Eins vorweg: Pferde würden eine federleichte Zügelverbindung wählen. Das legt eine im Juni 2019 an der Ruhr-Universität Bochum veröffentlichte Studie nahe, in der untersucht wurde, wie viel Zügelzug vom Reiter ausgeht und wie viel vom Pferd. Eine leichte Anlehnung ist also wünschenswert, aber wie geht das? Werfen wir zunächst einen Blick auf den Komfortbereich der Pferde.
Pferde würden leichte Zügelverbindung wählen
Das Ergebnis der Forscherinnen Dr. Kathrin Kienapfel und Lara Piccolo: Konnten die Pferde selbst entscheiden, wählten sie eine signifikant leichtere Zügelverbindung, als wenn der Reiter mitmischte (Mittelwerte 0,75 Kilogramm pro Zügel bei selbst gewähltem Zug, 2,4 Kilogramm mit Reiter).

„Erst wenn das Pferd sich vertrauensvoll an den Zügel dehnt, kann man den Zügel langsam wieder aufnehmen.“ Knut Krüger, Dressurausbilder
Das Setting der Pilotstudie: 13 Pferde wurden longiert oder in einem Longierzirkel freilaufen gelassen. Dabei waren sie so ausgebunden, dass sich ihre Stirnlinie an oder knapp vor der Senkrechten befand. In allen drei Gangarten wurden die Zugkräfte am Ausbinder gemessen. Danach ritten ihre gewohnten Reiter die Pferde in der gleichen Kopf-Hals-Haltung auf dem Zirkel.
Weniger Taktstörungen und Kopfschütteln mit der richtigen Anlehnung
Die Pferde brachten auf den Ausbinder nicht nur weniger Zug, sie zeigten ohne Reiter auch weniger Konfliktverhalten wie Kopfschütteln, Schweifschlagen, ungewöhnliche Maulbewegungen oder Taktstörungen (sieben von 13 Pferden vs. elf von 13 beim Reiten). Errechnet haben die Forscherinnen aus den Messergebnissen auch den Anteil von Pferd und Reiter an den Zügelkräften: Vom Pferd stammten im Mittel 37 Prozent, vom Reiter 63 Prozent. Aber wie erreiche ich als Reiter nun eine feinere und für das Pferd angenehmere Anlehnung?
Das Pferd ist hart im Maul? – Nein! Jedes Pferd ist fein
Auch "stumpfe" Pferde wählten ohne Reiter eine feine Anlehnung. Das überraschte Kienapfel: "Wir hatten mit mehr individuellen Unterschieden gerechnet, aber selbst Pferde, die beim Reiten angeblich hart im Maul sind und bei denen wir dabei bis zu 15 Kilo gemessen haben, brachten ohne Reiter Werte unter einem Kilo auf den Ausbinder." Piccolos Schlussfolgerung: "Pferde können auch mit wenig Druck in Dressurhaltung gehen – Reiter sollten das auch unter dem Sattel anstreben."

Im Verlauf der Ausbildung sollte die Anlehnung immer leichter werden. Vom Reiter erfordert dies viel Gefühl, einen korrekten Sitz und eine feine Einwirkung, die das Pferd nicht behindert.
Ob ein Ausbinder und die Reiterhand überhaupt vergleichbar sind? Kienapfel meint: Ja! Ihre Begründung: "Der Reiterhand wird zwar nachgesagt, dass sie der Bewegung folgt, aber die Zügelkraftmessungen zeigen, dass sie das kaum tut. Die Verbindung ist lange nicht so stetig, wie wir Reiter meinen. An den Wacklern im Messdiagramm kann man sogar sehen, welche Gangart geritten wurde."
Anlehnung erarbeiten: Ist die stete Zügelverbindung ein Mythos?
"Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Begriff tatsächlich nicht unbedingt treffend", sagt Dr. Kathrin Kienapfel. Für sie bedeutet die neue Studie, dass Reiter mit möglichst wenig Zug auf dem Zügel reiten sollten. "Je feiner, also je weniger Kraft, desto besser", so die Forscherin.
Sind Richter, Ausbilder und Reiter auf dem Irrweg? Ein gespannter Zügel wird immer wieder gefordert. "Im Reitunterricht heißt es oft: Lass dein Pferd nicht so alleine, wenn der Zügel nicht straff ist", kritisiert Kathrin Kienapfel. Oft läuft es dann darauf hinaus, dass die Anlehnung vom Pferd erzwungen wird.
Knut Krüger, 60, Ausbilder und ehemals Schüler von Paul Stecken, beobachtet, dass auch Turnierrichter eine recht straffe Zügelverbindung sehen wollen. "Wenn dadurch Passverschiebungen im Schritt und Taktfehler im Trab entstehen, wird das oft in Kauf genommen. Ein leicht durchhängender Zügel ist dagegen nicht gerne gesehen."
Dafür gebe es keine Begründung, wenn das Pferd korrekt und harmonisch gehe. "Was dagegen mit unter fünf bewertet werden müsste, sind Pferde, die mit der Nase hinter der Senkrechten gehen und Taktfehler zeigen", fordert Krüger.
Eine korrekte Anlehnung erfordert das richtige Maß
"Die feinste Anlehnung ist ein leicht durchhängender Zügel", findet Knut Krüger. Anlehnung bedeutet für ihn vor allem, dass das Pferd an Kreuz und Schenkel steht. Diese Auffassung finde man auch bei alten Meistern.
Sabine Ellinger, 52, Dressurausbilderin aus dem schwäbischen Murrhardt, zitiert zur idealen Zügelverbindung Reitmeister Martin Plewa: "Er hat es mal so erklärt: Die Zügelverbindung soll so leicht wie möglich und so konstant wie möglich sein." Hier liegt die Krux: "Mit mehr Gewicht in der Hand ist es oft leichter, eine konstantere Verbindung zu halten", beobachtet Sabine Ellinger. "Eine ganz feine Verbindung ist häufig unsteter."
Mythos ruhige Hand?
Aber gibt es diese elastische Verbindung überhaupt? Auch wenn die Forschung zeigt, dass selbst sehr gute Reiter keine wirklich konstante Anlehnung hinbekommen: Die Reiterhand muss dem Pferdemaul trotzdem so gut wie möglich folgen.
"Oft ist in diesem Zusammenhang die Rede von der ruhigen Reiterhand. Wichtig dabei ist, dass sich die Hand ruhig zum Pferdemaul verhalten muss, nicht etwa zum Sattel", erklärt Krüger.
Auch Sabine Ellinger findet den Begriff der ruhigstehenden Hand irreführend. "Das verleitet tatsächlich dazu, die Hand unerbittlich stehen zu lassen", sagt sie. Im Unterricht beobachtet sie bei ihren Schülern, dass viele besonders im Trab und Galopp zu wenig mit der Bewegung mitgehen. So passiert es häufig, dass Pferde dann hinter dem Zügel gehen oder sich auf den Zügel legen. Feine Anlehnung? – Fehlanzeige.
"Im Schritt kennen das die meisten und bemühen sich. Aber im Trab vergessen viele das feine Mitfedern und im Galopp das Rauslassen des Sprungs nach vorne mit der Hand."
Für eine elastische Anlehnung sollte man dem Takt des Pferdes folgen
Auch beim Nachgeben muss der Reiter der Nickbewegung folgen. Das ist wichtig, damit der Zügel danach nicht mit einem Ruck wieder ansteht, erklärt Sabine Ellinger. Auch Knut Krüger findet es wichtig, dem Takt des Pferds zu folgen. Nur so gelingt eine vertrauensvolle Anlehnung des Pferds.
"Wenn man den Zügel aufnimmt, folgt man zuerst komplett der Nickbewegung. Nur ein weit fortgeschrittener Reiter kann vom Pferd noch etwas mehr Tragkraft fordern, indem er die letzten zehn Prozent des Wegs gefühlvoll abfängt und entsprechend treibt. Er orientiert sich aber immer am Takt des Pferds."
Kathrin Kienapfel betont mit Blick auf ihre neue Studie, wie wichtig das Nachgeben ist. "Reiter sollten sich mit Lerntheorie auseinandersetzen und sich bewusst machen, was eine Zügeleinwirkung bewirken soll." Ist die gewünschte Reaktion da, muss die Hand nachgeben, um Dauerdruck in der Anlehnung zu vermeiden und das gewünschte Verhalten zu bestärken.
Das Ziel der Ausbildung: Eine immer leichtere Anlehnung
Im Verlauf der Ausbildung sollte die Anlehnung immer leichter werden. Ältere Messungen von Dr. Kienapfel bei erfolgreichen Sportreitern zeigten aber, dass auch bei sehr weit ausgebildeten Pferd-Reiter-Paaren regelmäßig 15 Kilo Spitzenwerte auf dem Zügel keine Seltenheit sind.
"Wenn die Anlehnung im Verlauf der Ausbildung nicht leichter wird, läuft etwas schief", sagt Sabine Ellinger. "Dann hat das Pferd wahrscheinlich gelernt, dass es sich vor der Einwirkung des Reiters schützen kann, wenn es sich fest macht."
"Je mehr ein Pferd an Kreuz und Schenkel steht und je mehr es sich versammeln kann, desto leichter wird es in der Hand", erklärt auch Knut Krüger. Ein erster Schritt sei das Überstreichen des Zügels.
"Diese Lektion soll ja eine Überprüfung sein und zeigen, ob das Pferd so an den Hilfen steht, dass es seinen Rahmen auch ohne Zügel behält. Das zeigt ja schon, dass das Ziel eine möglichst leichte Verbindung sein sollte."
Tipps für eine bewegliche Hand
Perfektion? Gibt’s nicht! Messdiagramme zeigen: Wirklich konstant ist die Verbindung zum Maul nie. Aber: So gut wie möglich soll es sein!
Augen zu! Tipp von Ausbilder Knut Krüger: Sich immer wieder mit geschlossenen Augen auf die Bewegung in den Händen konzentrieren und spüren, ob diese im Takt den Nickbewegungen folgen. "Spüren Sie das taktmäßige Ziehen in den Händen und folgen Sie ihm weich." Das muss ähnlich wie Fahrradfahren ins Unbewusste übergehen.
Passiver Arm: "Damit sich das Pferd seine Anlehnung quasi selbst holen kann, muss der Arm ganz locker aus dem Schultergelenk heraus beweglich sein und der Nacken locker", erklärt Dressurausbilderin Sabine Ellinger. Um die Muskeln zu entspannen, hilft Progressive Muskelrelaxation: Am hingegebenen Zügel Arme kräftig für etwa zehn Sekunden anspannen und dann loslassen. Dadurch lernt man das bewusste Loslassen der Muskeln.
Tipps für eine feinere Anlehnung ans Pferdemaul vom Experten
Erst mal abtauchen: Knut Krüger, der nach der Reitvorschrift H.Dv.12 ausbildet, erarbeitet eine idealerweise leichtest mögliche Anlehnung über die Dehnungshaltung.
Erst mal tief bleiben: Dazu lässt du zunächst die Zügel aus der Hand kauen. Gib hierfür längere Paraden und gib erst nach, wenn das Pferd den Hals senkt und Dehnungsbereitschaft zeigt. So lässt du die Zügel Stück für Stück länger. "Paul Stecken forderte bei jedem Pferd das Zügel aus der Hand kauen bis zur Schnalle."
Aktive Hinterhand: "Erst wenn das Pferd so konstant in einer tiefen Dehnungshaltung bleibt, kannst du ans Zügelaufnehmen denken", so Krüger. Dazu aktivierst du zunächst etwa mit Übergängen die Hinterhand, so dass das Pferd allmählich Aufrichtung findet. Langsam Zügel aufnehmen.
Für eine gefühlvolle Anlehnung: Nachgeben mit Sitz-Check
Eine Erleichterung: Knut Krüger findet es wichtig, jede Parade mit einem deutlichen Nachgeben zu beenden. "Nicht nur halb, sondern so, dass der Zügel kurz zumindest minimal durchhängt." Ein paar Tritte lang bleibt der Zügel so.
Sitz korrigieren. Krügers Tipp: Nutze die Phase des Nachgebens, um deinen Sitz zu korrigieren. "Besinne dich kurz und setze dich zurecht, richte dich wieder symmetrisch aus, korrigiere die Position von Hand und Bein und deine Aufrichtung im Rücken." Der Effekt: Das Pferd spürt durch den optimierten Sitz eine zusätzliche Erleichterung. "So wirst du dein Pferd mit der Zeit immer feiner am Zügel führen können und eine federleichte Anlehnung erreichen", ist Krügers Erfahrung.
Weniger stören. "Oft stören wir das Pferd eigentlich nur", findet Krüger. Deshalb ist es so wichtig, regelmäßig zwischendurch zu checken, ob die Verbindung gut, sprich freundlich, ist.