorbitant. Auf dem täglichen Futterplan stehen: 15 Kilo Heu, 2,5 Liter Hafer, 0,5 Liter Gerste, 1,75 Liter Kräutermüsli, ein Löffel Mineralfutter, Bierhefe, Öl und Gras von neun Stunden Koppelgang.

Gamaschen und Glocken zum Selbstschutz
Kilos aufs Pferd zu kriegen, ist das eine Ziel – Dukes unkoordinierten Bewegungsablauf zu verbessern, das andere. „Ich war in der ersten Zeit schon froh, ihn ohne größere Verletzungen bewegen zu können. Mit extra starken Gamaschen und Hufglocken vorne und hinten habe ich ihn quasi vor sich selbst geschützt“, erzählt Janina Beckmann.
Oberstes Reitziel ist deshalb, Dukes Rückenmuskulatur zu stärken und seine Balance zu verbessern. Der Trainingsplan der ersten Wochen bestand vor allem aus Bodenarbeit, Stangen im Roundpen, kleinen Sprüngen und Klettern im Gelände. Zur Seite steht den beiden die Chiropraktikerin Zrinka Hadenberg: „Wichtig ist, dass sich während des Trainings keine Blockaden bilden. Vollblüter sind aus chiropraktischer Sicht sehr elastisch, mögliche Blockaden lassen sich sehr gut erfühlen.“
Duke soll durch das Training mehr Tragkraft entwickeln. Außerdem soll die Muskulatur des Schultergürtels gestärkt werden, damit er besser den Rumpf anheben kann. Die Chiropraktikerin ist mit Dukes bisherigen Fortschritten mehr als zufrieden. „Er hat schon prima gelernt, den Hals fallen zu lassen und die Oberlinie zu dehnen.“

Dressur gehört nicht zu Dukes Lieblingsdisziplin
Auch Springtrainer Frank Möller gehört zum „Experten-Team“ rund um Duke, ebenso wie Bodo Battenberg, der frühere Deutsche Meister in der Vielseitigkeit. Bei ihm hat der flotte Fuchs bereits mit Bravour eine Trainingseinheit „im Busch“ gemeistert. „In der Dressur hapert es dagegen noch etwas“, sagt Janina Beckmann. Das schmälert jedoch nicht das positive Gesamtbild, das die Reiterin von Vollblütern hat: „Das sind einfach tolle und leistungsbereite Sportpartner, aber eher was für sportlich engagierte Reiter“, findet sie.
Was sie sich wünscht? Gerne würde sie mit Duke noch einmal auf die Rennbahn für einen flotten Galopp, nur so zum Spaß. Leider gibt es ein solches Angebot für Freizeitreiter (noch) nicht.

Zucht und Rennen unter der Dachmarke German Racing
Das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen e.V. ist mit der Zucht von Vollblütern und der Organisation von Galopprennen in Deutschland betraut. Insgesamt gibt es 22 Galopprennbahnen. Zu den bekanntesten zählen Baden Racing in Iffezheim und die Berliner Rennbahn Hoppegarten.
Vollblüter werden neben dem Rennsport unter anderem auch in der Dressur, im Western- und im Fahrsport eingesetzt. „Im Standardtraining bei den Galoppern wird zunehmend Wert auf abwechslungsreiches Gymnastizieren gelegt. Viele Trainer praktizieren bereits diesen Weg in die Zukunft“, sagt Rieke-Marie Wilken, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit / German Racing. Mittlerweile sind mehr als 2 000 Vollblüter deutschlandweit in ganz verschiedenen Sparten im Einsatz.
Zweite Karriere: Viele Stuten und Hengste gehen nach der Rennkarriere in die Zucht. Wallache und Pferde, die nicht schnell genug waren, werden in den Freizeitsport vermittelt. „Das Thema ‚Karriere nach der Karriere‘ liegt uns als Dachverband am Herzen und wird noch stärker in den Fokus rücken“, sagt Rieke-Marie Wilken. www.german-racing.com