Pferde überraschen uns immer wieder: Sie schieben Heu unter der Box hindurch, um es mit dem Nachbarn zu teilen und sind in der Lage, Tü- ren und sogar Elektrozäune zu öffnen (CAVALLO 09/2019). Konstanze Krüger, Pferdeverhaltensforscherin und Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, hat mit ihrem Team spannende Tests zum Lernverhalten von Pferden entwickelt. Diese können Sie mit Ihrem Pferd nachmachen. Mit dem ersten Test finden Sie heraus, ob Ihr Pferd ein Optimist oder Pessimist ist, ob also das sprichwörtliche Wasserglas halb voll oder halb leer ist. Im zweiten Test geht es darum, ob Ihr Pferd zu den Nachmachern gehört, Ihr Verhal- ten also kopiert.

"Das Lernverhalten von Pferden ist ein mentaler Prozess, der vor allem im Zusammenhang mit ihrem sozialen Umfeld gesehen werden muss. Gerade die Bereiche innovatives und soziales Lernen sind eng miteinander verwoben", erklärt Konstanze Krüger. Die Ergebnisse der Testreihen zum sozialen und innovativen Lernen sind Teil ihres neuen wissenschaftlichen Buchprojekts "The Beautiful Equine Mind". Wissenschaft soll auch Spaß machen Mit "The Beautiful Equine Mind" will das Forscher-Team ganz neue Wege gehen. Die Idee dahinter ist simpel: Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen unterhaltsam und anschaulich vermittelt werden.
"Dafür suchen wir noch interessante Beobachtungen auch von CAVALLO-Lesern über ungewöhnliche Verhaltensweisen ihrer Pferde. Anhand dieser Geschichten möchten wir anschaulich erklären, welche mentalen Fähigkeiten in den Pferden schlummern und diese Verhaltensweisen auch erklären." Der wissenschaftliche Teil des Buchprojekts ist bereits abgeschlossen und verspricht spannende Themen: Welche Faktoren beeinflussen zum Beispiel die Intelligenz und welche Rolle spielen wir Menschen eigentlich in der Pferdewelt?

Ist mein Pferd ein Optimist oder Pessimist?
Um was geht es? Der Test soll Aufschluss über Persönlichkeitsmerkmale eines Pferds geben.
Versuchsaufbau: Das Pferd soll zum einen lernen, dass es bei der mit Möhren gefüllten Kiste rechts auf dem Platz eine Belohnung gibt. Diese Kiste ist geöffnet. Danach wird die Kiste mit Möhren gefüllt, aber verschlossen auf die linke Seite des Platzes gestellt. In dieser Phase soll das Pferd lernen, dass es hier keine Belohnung gibt. Anschließend kommt die geöffnete Kiste in die Mitte des Platzes (A). Entscheidend ist nun, ob das Pferd in Erwartung von Futter zur Kiste läuft oder nicht.

Phase 1: Tabu, unser Testkandidat, läuft zielstrebig auf die Kiste los, die rechts auf dem Platz steht, und holt sich die Belohnung ab.
Phase 2: Die Kiste wird auf die linke Seite des Platzes gestellt. Sie ist verschlossen, das Pferd gelangt nicht an das Futter. Tabu ist frustriert und wirft die verschlossene Kiste schließlich um.
Phase 3: Jetzt wird es spannend: Die Kiste steht geöffnet und befüllt in der Mitte. Tabu rechnet mit einer Belohnung und macht sich auf den Weg. Die Stimmungslage des 15-jährigen Wallachs ist gut, er läuft zur Kiste, wo er die Belohnung vermutet.

Fazit: Unser Test ergab, dass Tabu ein Optimist ist. Ein Pessimist wäre nicht mehr zur Kiste gelaufen, das besagte Wasserglas wäre also halb leer gewesen. Sie können sich also freuen, wenn auch Ihr Pferd die mittlere Kiste ansteuert. Gibt Ihr Pferd auf, dann ist seine Gemütslage eher negativ und Sie sollten Training und Haltung eventuell überdenken. Die Wissenschaftler um Konstanze Krüger vermuten einen Zusammenhang zwischen Haltungsform und Gemütszustand, Versuchsleiterin und Doktorantin Isabell Marr: "Bei einem Versuch mit 17 Pferden zeigten sich Boxenpferde tendenziell eher pessimistisch als Pferde in anderer Haltung."

Und es gibt noch einen weiteren interessanten Aspekt: "Es zeigte sich bei unseren Studien, dass die Optimisten eher mit dem rechten Vorderbein starten", erklärt Versuchsleiterin Isabell Marr. Das heißt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Bein, mit dem ein Pferd bevorzugt losläuft, und der Stimmungslage des Pferds. Um den sogenannten Lateralitätsindex Ihres Pferds zu ermitteln, gibt es eine kurze Formel: Notieren Sie die Anzahl der Versuche, bei denen Ihr Pferd mit rechts losläuft und ziehen hiervon die Anzahl der Versuche ab, bei denen es mit links losgelaufen ist. Diese Zahl teilen Sie durch die Anzahl der Versuche. Tendiert das Ergebnis zu plus eins, ist Ihr Pferd eher rechtslateral, bei minus eins eher linkslateral.

Schauen Pferde vom Menschen ab?
Um was geht es? Pferde lernen nicht nur von anderen Pferden. Beobachtungen, wie Pferde Türen geöffnet haben, legen nahe, dass Pferde unter bestimmten Bedingungen menschliches Verhalten imitieren.
Versuchsaufbau (A): Möhren werden auf den Platz gelegt und mit Eis abgedeckt (B), das Pferd schaut dabei zu. Eine Person hält das Pferd, soll aber keinen Kontakt zu ihm aufbauen. Eine weitere Person macht dem Pferd vor, wie es an das Futter gelangen kann.

Phase 1: Testleiterin und Bachelor-Studentin Sophie Schwarz ist in diesem Fall die Vormacherin. Sie benutzt bei diesem Test ihren Fuß und scharrt die Möhren frei (C). Anschließend zeigt sie dem Pferd, dass es hier Futter gibt (D). Entscheidend ist bei diesem Versuch, ob das Pferd das Verhalten des Menschen nachmacht und analog zum menschlichen Fuß den Huf benutzt.
Phase 2: Versuchspferd Calina, eine sechsjährige Holsteiner-Stute, benutzte bei diesem Test ausschließlich das Maul und nicht den Huf, um an das Futter zu gelangen (E + F).

Fazit: "Bei unseren Studien mit dem Vergleich Fuß/Huf und auch Kopf/Maul konnte nicht wirklich signifikant belegt werden, dass Pferde das direkt nachmachen. Es gibt also noch keine wirklichen Beweise, dass Pferde zuverlässig die Methode nachahmen", fasst Sophie Schwarz das Ergebnis zusammen. Allerdings können Pferde vom Menschen lernen, zum Beispiel, wo es Futter gibt, wenn sie aufmerksam zuschauen. Sie benutzen uns sozusagen als Informationsquelle.

Auch diesen Test können Sie mit Ihrem Pferd nachmachen. Eine wichtige Rolle spielt offenbar, ob das Pferd die Testperson kennt. Sophie Schwarz: "Bei anderen Versuchen haben einige Pferde nach einer Weile die Methoden vom Menschen kopiert. Aber es waren nur einige wenige Pferde und die Testpersonen waren ihnen bei den Versuchen bekannt. " Für Pferde ist es zudem natürlich, neue Dinge zuerst mit dem Maul zu untersuchen, sie sind mit dem Maul ganz einfach geschickter als mit dem Huf.
