Kritik an Reitweise: "Jeder S-Reiter sitzt schöner"

Werden Pferde verheizt? Interview mit Dr. Josef Offenmueller
Kritik an Reitweise: "Jeder S-Reiter sitzt schöner"

Zuletzt aktualisiert am 21.06.2010
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privat

CAVALLO: Statt 40 Vorführungen im Jahr sollen die Hofreitschul-Hengste ab jetzt 75 bestreiten, plus Auslandstourneen. Ist das zu viel verlangt?
Dr. Josef Offenmüller: Ja. Ein Grand-Prix-Pferd geht 10 bis 15 Turniere pro Saison. Es wird warmgeritten und ist maximal 10 Minuten im Viereck. Die Hofreitschul-Hengste kommen kalt aus der Box, werden sofort versammelt und zeigen bis zu 20 Minuten lang Höchstleistung – sechs Tage die Woche soll das nach Willen der Schulleitung das ganze Jahr über so gehen, nur mit einer Pause im Sommer. Früher gab es mehr Pausen.

Wie reagieren die Pferde?
Viele fallen wegen Sehnenschäden aus, was es früher nie gab. Im März und April wurden Vorstellungen abgeblasen, weil ein Großteil der Hengste hustete. Bei so einer Infektion spielt Stress sicher eine Rolle. Die Pferde sind nicht mehr so frisch und so leicht an der Hand. Ein Bereiter sagte: „Ich könnt‘ mich jetzt auch auf einen Holzbock setzen.“ Der normale Tourist sieht das nicht, sondern nur schöne weiße Pferde und Uniformen. Aber es sitzen auch Top-Reiter im Publikum, denen fällt das auf. Eine Zuschauerin schrieb an Hofreitschul-Geschäftsführerin Elisabeth Gürtler, dass die Pferde verspannt waren, eins habe aus dem Maul geblutet. Bei den Schulsprüngen fehlt die Perfektion, die Pferde stehen unruhig. Bei der Courbette hüpfen sie herum und springen rückwärts, weil sie Balanceprobleme haben. Das Durchschnittspublikum findet das vielleicht toll, klassische Reitkunst ist es nicht.

Eine Ausbilderin sagte CAVALLO, sie habe Bereiter bei der Rollkur gesehen. Ist das jetzt auch in Wien Mode?
Seit Ernst Bachinger, Leiter der Reitbahn, auf Sportkurs ist. Er wurde 2007 vom damaligen Geschäftsführer geholt, der kein Reiter war. Bachinger will Raumgriff, lässt die Pferde schneller ausbilden. Man überlegt sogar, ob Bereiter auf Turniere sollen – ein Desaster, denn die Lipizzaner landen in Konkurrenz mit Warmblütern hinten. Der legendäre Alois Podhajsky kam auch aus dem Dressursport, aber er hörte sofort auf, als er Leiter der Hofreitschule wurde. Und damals war die Turnierreiterei noch deutlich klassischer als heute.

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Graf

Wehrt sich denn kein Bereiter?
Kritik ist nicht mehr erwünscht. Der Erste Oberbereiter Klaus Krzisch übte Kritik und wurde im Herbst 2009 dienstfrei gestellt. Ebenso der Zweite Oberbereiter Hans Riegler. Seither geht die Qualität bergab. Es gibt keinen Unterricht mehr. Früher korrigierte und verbesserte einer den anderen, das gibt‘s nicht mehr, daher reißen Fehler ein. Herr Bachinger kümmert sich nicht, und leider fehlt ihm auch die Selbstkritik an seiner eigenen Reiterei. Jeder S-Dressurreiter sitzt schöner.

Gerüchteweise wurden Pferde sediert.
Einige Zuschauer hatten den Eindruck, dass ein Hengst unter Medikamenten-einfluss stünde. Wenn dem so wäre, wäre es ein Skandal. Auch die Pferde der Reitschule sollten einer externen unabhängigen veterinärmedizinischen Kontrolle unterzogen werden.

Statt den Hengsten immer mehr Stress und Vorführungen zuzumuten: Wäre es nicht besser, man kürzt das Gehalt der gut bezahlten Bereiter?
Ein Bereiter verdient 30 000 bis 60 000 Euro brutto im Jahr. Die jungen sind keine Beamten, sondern angestellt. Ein Oberbereiter hat zwischen 80 000 und 90 000, nach 30 Jahren Ausbildung. Das Jahr, in dem schlagzeilenträchtig bis zu 170 000 Euro verdient wurden, war eine Ausnahme, weil die Reiter monatelang im Ausland tourten. Wer noch Beamter war, hatte ganz normale Auslandszuschläge wie jeder andere Beamte. Eigentlich hat die Hofreitschule in Wien ja auch gar kein finanzielles Problem. Sie erwirtschaftet Gewinne.

Warum heißt es dann immer nur sparen, sparen, sparen?
Das liegt daran, dass man 2001 die Hofreitschule und das Lipizzanergestüt Piber als traditionelle Zuchtstätte der Reitschulhengste zu einer Gesellschaft zusammenlegte mit dem Auftrag: „Ihr müsst ausgeglichen bilanzieren.“ Das geht aber für Piber nicht. Dort liegen 500 Hektar inklusive Schloss im Dornröschenschlaf, und vor Ort arbeitete noch nie ein Manager. Man könnte man aus Piber vieles machen in Richtung Tourismus, die Frage ist: Reicht das? Oder muss doch öffentlich zugeschossen werden?

Ist Piber denn so lebenswichtig für die Schule? Lipizzanerhengste kann man auch woanders kaufen.
Die Umgebung prägt das Pferd. Und Piber, letzterAusläufer des Karstgebirges, ist ideal für die Aufzucht: Harter Boden sorgt für ein stabiles Fundament der Jungpferde, die ihre ersten drei, vier Jahre jeden Sommer auf der Alm leben. Das ist gut fürs Sozialverhalten untereinander und dem Menschen gegenüber. Beides brauchen die Hengste später in der Schule. Nur die besten dürfen zurück nach Piber und Nachkommen zeugen. Alles zusammen funktioniert nicht so gut in anderen Aufzuchtgebieten. Piber ist sicher nicht das einzig gute Lipizzanergestüt, aber das beste für die Hofreitschule.

Angenommen, in der Reitschule kommt alles wieder ins alte Gleis: Weniger Show, mehr Klassik, die Ersten Oberbereiter kehren zurück: Wie viel Geld würde dann fehlen?
Etwa 1 bis 2 Millionen Euro pro Jahr. Da muss der Bund einspringen. Um eine weltweit so einzigartige kulturelle Institution auf Niveau zu halten, sind das Peanuts. Die Spanische ist samt ihrer Art, Pferde auszubilden, ein Weltkulturerbe, und Kultur kostet nun mal Geld. Eigentlich sollte die Reitschule in die Obhut des Kulturministeriums kommen, die gehört nicht wie Piber ins Landwirtschaftsministerium.

Wie stehen die Chancen auf eine solche Reform der Reform?
Wir glauben fest daran. Aber nur, wenn die Reitbahn autonom für ihre Qualität verantwortlich ist und nicht unter Kuratel der Geschäftsführung steht oder von Dressurleuten beeinflusst wird. Dazu muss die Reitbahnführung neu aufgestellt werden.

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