Wer bewegt wen? In der Zweierherde Pferd und Mensch ist es im Idealfall Letzterer, der das Steuer in die Hand nimmt. Für den Steuermann im Sattel wird’s nun aber knifflig, denn es gibt neben dem Vorwärts- und dem Rückwärtsgang auch noch den Seitengang. Man beachte auch Vor- und Hinterhand – puh, soll das Pferd sich doch bitte lieber selbst bewegen?
Hilfe für bessere Koordination und Balance
Das wäre aber schade. Denn wenn Sie die Beine Ihres Pferds gezielt ansteuern können, kommen Ihre Hilfen punktgenau an. Dann können Sie Ihrem Pferd helfen, sich besser zu bewegen. "Das hat Einfluss auf seine Koordination, die Anlehnung, Geraderichtung, Balance, Trag- und Schubkraft", erklärt Dressurausbilderin Dr. Tuuli Tietze.
Doch wer ein Pferdebein einzeln ansprechen möchte, muss wissen, was es gerade macht – zum Beispiel, ob es Bodenkontakt hat oder sich in der Luft befindet. Wie gelingt das?
Erspüren Sie die Pferdebeine
Pferdebeine zu erspüren beginnt damit, die Balance auf dem stehenden Pferd zu fühlen: Verteilt es sein Gewicht gleichmäßig auf alle vier Beine? Schließen Sie die Augen. Wenn sich Ihre Sitzbeinhöcker auf einer Höhe befinden, müssten die Hinterbeine Ihres Pferds parallel stehen. Sinkt ein Sitzbeinhöcker mitsamt Sattel herab, könnte das darauf hindeuten, dass das Hinterbein auf dieser Seite weiter hinten steht.
Ein Blick auf die Schultern verrät, ob die Vorderbeine nebeneinander stehen. Steht das Pferd hinten parallel, aber vorne nicht, fühlen Sie das daran, dass sein Bauch sich zu einer Seite wölbt.
Korrigieren Sie die Hinterbeine
Um Ihr Pferd gleichmäßig auf alle vier Beine zu stellen, korrigieren Sie die Hinterbeine. Meistens wirkt sich das auch auf die Position der Vorderbeine aus. Sie korrigieren zuerst mit dem Gesäß, dann erst mit dem Schenkel – falls noch nötig. Steht etwa das linke Hinterbein zu weit hinten, schieben Sie Ihren linken Sitzbeinhöcker, der nach unten sackt, nach vorne. Reicht diese Hilfe nicht, geben Sie einen Impuls mit dem linken Schenkel.

Die Gerte können Sie einsetzen, wenn die Vorderbeine Ihres Pferds nicht parallel stehen, obwohl Sie die Hinterbeine korrigiert haben. Touchieren Sie es leicht an der Schulter, die zu dem Bein gehört, das zurücksteht. "Oft reagieren Pferde darauf, indem Sie sich ausbalancieren", sagt Tietze.
Nutzen Sie jedes Anhalten, um die Position der Pferdebeine zu erfühlen. Ein Helfer oder der Spiegel verraten Ihnen, ob Sie richtig liegen.
Ab an die Longe und Augen zu
Die Bewegung der Beine fühlen Sie am besten mit geschlossenen Augen an der Longe. Sie spüren, in welche Richtungen Ihr Pferd Ihre Sitzbeinhöcker mitnimmt, während es seine Hinterbeine bewegt. Versuchen Sie, noch mehr zu fühlen: Welches Hinterbein schiebt oder trägt mehr? Auf welchem Vorderbein stützt Ihr Pferd sich mit Vorliebe ab?
"Das ist anfangs natürlich sehr komplex", gibt die Dressurausbilderin zu. Ihr Tipp: Holen Sie sich als Longenführer eine erfahrene Person an Ihre Seite, die Ihnen von unten Feedback geben kann. Die Mühe macht sich bezahlt: "Wer die Antworten auf diese Fragen findet, kann effektiv reiten", weiß Tietze.
So möchten Sie etwa ein Hinterbein, das primär schiebt, mehr beugen und in seiner Tragkraft stärken. Ein Hinterbein, das primär trägt, werden Sie in seiner Kraft beim Abfußen fördern wollen. Das Vorderbein, auf das Ihr Pferd sich gerne stützt, werden Sie vorwiegend entlasten und die Balance Ihres Pferds dafür gezielt von diesem Bein weg verschieben.
Und wie geht das? Die besten Übungen für noch unerfahrene und bereits fortgeschrittene Pferdebein-Dirigenten lesen Sie auf den nächsten Seiten. Viel Spaß beim Ausprobieren!
Übung Nr. 1: Der Schulterkick für Positionskontrolle der Vorhand

Das Ziel: Die Position der Vorhand bestimmen, ein Vorderbein entlasten und das diagonale Hinterbein belasten.
So geht’s: Diese Übung reiten Sie im Schritt. Legen Sie dafür ein Quadrat mit etwa 15 Metern Kantenlänge an. Sie können die Ecken mit Hütchen markieren, damit Sie sich optisch besser orientieren können. Reiten Sie außen an den Hütchen vorbei. Vor der Ecke halten Sie so an, dass die Hinterhand Ihres Pferds am Hütchen andockt. Stellen Sie Ihr Pferd nach außen um, halten Sie seine Längsachse exakt gerade und wenden Sie die Vorhand um 90 Grad schrittweise um die Hinterhand herum, die aktiv mittritt. Erreichen Sie wieder die Kantenlinie des Quadrats, reiten Sie geradeaus bis zur nächsten Ecke weiter.
Aufpassen: Die korrekte Außenstellung ist entscheidend: Achten Sie darauf, dass Ihr Pferd im Hals exakt gerade bleibt.
Problemlösung: Sollte Ihr Pferd in der Wendung stocken, können Sie seine äußere Schulter mit der Gerte antippen.
Übung Nr. 2: Das Oval mit Drehachse für eine reelle Anlehnung

Das Ziel: Eine reelle und solide Anlehnung, das innere Vorderbein im Wechsel belasten und entlasten.
So geht's: Legen Sie ein Oval aus halben Zirkeln und ganzer Bahn an. Sie können die Zirkelpunkte zur besseren Orientierung mit Hütchen markieren. Lassen Sie Ihr Pferd auf den halben Zirkeln dem äußeren Schenkel weichen. Achten Sie dabei darauf, dass Ihr Pferd in seiner Längsachse gerade bleibt. Am Zirkelpunkt drehen Sie Ihr Pferd um Ihre Achse in die Geraderichtung, sodass es in korrekter Innenstellung an den Außenzügel herantritt. Auf der ganzen Bahn können Sie entweder im fleißigen Schritt bleiben oder antraben und bis kurz vor dem nächsten halben Zirkel im Tempo zulegen.
Entscheidend: Achten Sie darauf, Ihr Pferd rechtzeitig vor der Drehung um Ihre Achse am neuen (richtigen) Außenzügel zu führen. Hängt der Außenzügel in diesem Moment durch, verpufft der gewünschte Effekt.
Leichte Variante: Anstatt direkt nach dem Schenkelweichen auf der ganzen Bahn zuzulegen, können Sie am Zirkelpunkt eine Volte einbauen. Die Volte verschafft Ihnen mehr Zeit, um Ihr Pferd an den neuen korrekten Außenzügel heranzureiten. Nach der Volte richten Sie Ihr Pferd dann gerade. Die Volte hat einen weiteren Vorteil: Sie können die Zeit auf dem kleinen Zirkel nutzen, um mit halben Paraden die Hinterhand Ihres Pferds herumzuschließen, damit Sie auf der Geraden zulegen können.

Schwerere Variante: Auf der ganzen Bahn legen Sie nicht zu, sondern reiten Schulterherein – im Schritt oder im Trab. Das verstärkt den Effekt der Übung und sichert die solide Anlehnung am Außenzügel. Wichtig: Vermeiden Sie, zu stark mit dem inneren Zügel einzuwirken. Reiten Sie das Schulterherein aus Ihrem Sitz heraus. Weniger ist mehr!
Übung Nr. 3: Die Sanduhr für Balanceverschiebungen

Das Ziel: Last auf das neue äußere Hinterbein verschieben, es beugen und somit kräftigen.
So geht's: Wechseln Sie auf dem Oval aus Übung 2 nach jedem halben Zirkel von Zirkelpunkt zu Zirkelpunkt durch die Bahn. Halten Sie auf Höhe von X an, stellen Sie Ihr Pferd zur neuen Seite um und verschieben Sie es vom neuen Innenschenkel weg fast im 90-Grad-Winkel seitwärts an den neuen Außenzügel. Reiten Sie daraus in korrekter Innenstellung prompt und schnurgerade auf der neuen diagonalen Linie an.

Problemlösung: Bleibt Ihr Pferd mit der Vorhand oder der Hinterhand zurück, anstatt seitwärts zu treten, tippen Sie entweder die Schulter oder die Flanke mit der Gerte an. Achten Sie darauf, Ihr Pferd sicher gerade einzurahmen, damit es sich im Seitwärts nicht verbiegt.
Übung Nr. 4: Das Auge mit Seitwärts für mehr Lastaufnahme

Das Ziel: Last auf das äußere Hinterbein verschieben, es beugen und somit kräftigen. Zugleich im Kontrast zwischen Zulegen und Fast-Halten das Becken zum Kippen und die Hinterhand zur Lastaufnahme anregen.
So geht's: Legen Sie einen Zirkel an, auf dem Sie jede zweite Ecke tief ausreiten. Sie wechseln also zwischen Viertelzirkel und Viertelquadrat. Halten Sie nach der ersten Ecke auf der Zirkellinie an. Verschieben Sie Ihr Pferd wie in Übung 3 seitwärts, um Last auf das äußere Hinterbein zu bringen. Reiten Sie daraus prompt wieder an.
Holen Sie in der nächsten Ecke Ihr Pferd mit halben Paraden mehr auf die Hinterhand und legen Sie dann auf der gebogenen Linie zwischen den nächsten beiden Ecken zu, um Schubkraft zu entfalten. Diese sammeln Sie jedoch rechtzeitig vor der nächsten Ecke fast bis zum Halten ein. Hier tricksen Sie Ihr Pferd ein bisschen aus: Sie täuschen ein Halten an und reiten daraus dann doch im Fluss weiter in die Ecke hinein. Hütchen in den Ecken, die Sie ausreiten sollen, sind für Sie eine optische Hilfe.
Problemlösung: Wenn es bei dieser Übung hakt, kann ein Zirkel in Dehnungshaltung wahre Wunder wirken.
Übung Nr. 5: Die Belastungswechsel-Acht zur Schiefenkorrektur

Das Ziel: Die Hinterbeine abwechselnd beugen und damit kräftigen. Obendrein die natürliche Schiefe des Pferds nach und nach ausgleichen.
So geht's: Diese Übung reiten Sie auf zwei Volten wie auf einer Acht. Beginnen Sie mit Schulterherein (hellgrau) auf einer Volte. Hierbei beugen und kräftigen Sie das innere Hinterbein Ihres Pferds. Zudem wird das innere Vorderbein etwas stärker belastet, während das äußere weiter ausgreifen muss.
Wechseln Sie dann aus dem Schulterherein zur Acht auf die neue Volte und behalten Sie Stellung und Biegung sowie den Seitengang bei. Bei diesem Handwechsel wird das Schulterherein automatisch zum Konterschulterherein (ocker) auf der neuen Hand. Nun wird das andere Hinterbein (für das Pferd ist es das äußere, für den Betrachter das optisch innere) stärker gebeugt und gekräftigt.
Drehen Sie Ihr Pferd nach einer halben Volte um Ihre Achse ins Renvers (dunkelrot), sodass Vor- und Hinterhand ihre Positionen tauschen, während Stellung und Biegung erhalten bleiben. Die Belastung liegt nun mehr auf dem optisch inneren Vorderbein, während die Hinterbeine weiter ausgreifen müssen und damit mobilisiert werden.
Abschließend folgt der Handwechsel auf die ursprüngliche Volte der Acht. Stellung, Biegung und Seitengang werden beibehalten. Aus dem Renvers wird nun automatisch ein Travers, bei dem das innere und auch das äußere Hinterbein Last aufnehmen müssen.
Diese Übung sollten Sie auf beiden Händen reiten. Auf der hohlen Seite Ihres Pferds (hier fällt es Ihrem Pferd leichter, sich zu biegen) achten Sie darauf, die Biegung bewusst zu begrenzen. Auf der Zwangseite Ihres Pferds (hier fällt es Ihrem Pferd schwerer, sich zu biegen) achten Sie darauf, die Biegung sanft zu verstärken.
Problemlösung: Schwankt Ihr Pferd oder verhält es sich, achten Sie darauf, es gut mit Sitz, Schenkeln und Zügeln einzurahmen. Zwischendurch tut ein frisches Vorwärts gut. Stark versammelnde Übungen wie diese sollten Sie nicht zu lange und nicht zu oft hintereinander reiten. Packen Sie die Übung in eine doppelte "Sandwich-Schicht": Dehnung sowie frisches Vorwärts vor und nach jeder Übung.
Übung Nr. 6: Die Kraftausdauer-Acht zum Tragkraftaufbau
Das Ziel: Die Hinterbeine abwechselnd beugen und ihre Tragfähigkeit stärken.
So geht's: Reiten Sie Konterschulterherein auf einer Volte. Dabei beugen und kräftigen Sie das innere Hinterbein. Wechseln Sie auf eine Acht. Behalten Sie dabei Stellung und Biegung bei und drehen Sie Ihr Pferd um Ihre Achse, sodass Sie auf der neuen Volte im Travers reiten und das andere Hinterbein vermehrt beanspruchen. Nach einer halben Volte biegen Sie Ihr Pferd ins Konterschulterherein um. Vor- und Hinterhand behalten ihre Positionen; die Vorhand ist etwas geringer abgestellt. So wechseln Sie von Volte zu Volte.