Klassisch reiten mit Quarter Horse: So geht's

Western trifft Klassik
Klassisch reiten mit Quarter Horse

Veröffentlicht am 11.09.2021
Klassisch reiten mit Quarter Horse
Foto: Lisa Rädlein

Erhaben und in feiner Anlehnung galoppiert eine Fuchsstute über den Platz. Ein Warmblut im Kleinformat, scheint es. Tatsächlich fließt in den Adern von "Chex me" pures Reinerblut, die Stute ist ein modernes Quarter Horse par excellence. Spin und Sliding Stop, Reiningmanöver aus der Westerndressur, beherrscht sie aus dem Effeff.

Und doch führte ihr Wesen dazu, dass ihre Besitzerin, Pferdetrainerin Yvonne Gutsche, sich für Chex me auch eine klassische Dressurausbildung wünschte.

Klassisch reiten mit Quarter Horse
Lisa Rädlein

Klassisches Reiten entspannt die Stute

"Chex me ist hochsensibel, was auch an ihrer Blutlinie liegt. Aber ich wollte keinen heißen Ofen", erzählt Yvonne Gutsche. Die Trainerin bemerkte, dass Chex me mental entspannter war, wenn sie die Stute im Sattel mehr "babysittete". Heißt: eine ruhige und stetige Anlehnung, ein stets Kontakt haltendes Bein. "Mit ausgeprägtem Impulsreiten kam Chex me nicht ganz so gut klar."

Für die Westernreiterin ein Grund, sich mehr im klassischen Reiten fortzubilden und mit Dressurtrainern zusammenzuarbeiten. Doch das erwies sich als gar nicht so leicht. "Mit Quarter Horses in der Dressur zu arbeiten, braucht viel Einfühlungsvermögen und ist anders als mit Warmblütern."

Klassisch reiten mit Quarter Horse
Lisa Rädlein

Fast hätte Yvonne Gutsche den Weg aufgegeben und wäre mit Chex me beim Altbekannten geblieben. Doch der Zufall wollte es, dass sie auf einer Messe Mirjam Wittmann kennenlernte, die selbst vom Dressurreiten zur Working Equitation wechselte und Doppelweltmeisterin in der Disziplin ist.

Gemeinsamkeiten von Working Equitation und Western

Jetzt poliert die Bayerin noch kurz Yvonne Gutsches Helm – schließlich ist heute die Kamera von CAVALLO-Fotografin Lisa Rädlein beim gemeinsamen Training dabei. Aufmerksam begleitet Wittmann ihre Kollegin im Dressursattel. "Groß und erhaben, heb dein Brustbein an, denk an deinen Bauchnabel", rät die Trainerin beim Galopp nach dem Warmreiten. "Lass sie über deinen Sitz noch mehr nach oben springen."

Die Arbeit mit unterschiedlichen Pferderassen ist Mirjam Wittmann gewohnt, denn in der Working Equitation herrscht bunte Vielfalt. "Das hat mir besonders gefallen", erzählt Yvonne Gutsche. Auch bei der Reitweise gibt es Gemeinsamkeiten. "Bei Mirjam muss genauso wie im Westernreiten alles am Schluss auf das einhändige Reiten hinauslaufen."

Klassisch reiten mit Quarter Horse
Lisa Rädlein

Wie die Westernausbildung ist die dressurmäßige Arbeit mit Working-Pferden an der Arbeitsreitweise orientiert. Eine Hand muss frei bleiben können. "Mirjam arbeitet deshalb zum Beispiel stark über den Drehsitz, was meiner Reitweise sehr nah kommt", erklärt Yvonne Gutsche.

2019 war Chex me fast ein Jahr lang bei Mirjam Wittmann, auch heute ist sie mal bei ihrer Besitzerin, mal bei der Working-Trainerin. "Chex me sollte die besten Lernbedingungen haben, vor allem sollten alle Lektionen von Grund auf korrekt erarbeitet werden", betont Yvonne Gutsche. Besonders für hohe Lektionen wie Piaffe, Galopppirouette oder Passage holt sie sich Unterstützung.

Das Quarter-Exterieur ist eine Herausforderung

Auf dem ausgebildeten Reining-Pferd zu sitzen, war auch für Mirjam Wittmann anfangs eine Umstellung. "Einmal sagte jemand in der Halle ganz tief und langgezogen ,guuuut‘. Da hing ich fast zwischen Chex mes Ohren, weil das beinahe wie ,Woah‘ klingt", erinnert sich die Trainerin an den ungeplanten Stopp.

Das Exterieur der Stute ist eine Herausforderung für die Dressurausbilderin. "Quarter Horses sind in der Vorhand stark nach unten gezüchtet, haben einen tiefen Halsansatz, der von oben auf die Schulter drückt. Die Vorhand anzuheben, fällt ihnen natürlich viel schwerer als Iberern oder Barockpferden." Das zeigt sich auch beim Erarbeiten von Lektionen wie der Piaffe. Chex me beugt zwar vorbildlich ihre Hanken, kommt mit Hals und Brust aber noch zu tief. Auch die Passage ist für sie anstrengend, ihre Atemfrequenz steigt deutlich.

"Bei einem Pferd, das den Westernbereich so perfekt repräsentiert, wird man manchmal Abstriche in der Dressur machen müssen", ist Mirjam Wittmann klar. "An diesen Lektionen arbeiten wir noch. Besonders wichtig ist, dass sie über den Rücken geht, auch wenn Piaffe und Passage flacher und in der Beinbewegung weniger spektakulär sind."

Klassisch reiten mit Quarter Horse
Lisa Rädlein

Körperlich profitiert hat Chex me bereits jetzt vom dressurmäßigen Reiten, finden die Trainerinnen. Ihre Schulter ist freier geworden, die Hankenbeugung hat sich weiter verbessert. Beide Reitweisen zu kombinieren, bringt automatisch Wechsel zwischen Versammlung und Dehnung mit sich.

Ihre Körperspannung setzt Yvonne Gutsche nun noch bewusster ein als zuvor, und auch an ihrem Sitz feilt sie mit Mirjam Wittmann. "Ganz ehrlich, wir Reiner sind da manchmal schludrig", gibt sie selbstkritisch zu. "Von Mirjam konnte ich wahnsinnig viel mitnehmen."

Der enge Austausch der Trainerinnen war besonders wichtig, als sie die Hilfen für verschiedene Lektionen entwickelten, um Chex me nicht zu verwirren. Yvonne Gutsche: "Sie muss klar unterscheiden können, ob eine Pirouette oder ein Spin gefragt ist, sonst wird es ihr gegenüber unfair."

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Lisa Rädlein

Aus der Pirouette wird fließend ein Spin

Im Fall der beiden verwandten, aber doch unterschiedlichen Lektionen heißt das: In der Pirouette hat der Reiter mehr Körperspannung, denkt nach oben "durch den Himmel", das Bein liegt an.

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Lisa Rädlein

Lässt der Reiter die Körperspannung mehr los, die Zügel aus der Hand gleiten und nimmt das Bein weg, ist ein fließender Übergang zum Spin möglich. Dann senkt Chex me den Kopf, dreht Vor- um Hinterhand, wirbelt wie ein Kreisel. Man spürt: Hier ist Chex me zuhause. Doch Reisen in neues Terrain bereichern bekanntlich.