Wie effektiv ist Bouldern für Reiter?

Sport für Reiter
Wie effektiv ist Bouldern fürs Reiten?

Zuletzt aktualisiert am 02.12.2024

Ehrfürchtig schaue ich nach oben. Vor mir eine glatte Wand. Hier und da kleine bunte Griffe und Tritte, an denen sich vielleicht kleine Affenhändchen und -füßchen festhalten können. Aber ich? Das ist doch ganz schön hoch.

Was zum Teufel hat mich eigentlich geritten, hierher zu kommen? Die teuflische Idee stammt aus dem kreativen Kopf von Dressurausbilderin Claudia Butry. Sie hat meine Kollegin Barbara Böke und mich in die Kletterhalle eingeladen, weil "ihr da ganz viel für euren Reitersitz tun könnt!” Da waren wir natürlich neugierig.

Seitdem die Wahl-Allgäuerin das Bouldern für sich entdeckt hat, werden ihre Touren in den echten Bergen seltener, die Besuche in der Kletterhalle dafür aber immer häufiger. "Das hat mich gepackt”, erzählt Butry und strahlt mit meiner Kollegin Barbara Böke um die Wette, die schon ungeduldig mit den Hufen – äh – Kletterschuhen scharrt. Kann ich bitte einfach nur zugucken?

Meine innere Stimme wird nicht erhört. Alle lauschen Lisa vom Team der Kletterhalle "Roccadion” in Böblingen, die uns eine kleine Einführung ins Bouldern gibt. "Soll ich euch mal was zeigen?”, fragt sie unschuldig. Wir wollen natürlich was sehen. Und schwupps, hangelt sich die junge Frau wie ein Gecko die Wand hinauf, als ob sie mit Saugnäpfen an den Händen zur Welt gekommen wäre. Hinunter geht’s noch schneller. Sie klettert zurück auf halbe Höhe der Wand, lässt sich hinunterfallen und landet in der Hocke auf beiden Füßen. Wer diese Technik nicht so virtuos beherrscht, bekommt schnell Übergewicht und plumpst wie ein Käfer nach hinten auf den Rücken – so in etwa stelle ich mir das dann bei mir vor. Damit uns dabei nichts passiert, sollen wir uns schön abrollen, unseren Rücken rundmachen und die Hände vorm Körper behalten. Kommt mir bekannt vor. Wie beim Falltraining für Reiter! Was mich beruhigt: Aufgefangen werden wir vom weich gepolsterten Boden. Denn beim Bouldern gibt es im Gegensatz zum Klettern keine Sicherung am Seil.

Das Bouldern selbst ist Erfahrungssache. Bevor wir uns an die Wand wagen, zeigt uns Lisa, welche der gekennzeichneten Routen an der Wand die einfachste für uns Anfänger ist. Claudia Butry klettert zuerst. Das sieht doch ganz einfach aus. Selbstverständlich lasse ich auch meiner Kollegin Barbara den Vortritt. Sie gelangt schnell nach oben und klettert ebenso schnell wieder hinunter – mit einem breiten Grinsen im Gesicht, das nicht mehr verschwinden wird, solange wir an diesem Ort sind. Als ich an der Reihe bin, stelle ich erstaunt fest, dass ich ebenfalls bis ganz nach oben und wieder herunterkomme. Das geht ja, denke ich. Doch diese Meinung wird sich in Kürze ändern.

Kollegin Barbara Böke erweist sich als Naturtalent

Bauchmuskeln? Armmuskeln? Hat mein Körper wohl nicht zu bieten. Ich hänge mit meinen beiden Armen an einem Überhang und versuche, meine Beine hochzuziehen und nach einem Tritt zu angeln. Claudia Butry, die seit zwei Jahren bouldert, hat sich an einer anderen Stelle an die Wand gehängt. Während ich bereits am Startpunkt stark absturzgefährdet bin, klettern die beiden anderen Damen behände an der Schräge herum. Barbara ist wohl ein Naturtalent. Ich nicht, ist klar. Dann bleibt mein Reitersitz eben erstmal so, wie er ist.

Dabei würde es sich aber vor allem für mich als Schreibtisch-Schlappi lohnen, mich langsam an die Wand heranzutasten. Claudia Butry sagt: "Ich kann im Sattel leichter einwirken, seitdem ich Bouldern gehe.” Ihre Rumpfmuskulatur sei viel stärker geworden, sodass sie ihre Pferde besser am Sitz habe. "Meine temperamentvolle Stute Sky kann ich nun mit meinem Körper einfangen, ohne in die Zügel greifen zu müssen.”

Zügelunabhängigkeit würde ohnehin durch das Bouldern gefördert, so die Ausbilderin. Wir handlastigen Menschen müssen uns dabei nämlich mehr auf unsere Füße stützen und verlassen. Denn in die kleinen Griffe passen teilweise nur ein oder zwei Finger – und die können nicht das ganze Körpergewicht tragen. Wer sich auf den Tritten nach oben oder unten bewegt, ohne den Halt zu verlieren, hat gelernt, seinen Körper zu koordinieren und im Gleichgewicht zu bleiben. "Ein minimales Verschieben der Hüfte macht ganz viel aus”, weiß Butry. Diese Bewegungskompetenz kann die Ausbilderin aufs Reiten übertragen: "Schiebe ich die innere Hüfte etwa ein paar Millimeter vor, reagiert mein Pferd unmittelbar.”

Bouldern ist für Claudia Butry ein Ganzkörper-Workout mit dem Vorteil, nicht so statisch und langweilig zu sein wie im Studio. Sich ehrgeizig durchzubeißen, was sie sich beim Reiten niemals erlaubt, kann sie hier ausleben. Die Ausbilderin schaut auf die Uhr. "Habt ihr noch Zeit? Ich muss die Route da drüben unbedingt nochmal probieren!”

4 Effekte fürs Reiten, wenn Sie bouldern gehen:

1. Mut und Selbstbewusstsein

Wer sich bis nach oben gehangelt hat, darf gerne stolz auf sich sein! Der Erfolg macht selbstsicher und Lust darauf, sich immer wieder aus der Komfortzone zu wagen. Unsichere Reiter profitieren vom Bouldern, weil sie sich an die Höhe gewöhnen und die Angst vorm Fallen verlieren.

2. Koordination und Gleichgewicht

Das Körpergewicht balancieren wir beim Bouldern oft nur auf den Zehenspitzen. Um von einem Tritt zum nächsten zu gelangen, müssen wir unsere Balance immer leicht verschieben. Das tut was für die Koordination und fürs Körperbewusstsein. "Wir lernen, wenig genutzte Körperteile, die unser Gehirn schon fast vergessen hat, wieder anzusteuern”, erklärt Claudia Butry.

3. Beweglichkeit

Der nächste Tritt ist kaum zu erreichen? Dann müssen wir uns ordentlich strecken. Bouldern macht beweglich. "Vor allem die Hüftgelenke werden mobilisiert”, so Butry. Pferde atmen auf, wenn ihre Reiter nicht mit den Oberschenkeln klemmen und geschmeidig sitzen.

4. Stabilität und Kraft

Bouldern ist wie ein Ganzkörper-Workout. Dabei macht es mehr Spaß als Krafttraining an Geräten und baut nicht nur einzelne Muskelpartien auf. Wer an der schrägen Wand hängt, stärkt seine Rumpfmuskulatur – die Zentrale des guten Reitersitzes.