Schimmel Balou zieht gelassen seine Runden beim Voltigierunterricht, während drei Mädchen um ihn herumhüpfen und auf seinem Rücken turnen. Das Volti-Pferd ist ruhig, aufmerksam – und ein Shagya-Araber-Hengst. Balou wohnt auf Gestüt Neuenbrook, das rund 50 Kilometer nördlich von Hamburg liegt. Ingrid Früchtenicht züchtet dort seit über 35 Jahren Shagya-Araber.
Die Pferde sind heutzutage Raritäten. Die Rasse kenne ich, CAVALLO-Autorin Vanessa Sieck, bisher bloß dem Namen nach. Heute wird’s persönlich beim ersten Proberitt und Gestütsbesuch. Und es warten einige Überraschungen. Doch erst einmal ein paar Hintergrundinfos zum Shagya-Araber. Zuchtziel ist ein „großrahmiges, elegantes und harmonisches Reitpferd mit arabischem Ausdruck, das sich in Typ, Rahmen und Kaliber erkennbar vom Vollblutaraber unterscheidet und als edles Reit- und Fahrpferd vielseitig einsetzbar ist“, heißt es.
Auf Gestüt Neuenbrook sehe ich Pferde mit hübschen Araberköpfen und dem Körper kleiner Warmblüter. Die meisten Shagya-Araber haben ein Stockmaß zwischen 1,50 und 1,65 Metern. „Es gibt feine, edle Shagya-Araber, aber auch sehr kräftige Tiere“, erzählt Ingrid Früchtenicht. Gezüchtet wurden Shagya-Araber ursprünglich als Militärpferde für den Österreichisch-Ungarischen Hof.
Ihren Namen verdankt die Rasse dem Volltblutaraber „Shagya“, einem der Gründerhengste. Zu den ersten Zuchtstuten gehörten spanische und auch holsteinische Pferde. Ziel war es, eine zähe Rasse zu züchten. „Als Militärpferde mussten Shagya-Araber bis zu 90 Kilogramm schwere Männer und dazu noch Gepäck tragen“, erklärt Ingrid Früchtenicht.
Shagya-Araber sind Allrounder
Als Gewichtsträger müssen sich Früchtenichts Shagya Araber nicht beweisen, wenn ich zum Proberitt in den Sattel steige. Aber angesichts der Größenverhältnisse bin ich etwas skeptisch: Meine 1,80 Meter auf einem Pferd knapp über 1,60? Im Sattel von Hengst Balou staune ich jedoch, wie gut mich der Schimmel abdeckt. Zu groß komme ich mir nicht vor.
Balous Gänge sind schwungvoll, er läuft fleißig vorwärts. Als wir auf ein Cavalletti zu galoppieren, merke ich, wie gerne der Hengst springt. Und damit ist Balou ein typischer Vertreter seiner Rasse. Shagya-Araber gelten als sehr springfreudig und talentiert im Parcours. So siegte etwa der Hengst Galan Sha, anerkannt für die Hannoversche Springpferdezucht, in S-Springen gegen Warmblüter. Und auch in der Dressur können die kleinen Pferde durchaus Großes leisten – dank ihrer Reitpferdeeigenschaften
mit ausdrucksstarken Gängen und aktiver Hinterhand.
Die Pferde laufen freilich nicht nur im großen Sport. „Für Freizeitreiter und sogar Reitanfänger eignen sie sich besonders, weil sie sehr geduldig, menschenbezogen und nervenstark sind“, sagt Ingrid Früchtenicht.
Shagya-Araber sind nervenstark
Starke Nerven sind das Markenzeichen der Shagya Araber. Die können sie im Wesenstest beweisen, den der Zuchtverband für Sportpferde Arabischer Abstammung (ZSAA) entwickelt hat. „Der Test ist freiwillig und wird natürlich vorher nicht geübt. Er soll ja die Veranlagung zeigen, nicht einen Ausbildungsstand“, sagt die Züchterin.
Das Wichtigste ist, dass die Pferde jederzeit auf ihren Führer achten und gelassen bleiben. Auf Gestüt Neuenbrook wird Wallach Faris heute zu Demonstrationszwecken mit den drei Test-Aufgaben konfrontiert. Der Fünfjährige Shagya Araber ist skeptisch und interessiert zugleich. Doch schon nach dem zweiten Übungslauf bleibt er gelassen. Faris zeigt, wie schnell Shagya-Araber Neues lernen und sich an unbekannte Situationen gewöhnen.
Hengst Bashir (12) tritt in dieselben Hufstapfen. Er wird gerade im Westernreiten ausgebildet. Nicht nur die Reitweise ist neu: Trainerin Anika Kracht reitet ihn erstmals auf dem Außenplatz mit gebisslosem Zaum, weil zwei Zähne gezogen werden mussten. Der Hengst vertraut seiner Reiterin und entspannt schon nach wenigen Runden. Shagya-Araber sind Spätentwickler. Oft werden sie erst mit fünf Jahren angeritten.